Hallo zusammen, besonders die Freunde unbekannter Strecken,

der 10. Oktober 2008 muss für den Schlafwagenschaffner des Güney Express (Haydarpasa-Kurtalan) zumindest für einen Moment zu seinen denkwürdigsten in seiner jüngeren Karriere gehört haben, als um 19:55 zwei westeuropäische Touristen den Schlafwagen besteigen wollten und ihm die Fahrkarten in die Hand drückten. Mit einem Kopfschütteln stieß er verachtend aus: „Kurtalan“. Wahrscheinlich hat er gedacht, dass wir nicht alle Tassen im Schrank hätten da hin zu fahren. Nun, wenn er den wahren Grund der Reise erfahren hätte – abgesehen davon, dass der Streckenabschnitt Malatya-Kurtalan zu den schönsten Strecken der Türkei zählt – wäre sein Verständnis für menschliche Absurditäten auf komplettes Unverständnis gestoßen. Aber dazu später mehr.

Kurtalan liegt in der Provinz Siirt, zu 80% von Kurden bewohnt und ist eine arme und unruhige türkische Provinz. Selbst Türken, die in Kurtalan arbeiten, dürfen dort nicht wohnen. So hat es uns der Bahnhofsvorstand in Kurtalan erzählt, der zu seiner Arbeitstätte von Diyarbakir aus pendeln muss. Immerhin beträgt der Arbeitsweg in eine Richtung ca. 160 Kilometer. Auch dazu mehr im letzten Teil dieses Berichts.

Der Güney Express fährt am Dienstag, Freitag und Sonntag von Haydarpasa bis nach Kurtalan, sonst nur bis Diyarbakir. Den restlichen Verkehr übernimmt ein Yolcu. Jeden Tag fährt somit nur ein Zug in jede Richtung, verstärkt um den Güney Exspresi. Ein weiterer Personenzug fährt zwischen Diyarbakir und Batmann. Abgesehen von einem Güterzug auf dieser Strecke, der im Bedarfsfall bis nach Kurtalan fährt, findet kein Verkehr statt.

Der Güney-Express fährt um 20:05 im Bahnhof Haydarpasa ab und hält bis zur Ankunft zwei Tage später in Kurtalan um 10:52 an 115 Bahnhöfen und Haltepunkten. Der Zug ist somit für viele Menschen auf der gesamten Strecke oftmals das einzige und vor allem billigste Verkehrsmittel.

Zur Strecke selbst. Gebaut ca. 1944 von der TCDD erschließt die 160 Kilometer lange Bahn den östlichen Teil der Provinz Diyarbakir mit den Provinzen Batman und Siirt. Bahntechnisch gibt es diverse Kreuzungbahnhöfe, die mit mechanischen Signalen unterschiedlicher Bauart gesichert sind. Von denen ist allerdings keins mehr in Betrieb. Bilder der unterschiedlichen Typen sind weiter unten und den nächsten Teilen zu sehen:

Der Zug hält an folgenden Bahnhöfen:
-Diyarbakir
-Ulam
-Bismil
-Cöltepe
-Sinan
-Batman
-Besiri
-Kurtalan

Interessant an der Strecke ist der Verlauf durch verschiedene Vegetationszonen: Steppe – Wüste – Steppe. Ebenfalls müssen einige Berge untertunnelt werden und dann gibt es noch die große Brücke über den Tigris.

Also starten wir in vier Teilen in eine bisher nicht dokumentierte Bahn. In den Monaten der Vorbereitung auf diese Reise habe ich keinen Bericht gefunden.

Vormittags am 12.10.2008 fahren wir mit +3 in Diyarbakir ein. Die Bahnstrecke von Malatya aus kommend verläuft mitten durch ein Elendsviertel. Viele Kinder haben den Zug mit Steinen beworfen. Es sind etliche Scheiben zu Bruch gegangen. Das wird hinter Diyarbakir häufiger geschehen:





Der Bahnhof Diyarbakir. Links steht der Yolcu nach Kurtalan, der heute Abend erst fährt:





Blick vom Bahnhof auf den Streckenverlauf Richtung Malatya:



Bevor wir nach Kurtalan fahren, noch ein Bild von der Drehscheibe in Diyarbakir. Leider stört etwas der Baum, aber ich bin froh, sie überhaupt mit einer Lok erwischt zu haben:



Der Zug verlässt Diyarbakir in Richtung Kurtalan. Hier seht ihr das Einfahrtssignal von Diyarbakir:



Der Zug fährt weiter Richtung Osten. Ein Blick auf den Oberbauzustand und die Stadtmauer der Stadt:



Hauptertrag ist neben der traditionellen Landwirtschaft die Baumwollernte:



Romantik pur kurz hinter dem Bahnhof Ulam:



Im Bahhof Bismil findet eine Zugkreuzung statt:



Das Resultat der Steinwürfe:



Hier haben wir weitere Beispiele für die unterschiedlichen Formsignaltypen im Bahnhof Cöltepe:



Und das passende Haupt- und Vorsignal aus Richtung Kurtalan. Die Strecke ist ab Malatya ein Formsignal-Eldorado:





Im zweiten Teil fahren wir weiter nach Batman.

Vielen Dank auch an Ulrich (+ V60), Jürgen und Mistral für die hilfreichen Tipps, den erlegten syrischen Sonderzug und das schöne Essen im Bahnhofrestaurant Haydarpasa. Trocken nach Hause gekommen?

Hier die Links zu den anderen Teilen:

Teil 2: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] Von Cöltepe nach Batman

Teil 3: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] Von Batman nach Kurtalan

Teil 4: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] Kurtalan und das Gleisdreieck

Teil 5: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] Epilog

Mehr zur TCDD: [www.drehscheibe-online.de]

Viele Grüße
Alex

P.S. Die fehlenden Bilder wurden am 4.12.2016 erneuert.



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2016:12:04:10:55:36.

Interessante Bilder Alex, danke dafür!

Hattet Ihr auf der Reise auch Zeit Diyarbakir anzusehen? Es sieht nicht überall so vermüllt aus wie auf einigen Deiner Fotos. Diyarbakir kam mir von allen türkischen bzw. kurdischen Städten, die wir gesehen haben am sonderbarsten vor. Jedoch nicht unbedingt im positiven Sinne. Als Fremder wird man auch in anderen Orten angestarrt, hier aber noch viel mehr. Da waren Urfa und Van entspannter. Bis auf eine Ausnahme sahen wir keine anderen Touristen in Diyarbakir. Überall war Militär und das verstärkte noch den Eindruck, daß die Menschen dort quasi unter türk. Besatzung leben. Jedem, der mal in diese Gegend kommt, und nicht nur Bahn im Kopf hat, kann ich noch den Besuch des Nemrut Dagi ans Herz legen: [de.wikipedia.org]

Gruße,
Jürgen

Hallo Jürgen,

der hat mich auch schon verwirrt, gibt es doch davon in der Türkei zwei; jenen den Du meinst sowie einen am Rande des Vansees, der einen ehemaligen Vulkan repräsentiert, Ursache dafür ist, dass der Vansee heute keinen Abfluss mehr hat, dessen mit Wasser gefüllte Caldera einen Durchmesser von rund 7 Kilometer aufweist und damit weltweit zu den größten Kraterseen zählt. [Nemrut]

Gruß Mistral

Hallo Alex,

bin schon richtig gespannt auf die weiteren Teile. Ankunft mit +3 in Diarbakyr hätte ich nicht erwartet. Was war mit dem Speisewagen ab Ankara?

OT

Die "Verkleidung" von Hayderpascha diente ausschließlich dem Zweck der Durchführung des UIC Kongresses vom 15. - 17. Oktober. Der syrische Sonderzug soll angeblich im November und Dezember (vor Weihnachten) noch einmal verkehren, wenn ich das richtig verstanden habe, quasi als Ersatz für die WL im Toros Express.

Ganz trocken bin ich nicht heimgekommen, ich würde den Zustand als feucht beschreiben.

Gruß Mistral

Interessant sind auch die mächtigen Stadtmauern in Diyarbakir. Wenn mein Diascanner nicht gerade kaputt wäre, würde ich jetzt mal ein Bild davon zeigen.
Rangiert die V60 noch dort?

Viele Grüße!

Edit:
Mit einem etwas primitiveren Gerät habe ich jetzt doch mal drei Dias eingescannt. Sie sind vom 2. August 1991, zunächst ist die mächtige Stadtmauer am Urfa Kapisi zu sehen. Über dem Tor prangt die allgegenwärtige Losung "NE MUTLU TÜRKÜM DIYENE."
(Wenn sich in meinem kleinen Wörterbuch "diyene" finden ließe, könnte ich das vielleicht sogar übersetzen.)




Das dritte Bild zeigt den von Dir erwähnten Ort Ulam bei der Abfahrt des Zuges im letzten Abendlicht, Blickrichtung Südwesten:


Nochmals viele Grüße!



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2008:10:21:21:04:27.

Interessanter Bericht!!! Bin schon mal gespannt auf die nächsten Teile!!! Eine Frage hab ich trotzdem: Bei dem Bild wo der Zug Diyarbakir verlässt, schreibst du, man sieht das Einfahrsignal. Für mich wirkt dieses Signal eher wie (in Deutschland) eine Halttafel oder ähnliches. Ist das wirklich das Einfahrsignal?

Hallo,

vielen Dank für die positive Resonanz und das Interesse an der Strecke. Wenn die vier Teile durch sind, werde ich noch einen ausführlichen Epilog anhängen. Einige Fragen, Anregungen und Ergänzungen werden bestimmt noch auftauchen, die dann abschließend behandelt werden können.

Aber zu den Fragen:

Jürgen, über Diyarbakir und meine Eindrücke werde ich noch berichten, nach dem wir in Kurtalan angekommen sind.

Ulrich, ganz herzlichen Dank für die Bilder aus Diyarbakir und Ulam. Deine Bitte, nach der V 60 (DH 65)Ausschau zu halten, habe ich natürlich ernst genommen. Ich kann dir definitiv sagen, dass die Maschine weder in Diyarbakir, noch auf der gesamten Strecke von Istanbul nach Kurtalan existiert. Auch auf meine Nachfrage bei Eisenbahnern, konnte keiner etwas mit dieser Lok anfangen.

Der im Sommer gesichtete Lokzug mit einigen V 60 scheint der letzte Bestand der TCDD gewesen zu sein. Ebenfalls habe ich die Maschine bei meiner Fahrt nach Akyaka im Juni nicht gesehen.

Mistral, ja leider war die Auskunft, dass der Güney-Express ab Ankara einen Speisewagen führt, eine Fehlinformation. Aber das Selbstversorgersystem in türkischen Zügen hat auch hier vorzüglich funktioniert. Das einzige Manko war, dass man nirgends ein Efes bekommen konnte, im Gegensatz zu hier. Bilder vom syrischen Sonderzug mit Speisewagen – ob mit Bier? – im Bahnhof Haydarpasa am 10. Oktober 2008:


© BrakerBahn


© BrakerBahn


© BrakerBahn


© BrakerBahn

Und noch zu dem Einfahrtssignal in Diyarbakir. Grundsätzlich gibt es an der ganzen Strecke von Malatya nach Kurtalan nur vier Lichtsignale. Die restliche Strecke wird mit Formsignalen der beiden Typen (rote Scheibe und die auch bei und vertretenen Formsignale) gesichert. Allerdings sind die Signale noch vorhanden und verrotten wie im Bahnhof Cöltepe (s.o.). Jedoch sind die meisten Signale nicht mehr in Betrieb und Zugkreuzungen werden bis auf wenige Ausnahmen per Funkgerät geregelt.

Das gezeigte Signal in Diyarbakir gehört dazu. Die Vorsignaltafel wurde entfernt, ebenso die Laterne mit den Scheiben. Ich möchte euch hier den gleichen Signaltyp noch zeigen, wo sie noch in Betrieb sind. Das Signal im Bahnhof Maden:


© BrakerBahn

Und in gekippter Position im Bahnhof Yolcati. Ich habe keine bessere Aufnahme, so muss diese genügen:


© BrakerBahn

Und abschließend der gleiche Signaltyp kurz vor Kars:


© BrakerBahn

Vor einige Zeit hatte ich hier im Forum schon einmal gefragt, wie es zu der Mischform der unterschiedlichen Typen in der Türkei gekommen ist und aus welcher Zeit sie stammen. Leider ist diese Anfrage ohne Ergebnis geblieben.

Teil 2 folgt bald.

Viele Grüße
Alex

Hallo Ulrich,

..."NE MUTLU TÜRKÜM DIYENE." heisst soviel wie ..wie gut dass ich ein Türke bin. DIYENE steht wohl für ..ich bin..

Gruß Mistral

Mistral schrieb:
-------------------------------------------------------
> Hallo Ulrich,
>
> ..."NE MUTLU TÜRKÜM DIYENE." heisst soviel wie
> ..wie gut dass ich ein Türke bin. DIYENE steht
> wohl für ..ich bin..

Hallo,
ich dachte immer, das "ÜM" drückt schon die 1. Sg. des Hilfsverbs aus. Die ersten drei Wörter würden dann ungefähr heißen: "Was bin ich ein stolzer Türke", aber das vierte?

Ulrich Steuber schrieb:
-------------------------------------------------------
> Mistral schrieb:
> --------------------------------------------------
> -----
> > Hallo Ulrich,
> >
> > ..."NE MUTLU TÜRKÜM DIYENE." heisst soviel wie
> > ..wie gut dass ich ein Türke bin. DIYENE steht
> > wohl für ..ich bin..
>
> Hallo,
> ich dachte immer, das "ÜM" drückt schon die 1. Sg.
> des Hilfsverbs aus. Die ersten drei Wörter würden
> dann ungefähr heißen: "Was bin ich ein stolzer
> Türke", aber das vierte?

Siehe auch [de.wikipedia.org].
Dort übersetzt als "Wie glücklich derjenige, der sagt Ich bin Türke."

"diyene" wird also eine Form von demek (sagen, heißen) sein.

Gruß
X73900



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2008:10:26:15:23:40.

Schöne Bilder.

Zur V60 / DH 65: Deren Zeit ist wohl abgelaufen. Der Mann der Cousine meiner Frau ist Lokführer in Adana, er kennt das Dreibein und hat es auch gefahren; die Lokführer waren wohl auch recht zufrieden mit den Maschinen, aber irgendwann waren sie wohl kaputt.

Ich persönlich habe die DH 65 nur abgestellt in Haydarpasa gesehen.

Viele Grüße

Bernhard

Hallo Wir, meine Frau und ich, waren im Oktober wieder mal 4 Wochen in der Türkei, von Izmir nach Adana.Leider nicht mit Bahnkontakt, sondern auf Spuren der Antike. Besonders unbekanntes in der Region Mersin. Und noch nicht so ein Rummel wie Epesus.
In meinen Unterlagen ,schreibt ein Autor ( Marcus Stein ) u.a in Kauderwelsch Türkisch Zitat " Türk-üm= ich bin Türke .= üm =ich bin
MFG
Horst



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2008:10:27:09:11:24.

Hallo,

es wird Zeit, hier im Forum wieder aktiver zu werden. Ich werde im Laufe der Zeit, die alten Beiträge wieder mit den fehlenden Bildern versehen.

Natürlich sieht die Wirklichkeit, besonders im Osten der Türkei, nach all den Jahren gänzlich anders aus.

Grüße

Alex