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Diesen Bericht wollte ich eigentlich schon lange geschrieben haben, ich hoffe, er interessiert auch noch jetzt im Sommer!

Im Rahmen einer Wintertour ging es auch zur HSH nach Albanien. Die weniger spannende Anreise und die Aufenthalte lasse ich mal weg und beschränke mich auf den interessantesten Teil, die Fahrt durch's eisgekühlte Albanien zum Ohridsee. Da es hauptsächlich ums Eisenbahn-*fahren* ging sind leider keine Fotos entstanden (Bilderberichte aus Albanien hatten wir aber auch noch vor kurzem hier im Forum).

Los geht es am frühen Morgen kurz nach 5.00 Uhr am "Haupt"bahnhof Tiranas.

Eine eigentümliche Stimmung verbreitet der morbide Charme des nur spärlich beleuchteten Bahnhofsgebäudes in der dunklen, kühlen albanischen Winternacht, die Temperatur liegt um den Gefrierpunkt. Nur langsam kommt ein wenig Leben in den Bahnhof, der Fahrkartenschalter wird mit zwei Personen besetzt (obwohl selbst eine Person kaum etwas zu tun hätte) und ein Händler öffnet seinen Laden. Der Fahrkartenkauf ist schnell erledigt, Produktklassen, Wochenendbindung, Vorverkaufsfristen, Platzreservierungen und kontingentierte Angebote sind hier unbekannt. Einfach den Zielort nennen und man erhält eine für den nächsten Zug gültige Fahrkarte, das ganze für einen absolut unglaublich niedrigen Preis.

Am (einzigen) Bahnsteig wird der erste Zug des Tages zusammengestellt, der Zug nach Pogradec. Er besteht aus drei ex-DB-Wagen, an denen bei der HSH nichts verändert wurde mit Ausnahme des DB-Logos, welches gegen das (erstaunlich ähnlich aussehende) HSH-Logo ausgetauscht wurde.

Pünktlich um 5.55 Uhr ertönt ein Pfiff und der Zug setzt sich in Bewegung, Beginn der 6 Stunden 37 Minuten langen Fahrt ins nur 189 Kilometer entfernte Pogradec (Reisegeschwindigkeit also 28,6 km/h). Draußen ist es noch dunkel, doch im Waggon funktioniert sogar die Beleuchtung, für Albanien also fast schon Luxus. Die Heizung ist selbstverständlich nicht in Betrieb, sowas brauchen doch nur verwöhnte Warmduscher, oder?... ;-)

Der Vandalismus hat deutliche Spuren hinterlassen, Löcher in den Scheiben und völlig fehlende Verglasung dort, wo mal die kleinen Fenster in den Türen waren. An Frischluft mangelt es also nicht... Konsequenter Weise gibt es eben auch keinerlei Zugheizung.

Die Reisenden sind das gewohnt und haben sich in dicke Wintermäntel gehüllt. Die Temperatur ist innen wie außen knapp unter Null, die ausgeatmete Luft ist auch im Waggon sichtbar...

Bei jeder Weiche knarzen die Drehgestellte bedenklich, wird schon gut gehen, bei nur 30 bis 40 km/h Geschwindigkeit...

Nach einer Stunde Fahrt auf der albanischen "Rennstrecke" sind die 36 Kilometer nach Durres bewältigt. Man beachte, dass der Zug in Durres zweimal recht kurz hintereinander hält und keiner der beiden Bahnhöfe beschildert ist, wer nach Durres möchte und sich nicht auskennt sollte darauf achten, nicht schon am Vorortbahnhof auszusteigen, sondern erst am Kopfbahnhof! Im übrigen ist der Hauptbahnhof von Durres wohl mit Abstand der gepflegteste Bahnhof im Netz der HSH, es gibt sogar Zierbäume auf dem Bahnsteig!

Hier wird die Fahrtrichtung gewechselt. Nicht nur hier stehen überall leere Lichtsignalgerippe herum, den Zugverkehr regeln sie schon lange nicht mehr. Das gesamte Schienennetz ist völlig ausgefahren, Reparaturarbeiten konnten dennoch nirgendwo gesichtet werden.

Weiter geht es nach Rrogozhine, wo wir eine Viertelstunde auf den verspäteten Anschlusszug aus Vlore warten, welcher heute aus ex-italienischen Wagen gebildet ist. Wobei dazu gesagt werden muss, dass dies die einzige Verspätung war, die ich bei der HSH erlebt habe, die Züge fahren -gar nicht balkantypisch- ziemlich pünktlich durch's Land. Nachdem eine ganze Menge Reisende vom Vlore-Zug in unseren Zug umgestiegen sind, kann die Fahrt in Richtung Elbasan fortgesetzt werden.

Der Drei-Wagen-Zug wird von zwei Schaffnerinnen und Transportpolizisten begleitet, an Personal mangelt es jedenfalls nicht. Während der gesamten Fahrt laufen zwei konkurrierende fliegende Händler mit ihren Bauchläden durch den Zug und versuchen jeweils etwa alle 5(!) Minuten ihre von Erdnüssen bis zu Bananen reichenden Waren an den Mann oder die Frau zu bringen. Vermutlich ist auch ihnen kalt, sonst würden sie wohl nicht ununterbrochen von vorne bis hinten durch den Zug laufen...
Leider lassen sie dabei meist auch noch die Zwischentüren offen, sodass der kalte Wind aus den offenen Fensterhöhlen auch in die Fahrgasträume vordringen kann, die noch keine durchgehenden Löcher in den Fenstern haben... Ein Schließen der Zwischentüren durch den frierenden Fahrgast ist zwecklos, unter Garantie kommt in kürzester Zeit wieder jemand und lässt die Tür hinter sich offen.

Der Schienenstrang wird von Mensch und Tier als Fußweg benutzt, höhere Fahrgeschwindigkeiten würden bei dieser Einstellung durchaus katastrophale Folgen haben...

In Elbasan wird der letzte Wagen abgekuppelt und auf ein Abstellgleis rangiert, danach geht die Fahrt mit nur noch zwei Wagen weiter durch das Gebirge in Richtung Pogradec.

Die Landschaft ist herrlich, außerdem schneit es, die Aussicht entschädigt für die eisige Kälte im Wagen.

In Perrenjas geht es am großen Lokfriedhof vorbei, auch eine alte V200 steht in den Reihen ausrangierter Loks (darüber wurde hier im Forum ja auch schon mit Fotos berichtet).

Nach der beeindruckenden Fahrt durch's Gebirge wird schließlich der Ohridsee erreicht. An einer ziemlich verlassen aussehenden Station hält der Zug kurz an, die durch den Zug "fliegenden" Händler kaufen frischen Fisch, welchen sie anschließend im Zug an die Fahrgäste weiterverkaufen.

Schließlich wird der Endbahnhof Pogradec erreicht (welcher bekanntlich ein ganzes Stück außerhalb des Ortes liegt).


Die Rückfahrt von Pogradec erfolgte natürlich wieder per Bahn. Im Zug ist wieder das gleiche Personal wie auf meiner Hinfahrt, und ich werde (als einziger Mitteleuropäer) selbstverständlich auch wiedererkannt. Natürlich gestaltet sich die Kommunikation schwierig, aber es geht. Man ist sehr verwundert, dass ich mir den Zug in der Eiseskälte auch für den Rückweg "antue". Offenbar war man davon ausgegangen, dass kein Mitteleuropäer zweimal freiwillig in dem "Gefrierschrank" mitfährt... Insbesondere der Transportpolizist kommt mehrfach vorbei und macht Andeutungen, ob mir denn nicht viel zu kalt wäre. Ich zeige ihm, dass alles in Ordnung ist. Klar gibt es auch in Albanien alternative, sogar beheizte und schnellere Fortbewegungsmöglichkeiten, aber ich bin schließlich nicht hier, um Wellness-Urlaub zu machen, sondern um Land und Leute und nicht zuletzt auch den Bahnbetrieb kennenzulernen.

Und wieder geht es durch das wunderschöne Gebirge über die aufwändig trassierte Strecke nach Elbasan. Dort angekommen wird der Zwei-Wagen-Zug wieder um einen (den) dritten Wagen ergänzt und außerdem werden noch drei Güterwagen an den Zug gehängt und dieser damit zum PmG.

So geht es weiter nach Rrogozhine, wo wieder Direktanschluss an den Zug nach Vlore besteht, und weiter nach Durres, wo die Güterwagen wieder abgekuppelt werden. Auch für mich endet hier die Fahrt auf der wohl schönsten albanischen Bahnstrecke, die Fähre nach Bari wartet. Der Hafen von Durres ist ganz in der Nähe des Bahnhofs, nur leider gibt es keinerlei Beschilderung und der (nur sehr kurze) Weg, der durch eine schmale Gasse im Bettlerviertel führt, ist für Ortsunkundige, die nicht bereits mit dem Schiff eingereist sind, besonders im Dunkeln nur mit Glück ohne längeres Suchen zu finden. Auf das Hafengelände gelangt man nur mit Schiffsticket, wer noch keines hat, findet rund um den Hauptbahnhof von Durres unzählige kleine Agenturen, welche die Tickets verkaufen.

Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man dann wieder im Eurostar, TGV oder ICE sitzt und sanft und wohlklimatisiert mit etwa zehnmal höherer Geschwindigkeit als in Albanien durch Mitteleuropa eilt. Dennoch war die Winterfahrt mit der HSH ein Erlebnis, das ich jederzeit wiederholen würde!

P.S.: Die Einreisegebühr wird übrigens nicht mehr erhoben (offiziell abgeschafft), den Stempel gab's dann auch tatsächlich bei meiner Einreise (Landweg) gratis.

Hoffe, der Reisebericht war auch ohne Bilder und mit viel Text interessant.
Nett erzählt, da kann man seine Vorstellungskraft ausleben:)
Ja, der Bericht war interessant zu lesen.

Danke und Gruß,
Jan

https://www.blockstelle.de/anderes/Banner37.jpg

Ziemlich heftig. Heißen Dank!

geschrieben von: Der Zeuge Desiros

Datum: 17.06.09 22:12

Hallo bebe,

auf diesen Bericht habe ich schon seit deiner ersten Ankündigung sehnsüchtig gewartet. Ist Bahnfahren in Albanien schon im Sommer nichts für verwöhnte Kunden, so war die Vorstellung, in einem festerlosen Zug durch die winterliche Gebirgswelt zu fahren, schon ziemlich heftig. Du hast es die "angetan", und immerhin noch einen der halbwegs intakten DB-Wagen nutzen können. Wie hätte die Fahrt in einem der ex. italienischen Wagen ausgesehen, bei denen nicht nur im Türbereich diverse Fenster fehlen (der Zug aus Vlore wäre da ein Kandidat - wie war der gebildet?).

Und noch etwas würde mich interessieren: wie sah es mit der Nachfrage im Zug aus? Dass nunmehr zwei Wagen nach Guri i Kuq reichen, lässt ja bereits tief blicken.

Trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack. Wer nicht gerade Hardcore-Eisenbahnfreund ist, der wird sich eine bis zu sechseinhalb Stunden lange Schleichtfahrt in einem unbeheizten Zug nicht freiwillig antun. Die Eisenbahn lebt von der Armut. Sie lebt von denen, die sich keine andere Fortbewegung leisten können und darauf angewiesen sind, im schlimmsten Falle ihre Gesundheit (oder die ihrer mitreisenden Kinder) auf´s Spiel zu setzen. Von dem Zugpersonal, die tagtäglich in einer zugigen Eisschank stundenlang ausharren, ganz zu schweigen. Der unglaublich niedrige Stellenwert, den die albanische Eisenbahn im Land genießt, wird nach deinem Bericht noch verständlicher. Jeder rumpelige Mikrobus bietet mehr Komfort. Wer kann, meidet diese Eisenbahn.

Keine besonders aussichtsreichen Perspektiven. Und die Frage, die ich mir schon 2007 gestellt habe, drängt sich abermals auf: Wie lange wird es diese Eisenbahn noch geben?

Heiko



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2009:06:17:22:13:46.

Re: Ziemlich heftig. Heißen Dank!

geschrieben von: bewe

Datum: 18.06.09 16:00

Hallo Heiko,

ich gebe dir absolut recht, eine solche Bahnfahrt im Eisschrank macht im Alltag niemand, der sich irgendwie etwas besseres leisten kann. Als Alltagsverkehrsmittel würde auch ich nicht darauf zurückgreifen. Bedingt durch die Armut war jedoch selbst unter den geschilderten Umständen die Auslastung gar nicht so schlecht, besonders bis Elbasan war eigentlich so ziemlich jeder Vierer in den bis dahin drei Wagen mit mindestens einer Person belegt, oft sogar mehr. Hinter Elbasan war der Zug dagegen trotz Verkürzung auf zwei Wagen schlechter ausgelastet. Auf der Rückfahrt bot sich das gleiche Bild.

Der Zug nach Vlore bestand aus den ex-italienischen Wagen, bei denen die fehlenden Fenster meist notdürftig mit Pappe abgeklebt waren. Die ex-DB-Wagen waren dagegen wirklich noch in einem verhältnismäßig guten Zustand.

Besonders hart getroffen ist das Zugpersonal, welches oft 12 Stunden am Stück in den Zügen Dienst leistet. Es muss sich dringend etwas ändern bei der HSH, so kann es auf Dauer nicht weitergehen. Die Einführung einer Zugheizung wäre der wohl wichtigste erste Schritt.

Ausgesetzter Wagen in Elbasan

geschrieben von: BrakerBahn

Datum: 18.06.09 17:04

Hallo bewe,

danke für den Bericht, ausgezeichnet. Kannst du dich noch erinnern, ob der Wagen in Elbasan von der Zuglok ausgesetzt wurde oder ob das die in Elbasan stationierte T 669 übernommen hat? Wie wurde hier mit den beigegebenen Güterwagen auf der Rückfahrt verfahren?

Danke dir.

Viele Grüße
Alex

P.S. Wer die Zugkreuzung in Rroghozine sehen möchte, klicke hier. Dort sinde beide Züge zu sehen.

[www.youtube.com]

Re: Ausgesetzter Wagen in Elbasan

geschrieben von: bewe

Datum: 18.06.09 20:41

Hallo Alex,

ich bin mir sehr sicher dass die Zuglok sämtliche Rangierarbeiten in Elbasan übernommen hat, auch die Güterwagen hat sie bei der Rückfahrt in Elbasan hinten dran gehangen und dann den ausgesetzten Wagen vorne an die Zugspitze gesetzt. In Durres wurden die Güterwagen dann allerdings von einer anderen Lok "abgeholt", und zwar schon an der kleinen Station mit mir unbekanntem Namen kurz vor dem Hauptbahnhof von Durres.

Der Vlore-Zug entspricht dem in deinem Video gezeigten, außer dass bei mir ein Teil der fehlenden Scheiben (nicht alle) durch Pappe ersetzt war, was ich auf deinem Video nicht erkennen konnte. Macht man wahrscheinlich nur im Winter.