Balkan-Abenteuer Teil 16: Sofia – Bucuresti
Die bisherigen Teile:
Teil 1: Wien-Zagreb
Teil 2: Zagreb-Sarajevo
Teil 3: Sarajevo
Teil 4: Mostar
Teil 5: Sarajevo-Dubrovnik-Split-Zagreb
Teil 6: (Zagreb-) Beograd
Teil 7: Beograd - Podgorica
Teil 8: Podgorica – Bar (-Skopje)
Teil 9: (Bar -) Skopje
Teil 10: Skopje-Bitola-Ohrid-Kicevo-Skopje
Teil 11: Skopje-Thessaloniki-Athen
Teil 12: Athen
Teil 13: Athen (-Sofia)
Teil 14: (Athen) - Sofia
Teil 15: Rhodopenbahn
Tag 17: Mittwoch, 28. Juli 2010 – Sofia-Bukarest
Fahrplan MV462:
09:05 ab Sofia
18:30 an Bucuresti
(513 Kilometer)
Das Frühstück ist heute beser als gestern. Auf dem Weg zum Bahnhof versuche ich, bei einem Bankschalter meine übriggebliebenen 30 Lewa in Euro zurückzutauschen. Das geht völlig problemlos innerhalb von Sekunden, ich erhalte 15 Euro. Was für ein Fortschritt im Vergleich zu früheren Jahren oder Jahrzehnten! Mein Zug nach Bucureşti wird erst zwanzig Minuten vor der Abfahrt angezeigt, sodaß ich noch nicht weiß, auf welchen Bahnsteig ich mich begeben soll. Ich spaziere also ein wenig auf den Bahnsteigen herum, aber allzu bequem ist das mit dem Gepäck natürlich nicht. Mir fällt ein Zug mit russischen und ukrainischen Großprofilwagen auf.
Bild 1:
RŽD- und UZ-Wagen in Sofia.
Mein restliches Geld investiere ich in 2 „kifla s marmalada“ zu je 80 Stotinki, also 40 Cent. Das kann man nun wirklich leicht übersetzen. Und wieder kommt es mir so komisch vor, daß hinter dem Wort „mit“ („s“) kein Instrumental kommt, sondern der Nominativ. Bulgarisch müßte eigentlich leicht zu lernen sein!
Als dann der Bahnsteig meines Zuges angezeigt wird, freue ich mich, daß er auch einen Abteilwagen enthält. Also nehme ich mir einen Platz in einem Abteil. Der Wagen stammt aus Deutschland (DB oder DR), was man an der deutschen Beschriftung an manchen Stellen erkennen kann. Die zwei anderen Wagen sind jedoch y-Wagen mit Mitteleinstieg (ex DB vermutlich). Sehen also nach Regionalzug aus. Da nirgendwo angeschrieben steht, wohin der Zug bzw. die Wagen fahren, vertraue ich darauf, daß der einzige Wagen, der wie ein Schnellzugwagen wirkt, auch nach Bukarest fahren wird. Ich werde mich täuschen! Hinten an unserem Zug hängt ein rumänischer Schlafwagen, der kommt bestimmt aus Thessaloniki. Bei der Ausfahrt kann ich einen Zug mit den Mitteleinstiegswagen (mit Graffiti!) und eine 06er (wie die rumänischen Sulzer-Loks) fotografieren. Wenigstens das Bild der 06er gelingt ganz gut.
Bild 2:
06 128 bei der Ausfahrt aus Sofia.
Fahrt Sofia - Bucuresti
Es beginnt nun eine wunderschöne Fahrt durch sehr schöne Landschaften! In meinem Abteil sitzt eine Oma mit Tochter und Enkelkind, und weil die Oma diesem Kind viel erzählt und auch was vorliest, kann ich wieder sehr gut den Klang der bulgarischen Sprache verfolgen. Es klingt jedenfalls, als ob die Bulgaren vieles nasal aussprechen. Es geht durch ein schönes Tal des Flusses Iskâr mit viel Wald, an einigen Streckenabschnitten kann man erkennen, daß das zweite Gleis später dazugelegt worden sein muß. Es gibt teilweise neue Brücken oder auch einen zweiten Tunnel oder eine Umfahrung eines Tunnels. Zwischendurch kommen wir durch enge Stellen mit Felsen, dazwischen gibt es auch mal ein Kraftwerk und Staustufen. Das Wetter ist recht schön, sodaß ich eigentlich die ganze Zeit am Gangfenster stehe und die Landschaft betrachte und Fotos mache. Etwa bei Mezdra – zwei Stunden nach Sofia – ist das enge Tal zu Ende und es geht wieder durch weitere aber doch hügelige Landschaften, und immer wieder gibt es auch kleine felsige Berge, die etwas fremdartig auf mich wirken. Die Trasse der Bahn ist an vielen Stellen erneuert worden, was man ganz gut feststellen kann. Trotzdem ist die Geschwindigkeit natürlich nicht besonders hoch. Immerhin brauchen wir ja für die 513 Kilometer mehr als 9 Stunden! Wenigstens bis Gorna Orjahovica geht es einigermaßen flott dahin (4 Stunden für 294 km). Danach bis Ruse schleichen wir mit durchschnittlich 50 km/h (2 Stunden für 111 km).
Bild 3:
Auf der Fahrt von Sofia Richtung Ruse – etwa eine halbe Stunde nach Sofia.
Bild 4:
Viele bewaldete Berge säumen die Strecke.
Bild 5:
Im Tal des Flusses Iskâr.
Bild 6:
Schöne felsige Berge im Iskâr-Tal...
Bild 7:
…und manchmal recht hoch und steil.
Bild 8:
Eine Stunde nach Sofia.
Bild 9:
Eine schönes Tal, durch das wir fahren!
Bild 10:
Unsere Wagen sind graffitiverschmiert…
Bild 11:
Nach einer engen Schlucht geht es durch sanfte Hügellandschaft weiter.
Bild 12:
Sonnenblumenfelder in der Ebene.
Bild 13:
Kurz vor Gorna Orjahovica.
Bild 14:
Triebwagen 32-053 in Cerven Brjag.
In Červen Brjag sehe ich den einzigen Triebwagen Reihe 32 (Rigaer Waggonfabrik) auf meiner ganzen Reise durch Bulgarien. In Gorna Orjahovica halten wir 20 Minuten. Es wird verschoben, wir bekommen drei Waggons dazu: einen WL der CFR, einen Bc der TCDD (beide Istanbul-Bucuresti) und einen B der CFR (Dimitovgrad-Bucuresti). Hier steigen auch sehr viele Leute aus. In meinem Abteil bleibt nur mehr eine Frau zurück. Während des Aufenthalts kann ich auch eine Verschublok Reihe 55 (sieht sehr rumänisch aus!) sowie ein paar abgestellt 07er (Ludmillas) sehen. Ab hier bis Ruse besteht unser Zug nun aus sieben Wagen (die Erkenntnis, daß nur ein By-Wagen bis Bucuresti verkehrt, kommt est nach Gorna Orjahovica):
BDŽ By (Sofia-Ruse)
BDŽ Bm (Sofia-Ruse)
BDŽ By (Sofia-Bucuresti)
CFR WL (Thessaloniki-Bucuresti)
CFR Bm (Dimitrovgrad-Bucuresti)
TCDD Bc (Istanbul-Bucuresti)
CFR WL (Istanbul-Bucuresti)
Bild 15:
Der einzige Abteilwagen unseres Zuges.
Bild 16:
Mein Abteil.
Bild 17:
Lok 55-116 verschiebt in Gorna Orjahovica. Wir bekommen drei Wagen dazu.
Bild 18:
Die letzten drei Wagen sind seit Gorna Orjahovica an unseren Zug gehängt.
Kurz nach Gorna Orjahovica kommt wieder der Schaffner und erklärt mir (auf Englisch radebrechend), daß ich den Wagen wechseln muß, denn dieser Wagen fährt nur bis Ruse. Auch drei englisch sprechende Mädchen müssen den Wagen wechseln. Ich staune natürlich, daß der By-Wagen ex DB (51 52 21-43 0xx-x, ein Mitteleinstiegswagen) der einzige durchgehende Wagen nach Bukarest ist; erster Klasse kann man nicht nach Bukarest reisen! Der Wagen ist übrigens außen mit Graffiti total verunziert. Auch dieser Umstand erscheint mir sonderbar, denn ich dachte immer, man schickt möglichst schöne Wagen ins Ausland – außer man hat Angst, daß er schlimm zugerichtet zurückkommt (wie es in Österreich früher einmal war, als nur das älteste Wagenmaterial nach Griechenland oder in die Türkei geschickt wurde). Da viele rumänischen Wagen eigentlich moderner und komfortabler aussehen als die bulgarischen, wundere ich mich schon über so einen Wagen für eine internationale Verbindung. Allerdings: innen ist der Wagen ganz angenehm und auch halbwegs bequem – man fühlt sich wie in Deutschland. Ach ja: der (hellblaue) rumänische Sitzwagen von Dimitrovgrad nach Bukarest ist wohl auch innen von der übelsten Sorte…
Bild 19:
Das Innere des ehemaligen DB-Regionalbahnwagens.
Bild 20:
Viele Bahnhöfe sind sehr schön renoviert und sauber.
So wie in Mazedonien gibt es auch in diesem Zug Sicherheitsleute. Sie kommen durch den Wagen, schauen sich die Gepäckstücke an, fragen die drei englischsprechenden Mädchen, ob das alles ihr Gepäck ist und wohin sie fahren. Aufgrund von Aufschriften kann ich erkennen, daß auch ein Polizist und ein Transportpolizist dabei ist.
Die Landschaft ist jetzt nicht mehr so interessant, es ist meist flach und ich mache keine Bilder mehr. Die Fahrt geht nun langsamer dahin. Wir bleiben auch oft stehen und ist staune, wie groß die Nikotinsucht sein kann, denn auch wenn wir nur eine Minute halten, stehen sofort mehrere Raucher bei der Wagentür oder auf der Plattform und rauchen im Eilzugstempo eine Zigarette. In meinem Wagen sitzt eine Gruppe rumänisch sprechender Leute. Einer fragt auf Englisch um die Uhrzeit, die Antwort gebe ich aber auf Rumänisch, so kommen wir also auch bald ins Gespräch (sie fragen übrigens fast alle 15 Minuten nach der Uhrzeit!). Eine junge Frau aus der Gruppe stammt aus Moldawien und lebt in Bukarest. Sie fragt mich, wie es mir in Sofia gefallen hat. Nun, eigentlich wars recht interessant, antworte ich. Sie meint jedoch, sie war enttäuscht und entsetzt über den vielen Schmutz auf den Straßen. Bukarest sei viel sauberer und eine schönere Stadt. Sie war überhaupt enttäuscht über Bulgarien. Ich staune natürlich, denn ich habe ja keine Ahnung, wie die Bulgaren und Rumänen zueinander stehen. Natürlich hat sie recht mit dem Schmutz in Sofia, allerdings kenne ich einige rumänische Städte und Dörfer und viele davon sind auch sehr schmutzig und ungepflegt, vor allem außerhalb des touristischen Zentren.
Wieder rumänisch sprechen zu können tut mir gut. Ab der Grenze werde ich wieder alles verstehen können und mich leichter zurechtfinden. Ich werde mich also eigentlich fast wie zu Hause fühlen.
Grenze Bulgarien-Rumänien
Wir kommen mit lediglich fünf Minuten Verspätung in Ruse an. Die Stadt wäre ja angeblich auch sehr sehenswert, aber dafür bleibt in diesem Urlaub natürlich leider keine Zeit. Ruse (im 15. Jahrhundert „Russi“) hieß seit Anfang des 16. Jahrhunderts (nach einer Zerstörung und dem Neuaufbau) Rustschuk („kleines Russi“) und wird wegen der vielen Gebäude aus der Jahrhundertwende auch gern Klein-Wien genannt. Elias Canetti wurde hier geboren. Leider konnte ich nicht viel über die Geschichte der Stadt herausfinden, vor allem nicht darüber, seit wann die Stadt Ruse heißt und welche Sprachen hier früher einmal gesprochen wurden.
Die rumänische 63-1143 wartet schon auf unseren Zug, es dauert aber zwanzig Minuten, bis die ersten zwei Wagen abgekuppelt sind und der Lokwechsel vollzogen ist. Auf Gleis 1 steht der Gegenzug, der aus den gleichen Wagen besteht wie unser Zug. Auch in diesem Zug ist der By-Kurswagen (140 km/h lauffähig!) durch Graffiti völlig verschandelt. In zwanzig Minuten ist auch die Grenzkontrolle durch bulgarische Zöllner beendet. Sie verläuft unkompliziert, allerdings bemerke ich, daß die Beamten mit Hilfe von Räuberleiter o.ä. die Abdeckung der Einsteigsraum-Decke abnehmen und sich hochziehen und mit Taschenlampen den Hohlraum ausleuchten. Ziemlich pünktlich verlassen wir Ruse und ich bin nun schon sehr neugierig auf einen der Höhepunkte meiner Balkanreise: die Fahrt über die Donau auf der Freundschaftsbrücke. Ich verlasse nun also Bulgarien, ein Land, in dem ich zuvor noch nie gewesen bin. Eigentlich hat es mir hier gefallen. Es gäbe noch viel zu sehen, nicht nur in Sofia, das ich eigentlich als recht sympathisch in Erinnerung habe.
Bild 21:
Einfahrt in den Grenzbahnhof Ruse. Gegenzug 461 steht abfahrbereit.
Bild 22:
Abfahrtstafel in Ruse: za Bukurešt.
Bild 23:
63-1143: Unsere Lok von Ruse bis Bukarest.
Bild 24:
Der Kurswagen Bukarest-Sofia: ebenso verschmiert wie unser Wagen nach Bukarest.
Bild 25:
Ausfahrt aus dem Grenzbahnhof Ruse.
Zunächst geht es noch zügig bis zu einem Güterbahnhof, dort sehe ich sogar eine 87er (ex British Rail, leider von Güterzügen verdeckt) sowie eine rumänische Lok Reihe 60 der GFR, die aber auch einen bulgarischen Aufkleber mit dem (cyrillischen) Kürzel BŽK besitzt. Bald danach endet der Fahrdraht und in der Nähe von Industrieanlagen geht es Richtung Donau. Bald kommt ein (!) rumänischer Zöllner und kontrolliert die Pässe. Das Tempo wird sehr langsam und etwa 13 Minuten nach der Abfahrt von Ruse sehe ich die markanten Türme der Freundschaftsbrücke. Die (noch immer) einzige Donaubrücke zwischen Bulgarien und Rumänien ist mit 2800 Metern die längste Stahlbrücke Europas. Sie wurde 1952 errichtet, wie man an den Säulen zu beiden Seiten der Brücke leicht ablesen kann. 2003 wurde sie mit Geldern der EU restauriert, sie sieht dennoch ziemlich verrostet aus. Vorbei am Straßengrenzübergang kann man gut beobachten, wie die Straße zunächst neben der Bahntrasse verläuft und sodann ansteigt um in den „ersten Stock“ zu wechseln. Zu „ebener Erde“ ist die Bahntrasse. Das Tempo ist extrem langsam, als ob die altersschwache Brücke nicht mehr aushalten würde. Die ganze Zeit klebe ich am Fenster und versuche, Bilder zu machen. Wegen der Gitterstreben und Säulen ist das nicht so leicht, aber ich kann doch ein paar Bilder von der Donau machen. So weit östlich hab ich die Donau noch nie gesehen! 7 Minuten dauert die Überfahrt, weitere 7 Minuten später fahren wir fast pünktlich in Giurgiu Nord ein (sprich: Dschurdschu). Ein hübsches Bahnhofsgebäude gibt es hier, und man ist offensichtlich bemüht, den Bahnhof auch zu pflegen (Pflanzentröge usw.).
Bild 26:
Im Güterbahnhof Ruse: GFR-Lok 60-1523.
Bild 27:
Auffahrt auf die Freundschaftsbrücke über die Donau.
Bild 28:
Flach zu beiden Seiten der Donau: links Bulgarien – rechts Rumänien.
Bild 29:
Unser Wagen ist der erste hinter der Lok. Gut zu sehen: die „europäische Standardlackierung der Zukunft“.
Bild 30:
Abfahrt von der Brücke auf rumänischer Seite.
Bild 31:
Hübsches Bahnhofsgebäude in Giurgiu Nord.
Hier steigen nun weitere Grenzkontrollore ein und auch sie öffnen im Einstiegsraum die Decke, um mit der Taschenlampe in den Hohlraum hineinzuleuchten. Eine weitere Paßkontrolle gibt es allerdings nicht. Bald kommen zwei Schaffnerinnen (warum eigentlich zwei?) und ziemlich pünktlich verlassen wir nach etwa einer halben Stunde Aufenthalt den Grenzbahnhof. Aufgefallen sind mir hier zahlreiche streunende Hunde, die versuchen, von den Passagieren des Zuges irgendwas Freßbares (aus dem Fenster Geworfenes) zu finden. In Rumänien werde ich noch viel mehr streunende Hunde sehen!
Bild 32:
Viele Hunde neben dem Zug und sogar häufig unter den Wagen.
Bild 33:
80-0273 von CFR Marfa bei der Ausfahrt aus Giurgiu.
Wieder ein mir bekanntes Land: Rumänien
Für die nächsten 108 Kilometer bis Bukarest werden wir fast zwei Stunden benötigen. Leider hab ich nicht genau beobachtet, ob und welche Wagen in Giurgiu angehängt worden sind. Laut vagonweb.cz müßten es zwei blaue Wagen gewesen sein, allerdings stimmen die Wagentypen unseres Zuges auch im Abschnitt Sofia-Ruse nicht mit vagonweb.cz überein. Die Landschaft ist nun sehr flach und wenig interessant. Ich nütze also die Zeit nicht mehr für Fotos, sondern zum Ausrasten. Wir kommen in Bucuresti Nord mit etwa 10 Minuten Verspätung an. Auffallend ist, daß wir extrem langsam durch das Bahnhofsvorfeld einfahren (wie häufig in Rumänien üblich), und schon einige Minuten vor dem eigentlichen Bahnhof springen schon etliche Fahrgäste aus dem Zug und laufen quer über die Gleise zu irgendwelchen Öffnungen in der Begrenzungsmauer des Bahngeländes. Bei der geringen Geschwindkeit ist das relativ leicht möglich.
Bild 34:
Aussteigen während der Fahrt dürfte hier Mode sein.
Ich bin also endlich einmal in Rumäniens Hauptstadt. Den Wunsch, diese Stadt zu sehen, hatte ich schon lange. Ich bin sehr erstaunt, wie sauber und gepflegt der Bahnhof ist. Kein Vergleich mit Timisoara und auch nicht mit Sofia. Ich habe leider auf das Ausdrucken des Stadtplanabschnitts zwischen Bahnhof und Hotel vergessen, ich erinnere mich aber recht genau, daß ich entlang einer (wie ich ich bemerke, eingestellten) Straßenbahnlinie gehen muß. Ich schlage also gleich den richtigen Weg Richtung Parcul Cismigiu oder Gradina Cismigiu (sprich Tschischmidschu) ein und meine Erinnerung täuscht mich nicht, daß das Hotel an der Schleife einer (eingestellten) Straßenbahnlinie liegen muß. Unterwegs muß ich eine Baustelle passieren (ich vermute jedoch, daß die Straßenbahn nicht erst wegen der Baustelle eingestellt wurde), einer der wenigen Orte in Bukarest, der wirklich sehr schmutzig war. Kein Wunder, wenn die ganze Straße aufgegraben ist. Um es gleich vorwegzunehmen: Bukarest ist wirklich die sauberste Stadt, die ich bisher in Rumänien gesehen habe, oder sie wirkt jedenfalls so auf mich! Also ganz wie eine schöne Hauptstadt.
In weniger als einer halben Stunde bin ich bei meinem Hotel angelangt, nur wenige Meter vom berühmten Park entfernt. Es ist zwar leider nicht sehr billig, aber dafür wunderschön und das Zimmer ist geräumig und gut eingerichtet. Die junge Rezeptionistin freut sich, daß ich rumänisch spreche, sie selbst kommt allerdings aus Bulgarien, spricht aber sehr gut rumänisch!
Ich verlasse mein Hotel gleich wieder, um den nahen Park zu besuchen, von dem mir Julia ja schon erzählt hat, daß er so schön sein soll. Und tatsächlich bin ich überrascht, denn ich habe wirklich nicht so einen hübschen Park erwartet. Der älteste und berühmteste Park Bukarests ist eingezäunt und entstand um 1800. Ein Wiener Gartenarchitekt ließ bis 1860 zahlreiche Bäume pflanzen und nach Wiener Vorbild den Park mit Brücken, Teichen, Inseln und Alleen gestalten. 1910 gab ein deutscher Architekt dem Park dann sein heutiges Aussehen und war über 30 Jahre lang Gartendirektor. Mir gefällt der Park auf Anhieb, er strahlt eine Ruhe aus, die man in Wiener Parks heute nicht mehr überall findet. Es gibt viele (im Gegensatz zu Wien vor allem auch junge) Spaziergänger, viele Liebspaare und Eltern mit Kindern (es gibt auch einen Spielplatz für Kinder). Man fühlt sich wohl hier, denn die Leute scheinen alle gut aufgelegt zu sein und zufrieden mit der Natur, ohne daß sie irgendwelche Extravaganzen oder einen besonderen „Kick“ benötigen. Das fällt mir vor allem an den jugendlichen Liebespaaren auf. Auf den Bänken sitzen überall Leute und niemand stört sich am Lärm der spielenden Kinder.
Bild 35:
Schöne Villen gibt es in diesem Viertel mehrere (hier ist eine staatliche Behörde untergebracht).
Bild 36:
Gradina Cismigiu – die große Allee.
Inmitten des Parks ist am Teichufer eine Art Pavillon mit einem Restaurant und ich beschließe sofort, am Abend hier zu essen. Vorher aber spaziere ich noch durch den Park und einige angrenzende Straßen. Ich sehe auch einige repräsentative Gebäude wie ein Ministerium, eine Bibliothek, den ehemaligen königlichen Palast (jetzt Kunstmuseum) und die Biserica Kretzulescu (auch Cretulescu, eine alte kleine orthodoxe Kirche). Ich bin wirklich begeistert von diesem ersten Spaziergang: Die Gehsteige sind sauber und ordentlich, keine versteckten Fallen. Keine Abfälle. Von allen besuchten Städten auf dieser Reise erscheint mir Bukarest (vielleicht Zagreb ausgenommen) am saubersten.
Bild 37:
Die Biserica Kretzulescu in einem kleinen Park zwischen anderen Gebäuden.
Bild 38:
Und dieselbe Kirche von der anderen Seite.
Bild 39:
Viele schöne Gebäude gibt es in der Umgebung des Parks: Universitätsbibliothek.
Bild 40:
Auch in den „normalen“ Straßen gibt es viel hübsche Architektur zwischen neueren Bauten.
Bild 41:
Manche Häuser wurden schön renoviert.
Bild 42:
Und selbstverständlich gibt es auch Gebäude in einem typischen „Heimatstil“ – typisch rumänisch also.
Gegen 21 Uhr gehe ich dann zu dem schon erwählten Restaurant – die Kellnerin freut sich, daß ich Rumänisch spreche und vermutet gleich einmal, daß ich mit einer Rumänin verheiratet bin. Irrtum! „Aber Sie sprechen mit einem Akzent von Timisoara.“ – Klar, meine Freunde, von denen ich Rumänisch gelernt haben, sind ja von dort. Es gibt nicht mehr alles, was auf der Speisekarte steht, ich nehme einfach was Bodenständiges: Eine gekochte Hauswurst mit serbischem Reis. Leider hab ich übersehen, daß es auch Mamaliga (Maisbrei) gegeben hätte. Aber ich esse ja sicher noch einmal hier! Als Nachspeise kann ich mir wenigstens „Clatite Brasovene“ bestellen, das sind („Kronstädter“) Palatschinken mit Topfen (und vielen Rosinen!). Der Kaffee ist von Julius Meinl! Als zweites Bier nehme ich mir ein Ursus, aber das Ciuc hat mir besser geschmeckt! Alles zusammen kostet 54 Lei, das sind etwa 13,50 Euro. Zwar nicht extra billig, aber ich finde, das war’s wert, und in Österreich wäre es teurer gewesen. Ich hab es jedenfalls sehr genossen, und endlich kann ich mich wieder zwanglos mit allen Leuten unterhalten.
Auf dem Weg zurück zum Hotel sehe ich große Schilder, die dazu aufrufen, den Abfall nicht herunterfallen zu lassen, sondern in die Mistkübel zu geben. Vielleicht hat man da seit einiger Zeit eine Aktion für eine „Saubere Stadt“ gestartet? Jedenfalls fällt mir auf, daß hier nirgendwo etwas herumliegt. Ich staune, daß mir die Stadt auf Anhieb so gefällt – denn genau das hatte ich eigentlich nicht erwartet. Ich frage mich, wieso das so ist? Ist es Einbildung, weil ich mich einfach wegen der bekannten Sprache automatisch viel heimeliger fühle? Oder ist wirklich ein so großer Unterschied zu den bisherigen Ländern – oder zu Bulgarien? Ich werde keine schlüssige Antwort finden (und in Timisoara werde ich wieder die üblichen Gefühle angesichts von wenig Sauberkeit und viel Armut bekommen).
In wenigen Minuten bin ich bei meinem Hotel.
Bild 43:
Und das ist mein Hotel.
Fortsetzung hier:
Teil 17: Bucuresti
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:02:17:10:36:55.