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Februar / März 1958 - Beginn des Grossraumwagenzeitalters in Hagen aus der Sicht eines ehemaligen Betriebsangehörigen

Im Herbst 1957 bekam die HAGENER STRASSENBAHN AG die letzten fabrikneuen 2-Achser von der DÜWAG geliefert. Für 1958 hingegen war der Belegschaft das Erscheinen einer für Hagen bis dato völlig neuen Fahrzeuggeneration avisiert: die ersten 4-Achser sollten geliefert werden - als neuer Schmuck für die Hagener Vorortbahn ! So jedenfalls wurde unser Direktor Neymann zitiert.
Dazu mussten allerdings ein paar Vorbereitungen getroffen werden. Zwei Drehgestelle wurden vorab von der DÜWAG geliefert, auf denen die Schlosserei aus Winkeln und U-Eisen einen Rahmen setzten, der dem Umfang eines 4-Achsers entsprach. An den "Fahrzeugecken" und Seiten wurden Trichter montiert, die mit Kreide gefüllt wurden. Des Nachts ging es dann zu problematischen Kurven im Stadtgebiet, die entweder gleistechnisch geändert oder mit Begegnungsverboten gekennzeichnet wurden.
Am 28.2.1958 war es dann soweit: in der Hagener Tagespresse zu Beginn des Monats zusammen mit dem ersten "Rucksackbus" als große Neuerung für das "Hagener Verkehrsmeer" angekündigt und von Dir. Neymann in diversen Aufsätzen in der Fachpresse gewürdigt - die erste offizielle Probefahrt mit Gleisbauingenieur Schütz und Fahrmeister Schultz auf der Linie nach Breckerfeld mit TW51. Fotografen von DÜWAG / KIEPE waren mit an Bord, so entstanden eine Reihe von tollen Fotos, die in etlichen Fachzeitschriften erschienen und Werbeanzeigen der Bahnhersteller und Ausrüster zierten.

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Im Februar wurden die ersten drei 4-Achser geliefert, die die Betr. Nr.50-52 erhielten. Ausgebildet wurden anfangs nur altgediente Fahrer, da man nur Ihnen den versierten Umfang mit den guten Stücken zutraute. Das war auch nicht ganz unbegründet. Die Position des Stromabnehmers lag genau in Wagenmitte, dies hatte mit den Schaltkontakten für die E-Weichen zu tun. Da allerdings der Drehzapfenabstand größer war, als der Achsstand der 2-Achser könnte es in engen Kurven Probleme mit der Fahrleitung geben…und richtig: vor allem an der Körnerstrasse hing der Stromabnehmer mehrfach "daneben" - die Fahrleitungsabteilung durchkämmte daraufhin das gesamte Netz und spannte sog. Beidrähte in kritischen Kurven.
Anfangs waren die "Neuen" nicht unproblematisch und stellen die Fahrer vor große Probleme. Die neuen Plattformfahrschalter mit ihren langen Knüppeln ließen sich nur schwer schalten und die Wagen machten beim Anfahren einen Bocksprung. - auch eine gleichmäßige Bremsverzögerung gelang selten. Außerdem hatten die Fahrschalter einen konstruktiven Fehler: beim Übergag von Serien- auf Parallelschaltung der Motoren, gab es einen harten Schlag in den Drehgestellen. KIEPE hat dies später durch eine Diodenschaltung nachgebessert.
Allerdings erwiesen sich die ersten drei Wagen vor allem für die Schreinerei zum Alptraum: die Handbremse war die totale Fehlkonstruktion. Sie wirkte auf beide Drehgestelle. Beim Anfahren an den E-Weichen oder Haltestellen an Steigungen, musste der Fahrer so viel Kraft aufwenden, dass die Lagerung der Handbremskurbel aus dem Geschränk herausriss. Die Konstrukteure hatten ein ganz einfaches Knotenblech zwischen Karosserie und Lagerung vergessen. So viele Schränke für so wenige Wagen in so kurzer Zeit hat die Schreinerei noch nie bauen müssen.
Die im Herbst gelieferten Wagen 53-56 hatten diese Kinderkrankheiten bereits abgestellt, die Handbremse wirkte nur noch auf das in Fahrtrichtung vordere Drehgestell, zwei 24V Solenoid-Bremsen fungierten nun als Festellbremse, der Schaffnerplatz hatte eine Türe.

Um die phantastischen Fahreigenschaften vor allem auf der Vorortbahn noch weiter zu optimieren, haben wir in der E-Werkstatt eine Shuntstufe nachgerüstet um eine noch höhere Endgeschwindigkeit zu erreichen. Ob dieser Umbau auch zum wohl traurigsten Ereignis in der 18-jährigen Einsatzgeschichte der 4-Achser in Hagen beigetragen hat, vermag ich nicht mehr zu sagen. Am 2.3.1960 kollidierten TW55 und ein Killing-Wagen an der wirklich unübersichtlichsten Stelle zwischen den Stationen Delle und Brenscheider Weg. Der Fahrer des TW55 war als "Rennfahrer-Rensch" bekannt und viel zu schnell unterwegs. Ob die guten Laufeigenschaften dieser Wagen auf der "11" - ich kann dies nur bestätigen, da ich auch im Fahrdienst eingesetzt war, und diese Strecke auch so manches Mal "entlang geflogen" bin - und der gute Oberbau mit zu diesem Unglück beigetragen haben ? Rensch war jedenfalls satte fünf Minuten vor der Planzeit als es krachte; hätte er sich an die Fahrzeiten gehalten, wäre der ihm entgegenkommende Arbeitswagen ohne Probleme schon an der Ausweiche Delle gewesen. Tragischerweise wohnte dieser Fahrer ausgerechnet im Bahnhofsgebäude Breckerfeld und wollte mit dem Planwagen nach Hause. Ein klassischer Fall von menschlichem Versagen gepaart mit widrigen Umständen. Ich jedenfalls habe mitgeholfen die Front des TW55 abzuschneiden - anders bekamen wir ihn nicht aus dem Gleisbett….! Er ging zur Instandsetzung zur DÜWAG und erlebte das Ende der Straßenbahn in Hagen im Mai 1976 als letzter Planwagen auf der Linie 1 in Eilpe.

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Ein Jahr später war wieder einer von meinen Schützlingen in einen Unfall auf der "11" verwickelt. Diesmal "übersah" die völlig übermüdete Besatzung eines britischen Panzerspähwagens den 4-Achser am Bahnübergang Brauck und drückte ihn aus den Schienen. Die Meldung in der Tagespresse war etwas reißerisch aufgemacht - aber alle sind glimpflich davongekommen. Die Soldaten kamen aus einem Manöver zurück und anscheinend auch nicht aus einer Stadt mit Straßenbahnen. Auch dieser Wagen wurde bei der DÜWAG wieder instand gesetzt und erlebte das Ende der Straßenbahn in Hagen.

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Wenn all meine Schützlinge "gesund" waren, wurden drei auf der seit 1958 wieder als "11" im Fahrplan geführten Vorortbahn eingesetzt (bis die DÜWAG Gelenkwagen in größerer Zahl zur Verfügung standen), die übrigen vier meist auf der Linie 3 zwischen Haspe und Emst. Einer wurde zur Probe zeitweise mit einem "Storchenschnabel" ausgerüstet - so liebevoll nannten wir den BS70 von Stemmann. Die 6-Achser Lieferserie von 1963 wurde dank der guten Erfahrungen mit ihm ausgerüstet. Soweit ein kurzer Abriss über den Beginn der "Geschichte der Grossraumwagen in Hagen", die ohne Frage eine neue Epoche im Hagener Schienennahverkehr einläuteten.

Den "Schluss" berichte ich - falls gewünscht - in einem zweiten Teil. Euer Manfred
Hallo Manfred,

natürlich interessiert uns auch der Teil 2 !

Viele Grüße aus Gera
Frank
Hallo tram-imfo,
sehr interessant, und ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung. Vielleicht kannst du als ehemaliger Betriebsangehöriger eine Frage beantworten: Ich habe mich immer gewundert, warum die Hagener Vier- und Sechsachser zwar knüppelbetätigte Fahrschalter hatten, als Feststellbremse aber die altmodisch wirkende Handbremskurbel verwendet wurde (die ja offenbar bei den ersten Großraumwagen auch keine besonders rühmliche Rolle gespielt hat). Kannst du sagen, was der Grund dafür war?
Grüße,
Stefan