Balkan-Abenteuer Teil 7: Beograd – Podgorica
Die bisherigen Teile:
Teil 1: Wien-Zagreb
Teil 2: Zagreb-Sarajevo
Teil 3: Sarajevo
Teil 4: Mostar
Teil 5: Sarajevo-Dubrovnik-Split-Zagreb
Teil 6: (Zagreb-) Beograd
Tag 9: Dienstag, 20. Juli 2010 – Beograd - Podgorica
Das Zimmer ist trotz des günstigen Preises sehr gepflegt, auch das Bad ist total okay, was man ja nicht überall so sagen kann. Wir essen gleich beim Bahnhof bei einem kleinen Stand, wo man Kaffee bekommen kann. Bäckerei ist gleich daneben, und es ist absolut kein Problem, das dort Gekaufte hier am Tisch zu verzehren. In Österreich würden wir böse Blicke ernten oder noch Schlimmeres… Heute steht also einer der Höhepunkt der Reise auf dem Programm: die Fahrt nach Montenegro auf der Linie Beograd-Bar. Aber bevor wir die serbische Hauptstadt verlassen, sollten wir uns noch ein wenig die Entwicklung des Verkehrs von und nach Beograd im Lauf der letzten Jahrzehnte anschauen:
Bahnhof Beograd
Die Zeiten, als Beograd das Ziel vieler internationaler Zugläufe war, sind heute zwar vorbei (die Gastarbeiterströme sind verebbt, wenn, dann wird über weite Entfernungen heute geflogen, wie sich die Zugsverbindungen über die Route Westeuropa-Zagreb-Beograd entwickelt haben, haben wir beim Grenzübergang Tovarnik-Šid bereits gesehen), aber aus den anderen Richtungen hat sich der Verkehr von und nach Beograd nicht so stark gewandelt (Verbindungen nur bis Montenegro und Mazedonien sind nicht berücksichtigt).
Richtung Ungarn:
1986/87:
B376 Meridian: Beograd-Budapest-Praha-Berlin
B330 PoloniaEx: Sofia-Beograd-Budapest-Warszawa und Berlin
B232 Puškin: Beograd-Budapest-Moskwa
2008/09:
IC344 Avala: Beograd-Budapest-Bratislava-Praha*
B1120 Ivo Andric: Beograd-Budapest (Sommer)
B340 Beograd: (Sofia-) Beograd-Budapest (-Wien)
Richtung Rumänien:
1986/87:
241 Bucuresti-Ex: Beograd-Bucuresti
2008/09:
B361 Bucuresti: Beograd-Bucuresti
Richtung Bulgarien:
1986/87:
Ex1293 Istanbul-Ex: München-Beograd-Sofia-Istanbul (Sommer)
B331 Polonia-Ex: Warszawa/Berlin-Budapest-Beograd-Sofia
2008/09:
B491 Balkan-Ex: Beograd-Sofia-Istanbul
B293 Beograd-Sofia
Richtung Griechenland:
1986/87:
291 Akropolis-Ex: München-Beograd-Kosovo Polje-Athen
263 Venezia-Ex: Venezia-Beograd- Niš-Athen
411 Hellas-Ex: Dortmund-Beograd-Niš-Athen
2008/09:
ICB337 Olympus: (Ljubljana-) Beograd-Thessaloniki
B335 Hellas-Ex: Beograd-Thessaloniki**
* tw. Kurswagen nach Praha, Kyjiv, Moskva, Bratislava und von Bar
** tw. Kurswagen von Kyjiv, Moskva, Praha, Budapest, Bratislava
Und natürlich gelten heute die Züge nach Bar (im Sommer 6) auch als internationale Züge. Richtung Skopje gibt es heute nur die beiden Züge nach Thessaloniki. 1986/87 gab es natürlich noch mehr Verkehr nach Mazedonien: neben den drei Griechenlandzügen (von denen einer über Kosovo Polje anstatt via Niš nach Skopje fuhr) gab es einen Zug Ljubljana-Skopje-Bitola (!) sowie drei Züge Beograd-Skopje.
Die Zeit bis zur Abfahrt unseres Zuges nutze ich, um Fotos zu machen. Zum Beispiel vom Bahnhof innen:
1:
Links des Bildausschnitts ist die Polizei, rechts eine Gaststätte, die kleine Tür ist der WASTEELS-Schalter mit dem freundlichen, mehrsprachigen Schalterbeamten.
2:
Triebwagen 710-003 ex Schweden Type Y1.
Endlich kann ich also vom schwedischen Triebwagen (hier Reihe 710) ein annehmbares Bild machen. Ein Zug von Subotica kommt an, dessen Wagen mit diesen zwei bis drei Blautönen lackiert sind, aber nicht einheitlich, mal ist hell oben und mal ist dunkel oben. Da soll sich einer auskennen!
3:
441-752 kommt mit einem Zug aus Subotica an. Zwar haben alle Wagen die Blautöne, aber in drei verschiedenen Anordnungen!
4:
Kurz danach kommt die 441-513 mit einem Zug im „Nahverkehrsanstrich“ (Grafitti) – und ich vermute, es war auch ein Regionalzug.
Wir warten auch auf den IC von Bukarest, aber er kommt nicht. Ich würde gerne wissen, welche Wagen er hat, denn eigentlich will ich ja gerne einmal von Temesvár aus hierher fahren.
Leider versäume ich aus irgendeinem Grund, unseren eigenen Zug zu fotografieren. Es wäre ein besonderes Bild geworden, denn wir haben eine ŽCG-Lokomotive (natürlich Reihe 461, andere E-Loks hat die ŽCG nicht) vorgespannt. Seit einiger Zeit kommen serbische Loks nach Montenegro und montenegrinische Loks bis Belgrad.
Wir haben ja schon reservierte Sitze (in Berlin reservieren lassen) und haben es daher nicht so eilig, unseren Waggon zu stürmen. Der Zug ist jedenfalls ziemlich voll, viele Leute suchen ihre Plätze oder überhaupt einen Platz. Unser Abteil ist voll. Eine junge Russin (ich merke es erst spät, daß sie Russin ist) mir zwei Kindern ist in unserem Abteil und es ist daher recht eng. Da ich aber die meiste Zeit am Gang-Fenster stehen will bzw. stehen werde, bedeute ich ihr, daß die Kinder ruhig auf meinem Platz sitzen können. Bevor wir abfahren, ist es angezeigt, etwas über diese Bahnlinie zu erzählen:
Die Bahnlinie Beograd - Bar
Die Bahnlinie von Beograd nach Bar an der Adria ist in mehrerlei Hinsicht eine besondere:
1. Der Bau wurde erst 1952 begonnen und 1976 fertiggestellt.
2. Die Strecke weist 254 Tunnels mit einer Gesamtlänge von 114,4 Kilometern auf (zwei davon 6 km lang).
3. Die Strecke führt über 435 Brücken mit einer Gesamtlänge von 14,5 Kilometern.
4. Die höchste Eisenbahnbrücke der Welt mit 198 Metern Höhe und 498 Metern Länge befindet sich auf dieser Strecke.
5. Der höchste Punk liegt auf 1032 Meter Seehöhe, der steilste Abschnitt beträgt 25 Promille.
Gespräche über eine Eisenbahnlinie von Beograd zur Adria gab es bereits um 1880, aber die Kriege verhinderten konkretere Projekte, sodaß nach einigen kleineren Arbeiten erst nach dem Zweiten Weltkrieg (1952) mit den tatsächlichen Arbeiten begonnen wurde, die aber 1958 wieder eingestellt wurden. Im Fünfjahresplan 1961-65 wurde die schnellstmögliche Realisierung von Jugoslawien dann offiziell beschlossen, 1971 aber wieder aufgehoben, sodaß die Teilrepubliken Serbien und Montenegro die Fertigstellung selbst in die Hand nahmen. Der Bau war in anderen Teilen Jugoslawiens nicht unumstritten, weil Konkurrenz zu anderen Adriahäfen befürchtet wurde. Trotz Fertigstellung der landschaftlich sehr reizvollen Strecke mit den vielen Kunstbauten konnte der Seehafen Bar nie an die Bedeutung anderer Adriahäfen anschließen. Der Streckenzustand wurde infolge Geldmangels in den 1990er-Jahren immer schlechter, sodaß man heute etwa 9 Stunden für die Gesamtstrecke benötigt (gegenüber 7 Stunden im Jahr der Eröffnung). Erst mit internationaler Finanzhilfe konnten in den letzten Jahren die Sanierungsarbeiten abgeschlossen werden. Die Bahnlinie wurde in mehreren Etappen eröffnet:
Beograd-Resnik – Vreoci: 1958
Vreoci – Valjevo: 1968
Valjevo – Užice: 1972
Užice – Podgorica: 1976
Podgorica – Bar: 1959
In der Endphase der Bauarbeiten wurden bis zu 14.000 freiwillige Arbeitsbrigaden (zumeist Jugendliche) eingesetzt. Die eingleisige Strecke ist mit 25 kV elektrifiziert und 476 km lang, davon entfallen 292 km auf serbisches, 9 km auf bosnisches und 175 km auf montenegrinisches Territorium. Im bosnischen Abschnitt gibt es keinen planmäßigen Halt mehr. Seit 2006 (Unabhängigkeit Montenegros) gibt es im Grenzbahnhof Bijelo Polje einen Aufenthalt von 30 bis 40 Minuten, der auch zum Lokwechsel benützt wurde. (seit kurzem bleiben die Loks aber am Zug)
Abgesehen von lokalen Zügen gibt es heute drei (im Sommer sechs) tägliche Züge zwischen Beograd und Bar, von denen einer Kurswagen von und nach Subotica mitführt. Im Zug 437 gibt es an manchen Tagen im Sommer sogar Kurswagen von Praha, Bratislava, Moskwa und Kyjiv. Dazu gibt es im Sommer auch einen Zug von und nach Niš (mit Kurswagen nach Skopje). Seit der Unabhängigkeit Montenegros hat sich das Zugsangebot nicht wesentlich verändert.
B433 Beograd-Bar (mit Kurswagen von Niš)
B435 Beograd-Bar
B437 Subotica-Beograd-Bar (Im Sommer tw. mit Kurswagen von Praha, Bratislava, Moskwa, Kyjiv)
IC1131 Beograd-Bar – im Sommer
B1139 Novi Sad-Bar – im Sommer
B1141 Niš-Bar (mit Kurswagen von Skopje) – im Sommer
B1343 Beograd-Bar (Autozug) – im Sommer
Unsere Fahrt nach Podgorica (B431)
Genau als unser Zug sich in Bewegung setzt, kommt auf dem anderen Gleis unseres Bahnsteigs der Zug B481 aus Bukarest an. So wie ich es vermutete: er wird verkehrt hereingeschoben. Die Diesellok hat den Zug über die Hafenbahn in das Vorfeld des Bahnhofs gezogen und schiebt nun zurück in den Kopfbahnhof. Natürlich kann man durch den Bahnsteig schlecht fotografieren, auch das Bild mit der 661-118 gelingt nur sehr schlecht, weil die Säulen des Bahnsteigdachs im Weg sind. Schade, daß der Zug so viel Verspätung gehabt hat! Etwas entsetzt bin ich über das eingesetzte Wagenmaterial. Außer dem Schlafwagen (über dessen Komfort ich nichts sagen kann) besteht der Zug aus drei alten, hellblauen CFR-Wagen, die jeder Beschreibung spotten. Ich kann ja von meiner erhöhten Position (Zugfenster gleich gegenüber) gut hineinschauen. In so einem Wagen möchte ich nicht diese Fahrt von Bukarest hierher machen!
5:
Der Zug von Bukarest wird „hereingeschoben“.
6:
Leider nur eine Notschlachtung wegen des Bahnsteigs: 661-118, Schlafwagen und 3 hellblaue alte CFR-Wagen.
Bei der Ausfahrt kann ich diesmal die Dampflok 33-087 (eine 52er) einigermaßen fotografieren.
7:
33-087 im Bahnhofsvorfeld.
Wir schleichen mit entsetzlich langsamer Geschwindigkeit aus dem Bahnhof und auch danach werden wir nicht schneller. In irgendeinem Vorort von Beograd sehe ich dann eine Geschwindigkeitstafel: 10 km/h. Das habe ich mir auch schon ausgerechnet anhand der Hektometersteine. Warum man hier so langsam fahren muß, kann ich aber nicht nachvollziehen.
8:
Jetzt wird klar, daß wir wirklich „planmäßig“ mit v/max 10 km/h dahinschleichen.
Wir sind im dritten Wagen hinter der Lok. Beim Fotografieren kann ich erkennen, daß unsere 461 eine montenegrinische Lok ist. Leider kann ich auf den Fotos die Nummer nicht erkennen. Bei unserem langsamen Tempo wundert es mich gar nicht, daß seelenruhig Leute auf den Schienen spazieren. Wir schleichen also weiter durch die Gegend und kommen in Rakovica um 10.55 Uhr (statt planmäßig um 10.27 Uhr) an. Das ist eine Fahrzeit von 45 Minuten für 7 Kilometer.
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Fußgänger (Bahnarbeiter?) spazieren entlang der Gleise. Auch hier noch 10 km/h Geschwindigkeit!
10:
Als letzten Wagen haben wir einen Autotransportwagen angehängt.
Rakovica ist also so etwas ähnliches wie Liesing oder Hütteldorf für Wien. Natürlich glaube ich nicht mehr daran, daß wir pünktlich in Podgorica ankommen werden. Wer weiß, was uns noch bevorsteht. Aber wir sind ja schließlich auf Urlaub und nicht auf der Flucht! Sonderbar kommt mir vor, daß zahlreiche Leute an dieser Station aussteigen, die hierher wohl länger gebraucht haben, als wenn sie mit dem Fahrrad gefahren wären…
Kurz nach Rakovica sehen wir abgestellte und schon sehr schlecht aussehende blaue Loks der Reihe 761 (ehemalige deutsche 221). Wenn ich mich richtig erinnere, haben die hier kein langes Leben gehabt. Näheres dazu weiß ich jedoch nicht.
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Die erste Lok, die man sieht, ist die 761-003.
Der Schaffner kommt erst um ungefähr 11.30 Uhr. Um 11.50 Uhr sehe ich in der Nähe von Vreoci links neben unserer Trasse ein Dreischienengleis. Hier muß es also eine Schmalspurbahn geben oder gegeben haben, von der ich allerdings nichts weiß. Dank Internet erfahre ich daheim dann, daß es sich um eine 8 km lange Grubenbahn, die mit Elektroloks betrieben wird.
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Dreischienengleis der Grubenbahn bei Vreoci
Der nächste Bahnhof ist Lazarevac, hier beträgt unsre Verspätung bereits 49 Minuten und es sollen noch mehr werden! In Lazarevac kreuzen wir einen Güterzug mit einer ŽRS-Diesellokomotive (661-303). Was die hier zu suchen hat, ist mir natürlich auch nicht erklärlich.
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Bahnhof Lazarevac
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Bahnhof Valjevo mit einer interessanten Farbgestaltung.
Ab Valjevo, dessen Bahnhof einen sehr interessanten Fassadenanstrich hat, wird das Terrain hügelig und bergig. Wäre nicht hin und wieder eine orthodoxe Kirche zu sehen, könnte man sich in Österreich wähnen. Wir gewinnen an Höhe, unterwegs erkennt man die Trasse unserer Bahnlinie im Tal, während wir schon etwas höher auf der anderen Talseite sind – oder handelt es sich um eine Abzweigung?
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Hügelige Landschaft mit orthodoxer Kirche.
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Unser Zug fährt durch ein immer enger werdendes Tal.
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461-202 mit einem Güterzug in Razana.
In Razana begegnet uns ein Zug mit der ŽS 461-202. Bei Požega sehe ich erstmals die Trasse der ehemaligen bosnischen Schmalspurbahn. Einige Tunnels sind zu sehen, die Trasse dient offensichtlich größtenteils als Rad- oder Gehweg.
In Požega kommen wir mit 75 Minuten Verspätung an, doch statt der planmäßigen Aufenthaltszeit von 22 Minuten geht es schon nach 2 Minuten wieder weiter, sodaß wir bis Užice ein wenig Verspätung aufgeholen könnten (aber trotzdem 10 neue Verspätungsminuten dazubekommen). Hier gibt es eine Zugskreuzung und viele Leute steigen aus oder ein. Užice ist eine hübsch gelegene Stadt inmitten von Hügeln oder Bergen. Kurz danach sieht man wieder die alte Schmalspurtrasse und endlich gelingt es mir, ein Bild davon zu schießen: es ist eine Brücke, statt eines Gleises sieht es aus, als wäre der Weg betoniert, aber es fehlt jegliches Geländer. So nehme ich also nicht an, daß dies ein öffentlicher Fußweg ist.
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Die Trasse der ehemaligen Bosnischen Schmalspurbahn.
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Und wieder Landschaften, die an Österreich erinnern.
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Die Strecke wird wieder interessanter. Kunstbauten wie Tunnels...
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…und Brücken werden immer mehr.
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Die Landschaft wird immer interessanter, die Bahnstrecke windet sich in zahllosen Kurven immer weiter hinauf.
Kurz hinter Branešci gibt es einen sehr langen Tunnel, aber das ist nicht der erste und wird noch lange nicht der letzte sein! Die Landschaft wird immer bergiger und hübscher, sodaß ich mich nicht in mein Abteil auf meinen reservierten Sitz setzen möchte. Allerdings zählen die paar Momente, in denen ich darauf sitze, zu den angenehmsten, denn seit der Abfahrt in Wien ist dies das weitaus bequemste Abteil bzw. der bequemste Sitzplatz, den ich auf dieser Reise bisher vorgefunden habe. Wir näheren uns nun dem kurzen Streckenstück, das durch Bosnien-Herzegowina führt und ich hoffe natürlich, die Station Štrpci nicht zu versäumen. Im letzten Augenblick kann ich die kleine Station gerade noch fotografieren – inklusive dem Schild, das darauf hinweist, das wir uns in Bosnien-Herzegowina befinden.
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Gerade noch erwischt: der bosnische Bahnhof Štrpci mit der Tafel, die darauf hinweist, daß wir in Bosnien-Herzegowina sind.
Es gibt viele Brücken in diesem Streckenabschnitt, teilweise recht hoch, die Berge sehen sehr interessant aus, manchmal verläuft die Strecke neben einem Flußlauf, aber leider hab ich keine Landkarte mit genügend detailliertem Maßstab, um unsere Fahrt so richtig gut verfolgen zu können. Die Berghänge sehen sehr ungewöhnlich aus, aber immer wieder sieht man kleine Gehöfte oder Siedlungen.
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Ein der zahlreichen Brücken unterwegs.
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Manchmal windet sich die Bahn in Seitentäler. Hier ein Blick auf die soeben zurückgelegte Strecke auf der anderen Talseite.
Inzwischen hab ich den Büffetwagen aufgesucht und genehmige mir ein Bier sowie eine Kleinigkeit zu essen. Proviant haben wir ja keinen mitgenommen. Man kann zwar nur auf Barhockern sitzen oder lehnen, aber ich fühle mich trotzdem recht wohl hier. Zwischen Priboj und Prijepolje kommen wir an einem (Stau?)See vorbei, den ich später auf Google Maps als Potpecko jezero identifizieren kann. Bei Prijepolje gibt es auch Moscheen zu sehen. Es gibt also auch in Serbien Moslems, was ich bisher nicht wußte.
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Im Büffetwagen genehmige ich mir ein Bier und eine kleine Jause.
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Wir fahren am Potpecko-Stausee entlang.
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Noch immer wunderschöne Landschaftsformen: hier mit Fluß...
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…und da mit Kirche und einzelnen Häusern in der Einschicht...
Die serbisch-montenegrinische Grenze
Bei Brodarevo (wir haben schon 96 Minuten Verspätung!) gibt es eine tolle Schlucht, die sich die Bahnstrecke mit einer Straße teilt. Und dann sehen wir schon Montenegro. Eine Weile lang fährt der Zug noch auf serbischem Gebiet, während auf der anderen Flußseite die Straße bereits auf montenegrinischem Gebiet verläuft.
30:
Im engen Tal ist kurze Zeit der Fluß die Grenze: rechts ist schon Montenegro.
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Blick zurück in die Schlucht: Die Straße links liegt schon in Montenegro.
Auf der engen Talseite wurde die kleine Station Vrbnica zum serbischen Grenzbahnhof bestimmt, wo unser Zug statt der planmäßigen 20 Minuten nicht weniger als 29 Minuten lang stehen bleibt. Grund dafür dürfte die Zugskreuzung mit dem aus klimatisierten ŽCG-Wagen bestehenden IC432 sein, der auch eine ŽCG-461 vorne hat. Wenigstens den hab ich fotografiert… Bevor dieser Zug (der in dieser Station übrigens durchgefahren ist) kommt, schiebt unser Zug ein Stück zurück, und dann ziemlich weit nach vor. Ich sehe allerdings nicht genug weit, um zu erkennen, was der Grund für das Manöver ist. Auf dem Grenzstempel der Serben steht übrigens nicht Vrbnica, sondern Prijepolje, ein Bahnhof, an dem wir eine halbe Stunde zuvor gehalten haben.
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Serbischer Grenzbahnhof Vrbnica in einer dünn besiedelten Gegend.
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Im serbischen Grenzbahnhof Vrbnica: Blick zurück zur Schlucht, durch die wir gekommen sind.
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Gleich neben dem modernen Bahnhofsgebäude gibt es ein Kloster.
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Zugkreuzung mit dem IC432, gezogen von der 461-035. Die modernen, klimatisierten ŽCG-Wagen sind gut zu erkennen.
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Und wieder heimatliche Gefühle im kurz vor Bijelo Polje: Landschaften wie im Alpenvorland.
Von Vrbnica fahren wir noch ziemlich lang weiter, bis wir die montenegrinische Grenzstation Bijelo Polje erreichen. 16 Minuten ist diese Station von der serbischen entfernt und eigentlich schon relativ weit von der Grenze entfernt. Die Landschaft hat sich in diesen 16 Minuten auch stark verändert, denn die enge Schlucht weitet sich und wie der Name schon sagt, ist das Tal schon so breit wie ein Feld (Bijelo Polje heißt übersetzt wohl: „Weißes Feld“). Und es sieht wieder mal so ähnlich aus wie in Österreich. Auch hier halten wir lang: statt der fahrplanmäßigen 30 Minuten allerdings nur 24 Minuten, weshalb unsere mittlerweile auf 110 Minuten gewachsene Verspätung wieder auf 104 Minuten reduziert wird. Im Grenzbahnhof kommen nun die montenegrinischen Grenzbeamten, auch hier bekommen wir einen Einreisestempel (einen Ausreisestempel werden wir morgen allerdings nicht bekommen). Die Serben sind demgegenüber sehr genau mit den Ein- und Ausreisestempeln.
Der Bahnhof Bijelo Polje ist ganz typisch als Grenzbahnhof gekennzeichnet. Man sieht viele rote Schilder mit „Welcome“ oder „Good bye“ und dem Wappen von Montenegro. Hier wird übrigens im Gegensatz zu Serbien viel mehr mit lateinischen Buchstaben geschrieben! Die Russin mit ihren beiden Kindern steigt übrigens hier aus, sodaß wir im Abteil wieder mehr Platz haben. Ich kann also ab nun auch auf der linken Seite (also im Abteil) am offenen Fenster stehen und Fotos machen. Bei den Bahnhofen, durch die wir kommen, fällt mir auf, daß überall rote Zusatzschilder bei den Bahnhofsnamen zu finden sind: „Železnicka infrastruktura Crne Gore AD Podgorica“. Also auch hier in dem kleinen Land mit nicht einmal fünfzig Triebfahrzeugen ist die Bahn schon zerstückelt.
37:
Die 461-031 in Bijelo Polje gehört zur MonteCargo (kein Witz!). So heißt die Güterverkehrssparte der hiesigen Eisenbahn.
37a:
Das Logo von MonteCargo. Man sieht es auch auf den Güterwagen.
38:
„Willkommen in Montenegro“ – Grenzbahnhof Bijelo Polje.
Die erste Stunde nach der Grenzstation geht es durch eine wunderschöne Landschaft, die wirklich österreichisch wirkt, doch dann geht es immer höher hinauf und die Berge und Täler bekommen ein ganz anderes Gesicht. Es dürfte der Höhepunkt der Reise werden, aber leider wird es wegen unserer Verspätung auch immer mehr dämmerig – noch dazu in diesen engen Tälern. Ich fürchte schon, daß ich die berühmte Brücke über den Fluß Mala Rijeka nicht fotografieren werde können. Auf der Landkarte hab ich mir schon angeschaut, auf welcher Seite ich stehen muß, um einen guten Blick zu haben. Noch sind wir aber nicht so weit.
39:
Und weiterhin liebliche Landschaften...
40:
Bei schlechtem Licht eine Notschlachtung: Bauzugloks, ich vermute tschechischer Herkunft.
41:
Nun wird es spannend: die Bergen werden immer höher und karger, die Strecke steigt immer höher hinauf.
42:
Ein Blick in schwindelerregende Tiefen zur Straße und zum Fluß.
Kurz nach 20 Uhr begegnet uns der B1140 nach Nis mit einem MŽ-Liegewagen nach Skopje. Die Fahrt wird nun immer spektakulärer. Von der Bahntrasse sieht man steil hinab ins Tal und weit unten sieht man die Straße, die neben dem Fluß verläuft. Leider kann man immer schlechter fotografieren, weil das Licht immer weniger wird. Die Strecke macht schließlich eine große Kurve um einen Bergrücken herum und von weitem kann man schon die Mala Rijeka-Brücke erahnen. Auf der gegenüberliegenden Talseite sieht man einen Zug warten. Nach der Auswertung meiner Fahrplanbilder von Podgorica ist das der B436 nach Subotica, der zahlreiche Kurswagen (Prag usw.) mitführt. Die große Brücke ist dann zwar ein Erlebnis, aber bei diesen Lichtverhältnissen kann man leider keine guten Bilder mehr machen – noch dazu aus dem fahrenden Zug, obwohl ich vorsichtshalber auf einen ISO-Wert von 800 umgestellt habe.
43:
Hoch über dem Tal die Zugkreuzung des B1140 mit der 461-043, auch der mazedonische Liegewagen ist zu erkennen.
44:
Mangels Licht gelang kein gutes Bild der Mala Rijeka-Brücke. Auf der Rückfahrt wird es besser gelingen.
Nach der Überfahrt über die tolle Brücke nutze ich nun doch endlich meinen Sitzplatz und raste mich etwas aus. Dazu hatte ich fast keine Zeit bisher, weil es so viel zu sehen gab und ich lieber am Fenster stand.
Nach der Brücke geht es nun ziemlich rasch aus den engen Bergen hinaus in die Ebene, in der die Hauptstadt Podgorica liegt. Wir haben absichtlich hier unser Nachtquartier bestellt, weil das Hotel direkt beim Bahnhof liegt und über Internet buchbar war. Und so haben wir zumindest die Chance, ein wenig von der Hauptstadt zu sehen. Wir kommen in Podgorica um 20.54 Uhr an, das bedeutet eine Verspätung von 122 Minuten! Das Hotel sehen wir schon bei der Einfahrt in den Bahnhof. Dort nimmt man unsere Verspätungs-Entschuldigung sehr gelassen entgegen. „Seien Sie froh, vorige Woche kam der Zug um 2 Uhr nachts an!“ – Na, da haben wir ja noch Glück gehabt.
Unser Hotel ist das teuerste der ganzen Reise (90 Euro das Zweibettzimmer mit Frühstück), aber wir hatten keine andere Wahl. Das Zimmer ist aber sehr schön, liegt im Dachgeschoß mit Balkon und mit Blick auf den Bahnhof. Was will man mehr? Auch das Restaurant ist nicht zu verachten. Wir nehmen uns natürlich Zeit für ein Abendessen: „cufte“ mit „pire krompir“ ist meine Wahl (3 Euro), das Nikšicko pivo kostet 1,50 Euro. Es ist ja wohl bekannt, daß in Montenegro der Euro die Währung ist (1999 wurde die D-Mark eingeführt, die 2002 vom Euro abgelöst wurde). Das Essen ist also sehr gut und nach dem Essen möchte ich gerne noch einen Spaziergang machen.
45:
Bahnhof Podgorica vom Hotelbalkon aus.
Doch zunächst schauen wir auf den Bahnhof, denn ich möchte fragen, ob ich die Schlafwagenreservierung für die morgige Fahrt nach Skopje hier buchen kann. Man verneint und verweist mich auf den Bahnhof Bar (da wir von Bar aus fahren werden).
Wir gehen also nun die Hauptstraße vom Bahnhof ein Stück Richtung Stadt, aber auch nur bis zur ersten großen Kreuzung. Ich staune, daß es noch offene Geschäfte gibt: eine Bäckerei sieht sehr einladend aus (hat die ganze Nacht geöffnet: „NONSTOP“) und ich erstehe hier um 1 Euro einen „Ischler“. Da das hier cyrillisch angeschrieben ist, realisiere ich gar nicht, daß das eigentlich ein österreichischer Name ist und komme erst beim Essen drauf, daß das genau so ein „Ischler“ ist, wie ich ihn in Wien auch in der Kindheit gekannt habe (Zwei Kekshälften, mit Kakaocreme und mittendrin Marmelade gefüllt, das ganze mit Schokoglasur überzogen). Und wie gut das war! Das war also die Nachspeise zum heutigen Abendessen! Lecker! Bau uns in der Steiermark versteht man unter „Ischler“ heute eine Cremeschnitte mit zwei verschiedenen Cremefüllungen.
Es ist 23 Uhr! Kaum zu glauben!
Natürlich sehen wir nicht wirklich viel von der Stadt, aber immerhin haben wir Bewegung gemacht. Es ist übrigens sehr warm hier, so um die 30 Grad hat es immer noch. Als wir wieder zum Hotel zurückkehren, hat die Klimanlage inzwischen gute Arbeit geleistet und das Zimmer angenehm heruntergekühlt. In der Nacht schalten wir sie natürlich aus – leider wird es dadurch sofort wieder heiß im Raum. Im Zimmer gibt es übrigens einen Flachbild-Fernseher, auch Hausschuhe stehen zur Verfügung. Wir können alle Annehmlichkeiten des Zimmers gar nicht nützen, weil wir ja nur für eine kurze Nacht hier sind.
Fortsetzung:
Teil 8: Podgorica-Bar (-Skopje)
EDIT: Einige Zugdaten verifiziert und daher korrigiert.
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:01:04:20:57:42.