Balkan-Abenteuer Teil 8: Podgorica - Bar
Die bisherigen Teile:
Teil 1: Wien-Zagreb
Teil 2: Zagreb-Sarajevo
Teil 3: Sarajevo
Teil 4: Mostar
Teil 5: Sarajevo-Dubrovnik-Split-Zagreb
Teil 6: (Zagreb-) Beograd
Teil 7: Beograd - Podgorica
Tag 10: Mittwoch, 21. Juli 2010 – Podgorica – Bar (-Skopje)
Am nächsten Morgen blicke ich vom Balkon Richtung Bahnhof hinüber. Ein Foto zu Dokumentationszwecken schieße ich natürlich schon, es zeigt einen ŽCG-Wagen im mittlerweile alten Anstrich, aber schon teilweise umlackiert auf die europäische Nahverkehrslackierung (=Grafitti) ;-)
Bild 1:
Blick vom Hotel-Balkon zur Abstellgruppe des Bahnhofs Podgorica.
Nach dem Frühstück möchten wir wenigstens kurz in die Altstadt schauen, um einen kleinen Eindruck zu bekommen. Gelesen haben wir ja davon:
Podgorica
Podgorica ist die Hauptstadt Montenegros. Sie hieß von 1946 bis 1992 Titograd (Stadt des Tito), um den damaligen Präsidenten Jugoslawiens zu ehren. Podgorica heißt übersetzt etwa „unterhalb des Hügels“. Der Staatspräsident residiert in Cetinje (eine historisch wichtige Stadt) und nicht in Podgorica, wo jedoch alle anderen wichtigen Institutionen des kleinen Staates ihren Sitz haben. Zwar wurde Podgorica schon 1326 erstmals als kleine Siedlung erwähnt, aber mit einer großartigen Geschichte kann es im Gegensatz zu Bar, Cetinje (Hauptstadt vom 15. Jahrhundert bis 1918), Skutari oder Städten im benachbarten Albanien nicht aufwarten. Die Einwohnerzahl beträgt nur etwa 140.000.
Im Lauf der Geschichte gehörte Podgorica unter anderem zum serbischen Reich, zu kleinen Fürstentümern und stand auch unter venezianischer Herrschaft, bevor es ab 1466 für lange Jahrhunderte zum Osmanischen Reich gehörte. Seit Podgorica auf dem Berliner Kongreß 1878 Montenegro zugesprochen wurde, ist es die größte Stadt des Landes, war 1916-18 von Österreich-Ungarn besetzt, 1941-43 von Italien, danach bis 1944 von Deutschland. Die übrige Zeit gehörte die Stadt wie ganz Montenegro zu Jugoslawien. Architektonisch prägend für die Stadt ist nach wie vor der türkische Einfluß (viele Moscheen), aber auch viele andere Stilrichtungen lassen sich finden. Sehenswert ist die „türkische“ Altstadt (Stara Varoš) mit den vielen kleinen engen Gäßchen, die Georgskirche aus dem 10. Jahrhundert im Norden, der osmanische Uhrturm „Sahat Kula“ aus dem 18. Jahrhundert, eine alte Brücke aus dem 15. Jahrhundert sowie die Zitadelle.
Alles können wir uns natürlich nicht ansehen, was man halt in einem einstündigen Spaziergang so alles sehen kann. Wir spazieren also die gleiche Straße wie gestern Abend Richtung Altstadt, überqueren aber die Hauptstraße und kommen tatsächlich zur Altstadt (Stara Varoš), wo kleine Gassen sind, die nicht gerade verlaufen, und wir sehen auch gleich den Uhrturm (Sahat Kula) aus dem 18. Jahrhundert und nicht weit davon ein Minarett einer kleinen Moschee.
Bild 2:
Zum Beispiel den Sahat Kula (osmanischer Uhrturm) am Rand der Altstadt…
Bild 3:
… sowie diese Moschee …
Bild 4:
Das kleine Gäßchen läßt nicht auf eine Hauptstadt schließen…
Bild 5:
Die Häuser hier sind mit groben Steinen gebaut.
Für viel mehr reicht die knappe Zeit bis zur Abfahrt unseres Zuges leider nicht. Gerade daß wir bis zum Fluß kommen, die alte Brücke ist aber zu weit entfernt. Also geht es wieder zurück über andere Gassen zum Bahnhof. Um 9 Uhr sind wir schon wieder bei unserem Hotel und holen unser Gepäck ab.
Auf dem Bahnhof wartet eine Unmenge von Leuten auf den Regionalzug nach Bar, und so wie sie alle aussehen, wollen sie alle ans Meer zum Baden. Nur: der Zug ist noch nicht da. Zeit genug, um uns die hiesige Bahngesellschaft näher anzusehen:
Željeznica Crne Gore
Die Eisenbahnen Montenegros haben das kleinste Streckennetz aller europäischen Nationalbahnen, nämlich nur 250 km (die Luxemburgischen Eisenbahnen haben ein Streckennetz von 275 km!). Schon am 1.12.2002 wurde die Bahngesellschaft Montenegros gegründet, noch bevor das Land unabhängig wurde. Das Netz besteht heute aus drei Strecken:
1. Die eingleisige Hauptstrecke von der Grenzstation Bijelo Polje (Anschluß nach Serbien) über die Hauptstadt Podgorica zum Adriahafen Bar (175 km). Die Strecke ist Teil der 476 km langen Linie Beograd-Bar, deren Bau 1952 begonnen wurde. Der erste Teilabschnitt auf montenegrinischem Boden wurde 1959 eröffnet (Podgorica-Bar) eröffnet, 1976 erfolgte mit dem Anschluß an das serbische Netz die Fertigstellung der ganzen Strecke (Elektrifizierung 1979). Die Strecke ist sehr bemerkenswert, liegt doch auf montenegrinischem Staatsgebiet das berühmte Mala Rijeka-Viadukt, die höchste Eisenbahnbrücke der Welt (198m Höhe, 498m Länge). Der längste Tunnel in Montenegro ist 6171m lang (es gibt noch einen in Serbien mit gleicher Länge). Auf montenegrinischem Gebiet gibt es 94 Brücken und 102 Tunnel (zusammen 58 km), die Strecke erreicht eine Seehöhe von 1032 Metern.
2. Die eingleisige Nebenstrecke von Podgorica nach Nikšic (50 km), 1965 nach Umspurung einer alten 760mm-Strecke in Normalspur eröffnet. Seit 2004 ist diese Linie eingestellt, sie wurde elektrifiziert und sollte eigentlich 2010 wieder eröffnet werden. Für eine Verbindungsstrecke von Nikšic zur Linie Sarajevo-Ploce in Bosnien-Herzegowina gibt es Pläne.
3. Die eingleisige Nebenstrecke von Podgorica zur albanischen Grenze bei Tuzi (albanischer Grenzbahnhof Han i Hotit), 25 km, eröffnet 1986. Die Strecke stellt die einzige Verbindung Albaniens mit dem europäischen Schienennetz dar, es gibt derzeit aber nur Güterverkehr. Über den Personenverkehr wird seit Jahren nur verhandelt.
Bevor die erste Normalspurbahn auf dem Gebiet Montenegros eröffnet wurde (1959), gab es nur Schmalspurstrecken, die mit dem berühmten bosnischen Schmalspurnetz verbunden waren. 1908 wurde eine 750mm-Strecke von Bar nach Virpazar am Skutarisee eröffnet (43 km), die ein Gebirge überschritt und auch einen 1300m langen Scheiteltunnel enthielt. Sie wurde mit Eröffnung der Linie nach Bar eingestellt. Mit der Gründung des Königreiches Jugoslawien kam ein Teil des früher zu Österreich-Ungarn gehörigen Gebietes zu Montenegro und damit ein Stück des bosnischen bzw. Dalmatiner Schmalspurnetzes (760mm): Eine Nebenstrecke der Linie Sarajevo-Ploce führte von Gabela nach Dubrovnik und über Hercegnovi nach Zelenika (eröffnet 1901). Das waren jedoch nicht einmal 10 km Bahnstrecke auf dem Gebiet Montenegros. Vom bosnischen Trebinje aus wurde ab 1923 eine 760mm-Linie nach Montenegro gebaut, die 1939 Nikšic und 1948 Podgorica erreichte. Damit war Montenegro über Bosnien mit der großen Welt verbunden, wenngleich nur auf Schmalspur. Bis 1976 waren aber alle Schmalspurstrecken eingestellt.
Das kleine Land verfügt auch nur über 28 betriebsfähige Lokomotiven (16 elektrische und 12 Dieselloks) und 3 elektrische Triebwagen für den Lokalverkehr. 11 weitere Dieselloks sind in teilweise desolatem Zustand abgestellt. Die Baureihen im einzelnen: 412 (3 Stk.), 461 (16 Stk.), 642 (4 Stk.), 643 (2 Stk.), 644 (4 Stk.), 661 (2 Stk.). Die vier Loks der Reihe 644 wurden gebraucht aus Slowenien erworben. Möglicherweise sind diese Zahlen aber schon überholt.
Bild 6:
Bahnhofsgebäude und Hausbahnsteig Podgorica.
Bild 7:
Die 644-015 ex Slowenien von „MonteCargo“ verschiebt im Bahnhof.
Bild 8:
Manche Wagenbeschriftungen sehen etwas provisorisch aus. Auch die Eigentumskennzeichnung (aufgeklebt).
Bild 9:
Diese Leute überqueren nicht die Gleise, sondern sie halten sich auf den Gleisen auf!!
Der Zug 6101 aus Bijelo Polje kommt statt um 9.25 Uhr erst um 9.38 Uhr an. Die drei Wagen dieses Zuges werden für den 6153 nach Bar weiterverwendet und alle stürmen den kurzen Zug.
Bild 10:
Das ist nur ein Teil der Fahrgäste, die den Zug stürmen wollen!
Der Zug wird von der 641-040 gezogen, von den drei Wagen ist der mittlere im älteren orange/gelben Anstrich gehalten, die beiden anderen im neueren weiß/grauen Lack. Wenige Minuten später wird die Garnitur mit vier weiteren Wagen verstärkt. Ich habe das sichere Gefühl, daß die hinteren Wagen relativ leer bleiben, obwohl manche Leute ängstlich nach hinten laufen, nicht wissend, daß wir sowieso noch nicht abfahren. Klarerweise versuche ich erst gar nicht, irgendwo in einem Abteil einen Sitzplatz zu bekommen. Ich möchte sowieso am Fenster stehen und die Landschaft betrachten und einige Bilder machen – und irgendwie genieße ich auch dieses Urlaubsgefühl. Die Fröhlichkeit der Menschen und deren freudige Erwartung eines schönen Badetages steckt ja auch an. Unterwegs werden überall noch viele Leute zusteigen. Alles strömt zu den Stränden! Wir fahren mit etwa 10 Minuten Verspätung ab, eigentlich kann man das noch als pünktlich betrachten.
Bahnfahrt nach Bar
Die Fahrt ist ein Erlebnis, schon alleine wegen der vielen Leute, die natürlich am Gang und auf den Plattformen stehen. Alle Fenster sind offen, auch die Türen bleiben offen. Bei der Ausfahrt sehe ich eine Schmalspurgarnitur als Denkmal neben dem Bahnhofsgebäude stehen. So etwas Dummes: ich habe das nicht gewußt und hätte nur einige Schritte nach Süden gehen müssen, um den Zug aus der Nähe zu sehen. Nun reicht es gerade noch für einen Notschuß aus dem Zugsfenster…
Bild 11:
Schmalspur-Museumsgarnitur im Bahnhof Podgorica.
Das nächste Interesse gilt der Nebenlinie Richtung Albanien, die bald nach dem Bahnhof abzweigen muß. Tatsächlich sehe ich die Strecke dann auch, die sich in den ausgedehnten Weingärten verliert. Ich kann nur quer durch das vollbesetzte Abteil durchfotografieren (Bild nicht herzeigbar). Ob und wieviel (Güter-)Verkehr es derzeit über diese Strecke gibt, weiß ich natürlich nicht. Bei der Rückfahrt von Bar werde ich auf der richtigen Seite sein und ein besseres Bild machen können.
Bild 12:
Haltestelle Aerodrom.
Die Haltestelle „Aerodrom“ hat wenig mit einem Flughafenbahnhof gemeinsam. Aber sie ist mir doch ein Foto wert. Interessant sind auch die neu erbauten Häuser, die man manchmal neben der Strecke sieht. Ein sehr seltsames Erlebnis ist auch der etwa 9 Jahre alte Bub, der am Fenster neben mir steht. Was heißt: steht! Er hängt mehr als er steht, weil er so klein ist. Er hievt sich also immer irgendwie zum Fenster hinauf und mit aller Kraft hält er sich am Fenster fest, weil seine Füße keinen Halt finden. Und er raucht (!) – und keiner der Umstehenden sagt etwas. Ob er alleine oder mit Eltern oder Freunden unterwegs ist, vermag ich nicht zu beurteilen.
Wir fahren durch eine Ebene, die von Bergen begrenzt wird, dann geht es über einen Damm durch den Skutari-See (Skadarsko jezero). Schon vorher sieht man viel Wasser, ob das alles zum See gehört? Es ist jedenfalls eine interessante Landschaft. Während der Seeüberquerung passieren wir auch die Ruine der Festung Lesendro (Tvrdjava Lesendro).
Bild 13:
Festung Lesendro im Skutarisee.
Bild 14:
Inseln im Skutarisee.
Bild 15:
Blick zurück auf unseren Zug – entlang von Felsen…
Die Landschaft ist Richtung Westen recht abwechslungsreich: nämlich Berge gleich am Ufer des Sees und auch Inseln. Dann geht es plötzlich geradewegs auf einen hohen Bergrücken zu und dann verschwinden wir im Tunnel, der gar nicht so kurz ist. Auf der anderen Seite kommen wir bald in Sutomore an (mit 18 Minuten Verspätung!), der Zug bleibt aber vor dem eigentlichen Bahnhof stehen, sodaß die hinteren Wagen ohne Bahnsteig bleiben. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ob nicht die Bremsen irgendwas gehabt haben oder ob jemand die Notbremse gezogen hat (es gab ein Pfeifgeräusch!). Jedenfalls strömen die Leute aus dem Zug, als könnten sie einen besonderen Platz am Strand verpassen. Alles rennt quer über die Gleise. Ein herrlicher Anblick! Der Zug zieht deshalb auch gar nicht mehr nach vor, weil sowieso alle Leute schon draußen sind.
Bild 16:
Bahnhof Sutomore. Hier vorne ist sogar schon ein Stück Bahnsteig, …
Bild 17:
…weiter hinten jedoch springen die Leute auf den Gleisschotter und laufen über den Schotter Richtung Meere, als ob sie das täglich so machen würden…
Auf der Weiterfahrt ist der Zug fast leer. Dafür gibt es wunderschöne Ausblicke auf das Meer.
Bild 18:
Blick auf die schöne Küste...
Bild 19:
… und zurück auf unseren Grafitti-Zug.
14 Minuten später halten wir im kleinen Ort Šušanj (hier beträgt die Verspätung schon 25 Minuten) und fünf Minuten später erreichen wir den Endbahnhof Bar. Für die 50 Kilometer haben 10 Minuten mehr als geplant benötigt, nämlich 71 Minuten. Ein modernes Bahnhofsgebäude aus Beton steht hier – ebenso wie in Podgorica auch. Kaum sind wir aus dem Zug (ich versäume ein Bild des Zuges zu machen) und schauen uns um, ob es eine Gepäckaufbewahrung gibt, stürmt schon ein Mann auf uns zu und ruft unentwegt: Taxi! Taxi! Taxi! Und die Frage, wohin wir wollen. Natürlich wissen wir, wohin wir wollen: nach Stari Bar, also in die alte Stadt, die von Krieg und Erdbeben zerstört und spätestens 1979 komplett aufgegeben wurde.
Der Taxifahrer drängt immer wieder und wirbt, uns nach Stari Bar fahren zu wollen, es kostet nur 5 Euro. Wir vertrösten ihn aber auf später. Zunächst gehen wir zum Fahrkartenschalter und fragen wegen der Reservierung eines Schlafwagens für heute Abend. Die Dame am Schalter teilt mir aber mit, daß sie derzeit noch nicht sagen kann, ob der Zug einen Schlafwagen führen wird, ich solle um 13 Uhr wieder kommen. Da sind wir aber gerade in Stari Bar, aber wir könnten etwa um 17 Uhr wieder hier sein. Sie meint, das wäre kein Problem, wir könnten auch um 17 Uhr noch Karten bekommen.
Als wir aus dem Bahnhof kommen, suchen wir nach einer Gepäckaufbewahrung. Der Taxifahrer hofft noch immer und läuft uns nach. Wir lassen ihn wissen, daß wir in 10 Minuten fahren wollen, aber nicht früher. Dafür zeigt er uns, wo die Gepäckaufbewahrung ist! Gottseidank gibt es so etwas hier! Und gleich daneben steht eine Schmalspurlok mit einem Wagen als Denkmal, die wegen des Sonnenstandes nicht gut fotografiert werden kann. Die 642-173 verschiebt im Bahnhof, aber wir halten uns nicht mehr auf, sondern suchen unseren Taxilenker, der sich freut, schließlich doch noch sein Geschäft mit uns zu machen. Er bringt und in wenigen Minuten nach Stari Bar (6 km entfernt), fragt sogar, wann er uns wieder abholen soll, aber wir machen ihm klar, daß wir nicht wissen, wie lange wir hier bleiben wollen, daß es jedenfalls mehrere Stunden sein würden und daß wir hier essen wollen. Er empfiehlt uns dann sogar noch ein Lokal, wir werden uns aber später doch für ein anderes entscheiden.
Nun ist es Zeit, etwas mehr über Bar und das zerstörte Stari Bar zu erfahren:
Stari Bar
Die Stadt Bar liegt an der Adriaküste und hat 13.700 Einwohner. Die Großgemeinde mit 40 Ortschaften jedoch 40.000. Die erste Erwähnung von „Antibarium“ erfolgte im 9. Jahrhundert mit der Gründung eines Bistums. Es gab viele wechselnde Herrscher in dem Gebiet, was auch an den verschiedenen Namen der Stadt deutlich wird (italienisch: Antivari, albanisch: Tivan). Die erste Stadt lag vermutlich dort, wo heute der Hafen liegt. Wegen der Piratengefahr gründeten die Bewohner später jedoch landeinwärts an den Hängen des Rumija-Gebirges eine neue Stadt, das heutige „Stari Bar“ (altes Bar). Große Viertel der Altstadt wurden nach dem Krieg 1877, als die Montenegrinier die Stadt von den Osmanen zurückeroberten, zerstört und nicht mehr aufgebaut, sodaß seit damals schon ein Teil der Stadt aus Ruinen bestand. Damals entstand auch an der Küste wieder eine Stadt: „Novi Bar“ (neues Bar).
Der Hafen von Bar wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg von Jugoslawien erbaut, um Beograd einen näheren Hafen zu sichern. Trotz Eröffnung der Bahnlinie Beograd-Bar blieb der Warenumschlag hinter den Erwartungen zurück, nach wie vor waren Häfen wie Split oder Koper bedeutender. 1979 wurde die Altstadt (Stari Bar) durch ein schweres Erdbeben zerstört. Die Altstadt wurde daraufhin nicht mehr aufgebaut, sondern endgültig verlassen und an der Küste eine neue Stadt erbaut. Die Ruinen der alten Stadt geben ein gespenstiges Bild: einerseits die schon seit 1877 verlassenen Flächen, andererseits die vom Erdbeben zerstörten Bauten. Inzwischen wurden aber dennoch einige Gebäude restauriert (Kirchen, bischöflicher Palast, Aquädukt), und „Stari Bar“ („Das alte Bar“) gilt heute als Touristenattraktion. Sehenswert sind die romanischen Markuskirche, die gotische Kirche St. Katharina, der bischöflichen Palast, und ein großer Aquädukt an der Nordseite der Stadt. Große Teile der Altstadt sind schon seit dem Beschuß im osmanisch-montenegrinischen Krieg 1877 nur noch Ruinen.
Bild 20:
Blick vom Parkplatz vor der Stadt auf die Ruinenstadt Stari bar mit dem wunderschönen Gebirge im Hintergrund.
Vom Parkplatz aus können wir schon die Ruinen-Altstadt von Ferne sehen und fotografieren. Wir spazieren dann durch Gassen einer Art Vorstadt, die noch belebt ist, also nicht verlassen wurde. Ob hier auch Zerstörungen beim großen Erdbeben waren, kann man heute natürlich nicht mehr feststellen.
Bild 21:
Sozusagen die „Vorstadt“ von Stari Bar:
Beeindruckend sind die wuchtigen Berge im Hintergrund, in den Gassen gibt es schon mehrere Lokale, aber wir sind eben erst angekommen und wollen zunächst einmal die Stadt sehen. Unsere Straße führt später an der Stadtmauer entlang und man fühlt sich schon in vergangene Zeiten zurückversetzt. Einige Anwesen außerhalb der Stadtmauer wirken so, als ob hier die Reichen daheim wären, auch eine Moschee sehen wir.
Bild 22:
Kurz vor dem Stadttor geht man an der wuchtigen Stadtmauer entlang.
Wir kommen dann zu einem Stadttor und bezahlen dort Eintritt (1 Euro), dann beginnt ein Rundgang durch die Ruinen. Natürlich sind nicht alles Ruinen, einige Gebäude sind renoviert worden. Es fällt trotzdem schwer, sich vorzustellen, daß die Stadt bis 1979 noch – zumindest teilweise – bewohnt gewesen sein soll. Man braucht schon ein wenig Phantasie, um sich hier ein Stadtleben vorstellen zu können. Nicht zuletzt wegen der exponierten Lage der von einer weitgehend noch intakt gebliebenen Stadtmauer umgebenen kleinen Stadt. Wenn mir jemand weismachen wollte, daß die Stadt seit 300 Jahren verlassen ist, könnte ich das ebenso glauben. Leider fand ich bisher keine Bilder der Stadt zwischen (z.B.) 1960 und 1979. Einzelne Gebäude und Gebäudeteile wurden inzwischen instandgesetzt, so ein Uhrturm, eine Kirche und einige andere Gebäude, in manche kann man auch hineingehen. Besonders beeindruckt mich aber der Ausblick in Richtung Berge. Die Stadt liegt sozusagen am Berghang. In Richtung Meer breitet sich eine Ebene aus, die ziemlich bebaut ist – hauptsächlich mit Einfamilienhäusern. In Richtung Berg ist aber abrupt ein Ende der Bebauung festzustellen. Hier einen Spaziergang in ein kleines Tal, dessen Bach fast kein Wasser mehr führt, zu machen, wäre sicher schön, wenngleich bei den herrschenden Temperaturen (etwa 40 Grad) vielleicht nicht gerade jetzt zu empfehlen. Nun einige Bilder der „Stadt“:
Bild 23:
So sieht es meist aus in der Stadt: kleine Wege, viele Treppen, Mauerreste und Gebäudereste.
Bild 24:
Eines der wiederhergestellten Gebäude.
Bild 25:
Der Uhrturm mit Blick in die Umgebung Richtung Meer.
Bild 26:
Blick im nördlichen Eck der Stadt Richtung Berge.
Bild 27:
Eine (orthodoxe) Kirche und ein weiteres rekonstruiertes Gebäude.
Bild 28:
In einem Eck der Stadtmauer gibt es Reste einer Festung.
Bild 29:
Vieles im Gelände ist aber von Grün überwuchert: Blick Richtung Festung.
Bild 30:
Sehr beeindruckend: ein Stück Stadtmauer, das beim Erdbeben 1979 beschädigt worden ist, aber weder repariert noch abgetragen wurde. Die Macht eines solchen Bebens wird einem beim Betrachten des Bildes so richtig bewußt. Aber auch die Baukunst vergangener Jahrhunderte…
Es hat 40 Grad, die heiße Luft wird noch überlagert vom lauten Lärm der Zikaden (oder was immer das für Insekten sind). Ich kann sogar einige dieser Tiere entdecken und fotografieren! Hier empfinde ich also wirklich ein echtes Urlaubs-Feeling: alles paßt perfekt, ich fühle mich rundherum wohl, es ist einfach himmlisch hier. Die Hitze stört mich nicht. Zum ersten Mal im Leben sehe ich einen Granatapfelbaum! Er trägt zugleich Blüten und (unreife) Früchte.
Bild 31:
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Bild 32: [i]Von einer Zitadelle hat man einen Ausblick auf die noch bewohnte „Vorstadt“ außerhalb der Stadtmauer.
Köstliches Mittagessen vom Lamm
Vom vielen Herumgehen sind wir natürlich sehr müde. Bevor wir die Ruinenstadt verlassen, rasten wir noch beim Stadttor unter einem großen, schattigen Baum, wo es angenehm kühl ist. Danach begeben wir uns wieder in Richtung Bahnhof und schauen in den Gassen außerhalb der Stadtmauern nach einem geeigneten Lokal, wo wir uns stärken können. Wir finden ein sehr kleines, sehr alt und urtümlich aussehendes Lokal, dessen Junior für sein Alter (11 Jahre) bemerkenswerte Fähigkeiten besitzt. Nicht nur, daß er sich ausgezeichnet auf Englisch unterhalten kann und gekonnt für seinen Vater übersetzt, beherrscht er die Kunst der Werbung, offeriert uns (handgeschriebene) Speisekarten auf Englisch, Russisch und natürlich auch Serbisch/Montenegrinisch.
Bild 33:
Der kleine „Kellner“ vor dem Restaurant „Kaldrma“, wo man „traditionelle Küche“ verspricht.
Es gibt einen kleinen Gastgarten auf der gegenüberliegenden Gassenseite, wir ziehen es jedoch vor, in der Gaststube zu sitzen, denn hier ist es schattig und kühl und das Ambiente ist einfach zu schön, um mit wenigen Sekunden der Betrachtung auszukommen. Hier sieht alles authentisch aus und ist es vermutlich auch. Der Gastwirt kann außer wenigen Höflichkeitsbrocken nicht Englisch, der Bub übersetzt aber perfekt und mit einem akzentfreien Englisch. Ich bin überzeugt, er kann auch noch andere Sprachen, wenngleich nicht Deutsch!
Bild 34:
Ein Blick in die Küche verrät: hier wird noch auf einem alten Steinherd (offenes Feuer) gekocht!
Bild 35:
Alles sieht authentisch aus. Einfach und schlicht, aber wir fühlten uns sehr wohl. All die anderen Gäste waren im Gastgarten unter Sonnenschirmen, wo es viel heißer war als hier in dieser einfachen Stube. Auch der Nachbartisch ist schon für die nächsten Gäste gedeckt.
Bild 36:
Nach dem Essen darf türkischer Kaffee nicht fehlen!
Aufgrund der angebotenen Getränke und Speisen vermuten wir, daß es sich um ein moslemisches Haus handelt. Alkohol gibt es keinen, dafür aber Wasser und einen selbstgemachten Weichselsaft, der mit einer Wertschätzung ins Glas gegossen wird, als handle es sich um das Wertvollste im Hause (für Nicht-Österreicher: Weichseln sind Sauerkirschen!). Man fühlt sich sofort sehr wohl und wie der einzige Gast (andere Gäste sitzen nur im Gastgarten im Freien). Der Bub hat alle Hände voll zu tun, denn er erklärt den Gästen nicht nur, was man alles haben kann, sondern bringt auch die Speisen und Getränke in perfekter Manier wie ein Kellnerlehrling, der gerade seine Gesellenprüfung ablegt. Wir haben eine gute Wahl getroffen. Das Essen (wir wählen Lamm mit Reis und Paprika) wird in einer richtig alten Küche mit altem Ofen vorbereitet. Ein verstohlenes Foto muß ich von dem Blick zur Küche mit Köchin unbedingt machen. Zum Abschluß des Essens wählen wir natürlich einen türkischen „Kafa“, als Gabe des Hauses bekommen wir noch einen kleinen Teller mit Obst (Melonen). Das ganze Essen macht zusammen für zwei Personen 27,50 Euro aus. Alle Sinne sind befriedigt, wir fühlten uns sehr wohl und nehmen nun den Fußmarsch zum Bahnhof in Angriff. Die 5 Kilometer sind ja sicher leicht zu schaffen und es ist auch ein sehr schöner Verdauungsspaziergang, bei dem man die unterschiedlichsten Häuser dieser Gegend beobachten kann.
Liegewagen statt Schlafwagen
Am Bahnhof angekommen, fragen wir gleich beim Schalter nach einer Schlafwagenkarte, doch erklärt uns die Beamtin, daß heute kein Schlafwagen verkehrt, wir können aber einen Couchette buchen, was wir auch machen. 6 Euro kostet der Platz im Viererabteil.
Bild 37:
Für Fahrkartenfreunde: unsere Liegewagen-Reservierung von Bar nach Skopje.
Da der Sonnenstand jetzt günstiger ist, fotografiere ich den Museumszug, der hier als Denkmal steht. Gebaut wurde die Lok bei Borsig 1910.
Bild 38:
Museumszug im Bahnhof Bar.
Bild 39:
461-040 mit P6457 von Podgorica bei der Ankunft in Bar.
Kurz darauf kommt ein Zug mit der 461-040 und ŽCG-Wagen in neuer Lackierung. Es kann sich dabei nur um den verspäteten Putnicki 6457 von Podgorica handeln. Auf Gleis 2 steht auch schon unser Zug bereit, die Wagen machen aber einen eher erbärmlichen Eindruck, nicht nur der vielen Graffiti wegen. Der vorderste ist der MŽ-Liegewagen nach Skopje (der ist in Ordnung), die nächsten drei (ŽS-)Wagen fahren bis Niš, die restlichen vier (ŽCG-)Wagen in der orange/gelben oder grau/weißen Lackierung sind mit Bijelo Polje angeschrieben, in Wahrheit werden sie aber schon in Podgorica abgehängt. Es sind wohl nur die Verstärkerwagen für die Bäderzüge.
Bild 40:
Das Zuglaufschild der Wagen nach Niš ist einfach aufgeklebt!
Bild 41:
Unser MŽ-Liegewagen nach Skopje: 51 65 50-80 003-6 Bcm.
Bild 42:
Das Abteil in Tagesstellung.
Bild 43:
Die kurz zuvor angekommene 461-040 zieht unseren Zug.
Bild 44:
Kurz vor unserer Abfahrt kommt noch ein Regionalzug mit Reihe 412 an.
Fahrt nach Skopje im B1140
Die Abfahrt ist pünktlich um 18 Uhr, das wird aber auch das einzig Pünktliche bei diesem Zug sein – wie bei den meisten unserer Fahrten auf dem Balkan. Bis Niš wird unser Liegewagen vom Zug B1140 befördert. Dort sind fast zwei Stunden Aufenthalt eingeplant, und mit dem Zug B1139 Richtung Griechenland werden wir dann weiterbefördert. Vorerst sind wir jedoch noch in Montenegro und erklimmen die Steigung zur großen Brücke Mala Rijeka. Diesmal hoffe ich, bessere Bilder als bei der Herfahrt machen zu können. Ein wenig heller als gestern sollte es heute schon noch sein. Während der Fahrt passiert es einige Male, daß der Zug auf freier Strecke stehenbleibt. Jemand hat offensichtlich wieder die Notbremse (versehentlich?) betätigt, das erste Mal im Tunnel. Der Lokführer gibt Signal (lang-kurz-kurz) und der Schaffner läuft durch den Zug und kontrolliert alle Notbremshebel, um durch irgendeine Blockierungsaufhebung die Weiterfahrt zu ermöglichen. Das passiert dann noch ein- oder zweimal. Das Geräusch der Luft ist dann schon durchdringend und schreckt mich jedes Mal ein wenig. Vor Podgorica kann ich endlich ein Bild der Abzweigstrecke Richtung Albanien machen. Die Strecke verliert sich in den ausgedehnten Weinplantagen:
Bild 45:
Abzweigstrecke Richtung Han i Hotit (Albanien).
Bei Podgorica fallen mir einige (ausrangierte?) Triebwagen der Reihe 412 auf. Laut einer Liste (von Railfaneurope vermutlich) gibt es in Montenegro nur drei solcher Triebwagen, hier stehen aber mehrere. Weit hinten kann ich einen erkennen, der in den neuen Farben weiß/hellgrau lackiert ist. Auch einige JŽ-Loks Reihe 744 stehen hier, vermutlich auch schon außer Betrieb, jedenfalls noch als JŽ beschriftet. Von so einer Baureihe hab ich noch nie gehört. Der Unterschied zwischen den 600er und 700er-Nummern ist ja der, daß die 600er dieselelektrisch sind, die 700er hingegen dieselhydraulisch.
Bild 46:
744-006 der JŽ, vermutlich schon ausgemustert.
In Podgorica kommen wir mit 12 Minuten Verspätung an, jedoch wird der Aufenthalt von 10 geplanten Minuten auf 5 gekürzt – trotz Abhängens der vier Verstärkerwagen.
In unserem Abteil ist außer uns noch ein recht freundliches serbisches Ehepaar aus Niš, doch die Konversation beschränkt sich auf wenige kurze Sätze, die wir radebrechen. Wir erhalten auch eine Kostprobe einer serbischen Gibanica. Im Unterschied zu der Gibanica aus Prekmurje (meine Nachbarschaft) ist diese hier ganz anders, ein anderer Teig und nur mit Topfen (=Quark) gefüllt, eine Art Strudel, jedenfalls ist diese hausgemacht und natürlich sehr gut. Unser Wagen ist gut gefüllt, doch dürften alle Abteile nur mit je vier Personen belegt sein.
Mala Rijeka-Brücke (198 Meter hoch)
Etwa eineinhalb Stunden nach unserer Abfahrt von Bar erreichen wir die Mala Rijeka-Brücke – die höchste Eisenbahnbrücke der Welt! – und ich kann endlich ein paar Bilder machen, die etwas besser gelingen als bei der Hinfahrt. Die Brücke ist nicht nur sehr hoch, sondern auch 500 Meter lang! Ich stelle den ISO-Wert sicherheitshalber auf 400, da es ja doch schon dämmerig ist. Kurz nach dieser Brücke ist es dann endgültig zu dunkel zum Fotografieren. Noch zwei Bilder von der hoch über dem Tal gelegenen Bahntrasse in die interessante Tallandschaft unter uns, und dann ziehe ich mich ins Abteil zurück. Hier ein paar letzte Landschaftsbilder von Montenegro, jeweils 10 minuten vor und 10 Minuten nach der großen Brücke:
Bild 47:
Noch ziemlich am Talgrund neben dem Fluß.
Bild 48:
Aber wir steigen beständig… und in 10 Minuten sind wir schon …
Bild 49:
… kurz vor der Mala Rijeka-Brücke. Sofort nach dem Tunnelende geht es auf die Brücke.
Bild 50:
10 Minuten später haben wir einen Berg umrundet und blicken tief hinunter ins Tal.
Bei den nächsten Stationen wächst unsere Verspätung wieder. Im montenegrinischen Grenzbahnhof Bijelo Polje kommen wir mit 20 Minuten Verspätung an und fahren mit 15 Minuten Verspätung weiter. Wo der Lokwechsel durchgeführt wurde, kann ich nicht mehr sagen. Anders als beim Zug Beograd-Bar halten wir nicht im serbischen Grenzbahnhof Vrbnica, sondern fahren bis Prijepolje Teretna durch. Als wir bei der Hinfahrt in Vrbnica gehalten haben, sahen wir ja auch einen Gegenzug dort durchfahren. Was der Grund für die unterschiedlichen Grenzbahnhöfe ist, weiß ich nicht. In Prijepolje Teretna, dem serbischen Grenzbahnhof (immerhin 44 Minuten vom montenegrinischen Grenzbahnhof entfernt!) gibt es einen planmäßigen Aufenthalt von 30 Minuten, der wegen unserer Verspätung (24 Minuten bei der Ankunft) auf 18 Minuten gekürzt wird. Die Grenzkontrolle ist einfach und unkompliziert, jedoch bekommen wir von Montenegro bei der Ausreise keinen Stempel (bei der Einreise gabs schon einen). Die Serben stempeln natürlich immer genau, wie man weiß.
Von der weiteren Fahrt bekomme ich nicht mehr viel mit, denn wir gehen schlafen, es ist 23 Uhr vorbei.
Fortsetzung:
Teil 9: (Bar -) Skopje
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:01:07:16:55:28.