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[EE] RB: Finnland-Baltikum (Teil 6: Tartu-Pärnu-Riga)

geschrieben von: tokkyuu

Datum: 07.12.07 13:00

Wer frühere Teile versäumt hat:
Erster Teil: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Finnland, Helsinki
Zweiter Teil: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Finnland, Helsinki
Dritter Teil: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Finnland, Ausflüge nach Norden
Vierter Teil: [drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Estland, Tallinn.
Fünfter Teil: [url] [drehscheibe-online.ist-im-web.de][/url] – Estland, Tallinn Nahverkehr.

Fahrt nach Tartu
Nun ist es endlich soweit: wir fahren mit einem Dieselzug durch Estland. Ziel ist die Universitätsstadt Tartu. Unser Zug fährt pünktlich ab, natürlich ist es ein DR1A-Dieseltriebwagen.
http://img254.imageshack.us/img254/5479/z3339dr1ainnenraumgd7.jpg

Es gibt auch einen Wagen erster Klasse, aber auch in der 2. Klasse sind die Sitze halbwegs bequem, in unserem Wagen sind sie mit Kunststoffbezügen übezogen. Die ersten paar Kilometer geht es sehr rüttelnd und schüttelnd durch die Gegend, die Schienenstöße werden aber langsam weniger. Es kommen uns einige Züge entgegen: der Moskauer Expreßzug, zwei E-Triebwagen und ein Dieseltriebwagen. In Aegviidu hört die Elektrifizierung auf. Hier ist die Endstation der Elektriraudtee. Bis hierher sind es vielleicht etwa 50 km. Aber nun wird es ruhiger, die Gleise sind hier neu geschottert und gestopft, noch ist die Strecke zweigleisig (Rechtsverkehr). Auch Güterzüge kommen uns entgegen: ein Zug mit einer 1500er-Lok (aus Kanada), Güterwagen aus Litauen, Lettland, Rußland und Estland. Wir überholen aber auch einen Güterzug in Tapa. Das Tempo ist durchaus flott, ich schätze es auf 100 km/h oder sogar darüber.
http://img254.imageshack.us/img254/145/z3342ko0.jpg
http://img143.imageshack.us/img143/8199/z3344kk7.jpg
Die Landschaft ist flach, man sieht viele Felder (hier Raps) aber auch viel Wald. Dazwischen aber auch ungenutztes Land und einzelne Gehöfte. Es erinnert mich ein wenig an die frühere DDR. Leider sind die Bilder etwas unscharf (durch das Fenster während der Fahrt fotografiert).

http://img254.imageshack.us/img254/9725/z3366dr1bj2709tamsaluni4.jpg
In Tamsalu kreuzen wir einen dreiteiligen Regionalzug mit Steuerwagen DR1BJ-2709 voraus. Alle Dieseltriebwagen in Estland gehören der Baureihe DR1 an.

http://img404.imageshack.us/img404/7997/z3369bahnhofnq4.jpg
Ein Bahnhof irgendwo unterwegs.

Unterwegs spricht mich ein Mann, der vor mir sitzt, an. Er spricht Deutsch, ist aber ein Este. Er fragt, ob Nord- oder Südestland schöner sei. Natürlich kann ich diese Frage noch nicht beantworten. Er meint, die Südländer sind etwas lockerer und nicht so steif wie die Tallinner. Bei seinen Erzählungen verwendet er immer Doppelnamen, also Reval/Tallinn oder Dorpat/Tartu oder Pernau/Pärnu. Er war auch schon in Österreich, kann auch Russisch (natürlich, die zweite Sprache) und Englisch (4. Sprache). Deutsch ist die 3. Sprache für ihn. Er erzählt, daß er in Tartu studiert hat.

http://img404.imageshack.us/img404/3686/z3370er2te116tallinntarlu6.jpg
Unterwegs überholen wir diese 2TE116 von SPACECOM, einer privaten Gesellschaft. Es scheint tatsächlich viel Güterverkehr zu geben.

http://img254.imageshack.us/img254/7942/z3373edeladr1b3712tartuee5.jpg
Nach 2 Stunden und 23 Minuten Fahrzeit für die 185 Kilometer kommen wir pünktlich in Tartu (der deutsche Name lautet Dorpat) an. Das Bild zeigt unseren Zug, geführt vom DR1BJ-3712 am Hausbahnsteig, der sehr vernachlässigt aussieht. Wie man sieht, wird der Schnellzug Nr. 10 gut angenommen, es gibt zahlreiche Fahrgäste.

http://img91.imageshack.us/img91/2499/z3378bahnhoftartuzl6.jpg
http://img404.imageshack.us/img404/301/z3380bahnhoftarturj0.jpg
Das Bahnhofsgebäude wird gerade renoviert, daher bleiben wir schon vor dem Bahnhofsgebäude stehen. Der Mittelteil wartet noch auf die Holzverkleidung. Der Bahnsteig wird sicherlich auch bald hergerichtet werden. Die Gleise haben aber bereits neue Schwellen und neuen Schotter.

http://img254.imageshack.us/img254/4510/z3375bahnhoftartuzm7.jpg
Es gibt auch einen Mittelbahnsteig mit zwei Gleisen, der sehr schön aussieht, wenn man die Verfallserscheinungen außer acht läßt. Ob man die Holzkonstruktion bei der Renovierung belassen wird?

http://img254.imageshack.us/img254/7070/z3379er1525tartudh0.jpg
Hinter dem Bahnsteig gibt es viele Abstellgleise, auf einem stehen mehrere Loks der Reihe 1500 (ex Kanada).

http://img404.imageshack.us/img404/7193/z3383bf7.jpg
http://img254.imageshack.us/img254/6550/z3385ti5.jpg
Wir schauen uns den Bahnhof auch innen an. Es ist derzeit aber nur die Unterführung zugänglich, um den Mittelbahnsteig zu erreichen. Er ist in einerm schauerlichen Zustand und erinnert mich an die seinerzeitigen Geisterbahnhöfe in Ostberlin. In Wahrheit ist es hier fast stockdunkel, nur durch die Bildbearbeitung kann man etwas erkennen.

Spaziergang in das Stadtzentrum
Nun spazieren wir ins Zentrum der Stadt. Tartu ist die zweitgrößte Stadt Estlands mit etwa 115.000 Einwohnern. 1030 wurde die Stadt anläßlich einer Schlacht eines russischen Füsten erstmals erwähnt. 1632-1699 und 1805 bis heute ist Tartu Universitätssitz. 1919 wurde Estnisch offizielle Lehrsprache (nachdem zuvor Russisch das Deutsche abgelöst hatte).
Auf dem Rathausplatz von Tartu finden an diesem Wochenende „Hanse-Tage“ statt, eine Art Markt. Man sieht viele Leute mit alten Trachten in den Verkaufsständen (hier z.B. ein Poststand).
http://img456.imageshack.us/img456/169/z3402zo2.jpg

http://img456.imageshack.us/img456/4503/z3401hc5.jpg
Dominiert wird der Platz vom klassizistischen Rathaus (1782-89). Der ganze Platz ist klassizistisch gehalten, weil 1775 fast die gesamte Stadt durch einen Brand vernichtet worden ist. Sehenswert ist auch die Johanneskirche (Jaanikirik, 14. Jahrhundert). Sie ist berühmt wegen der großen Anzahl an kleinen bis winzigen Terrakottaskulpturen, die zwischen den Ziegeln die äußere Zierde und Gestaltung der Backsteingotik-Kirche bilden. Erst 1989 begann man die seit dem Krieg in Trümmern liegende Kirche als Konzertsaal wieder aufzubauen. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1991 änderte man die Pläne insofern, als die Kirche nicht nur für Konzerte sondern auch wieder für Gottesdienste zur Verfügung stehen sollte. 2005 konnte die wiederhergestellte Kirche geweiht werden. Sie wirkt innen eigentlich noch immer wie eine Bombenruine, aber die Menschen sind stolz, daß sie mit wenigen Mitteln und vielen Spenden (auch aus Deutschland) den Wiederaufbau bewerkstelligen konnten.
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Eine lokale Spezialität kann ich zu Mittag in einem Studentenlokal genießen: Huhn mit Nüssen. Das Essen ist hier nicht so teuer wie in Tallinn: 171,70 Krooni (etwa 11 Euro, jedoch inkl. Zuspeisen, Nachtisch und Getränk). Weiteres zu Tartu findet sich im Internet zur Genüge. Wir gehen aber wieder zum Bahnhof zurück.

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Auf Gleis 2 steht der Regionalzug nach Elva bereit, gebildet aus einer dreiteiligen DR1-Garnitur mit Triebwagen DR1B-3716 und Steuerwagen DR1BJ-2716 voraus:
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Unser Zug steht wieder auf Gleis 1. Man muß über provisorische Stege zu dem Bahnsteig gehen.

http://img456.imageshack.us/img456/8054/z3437dr1bj4716einstiegiw5.jpg
Die Einstiegsverhältnisse in den Zug sind abenteuerlich. Man braucht einen großen Schritt und einigen Mut. „Mind the gap“ würden die Engländer sagen! Und außerdem geht es hoch hinauf. Es ist wieder eine fünfteilige Garnitur, der mittlere Wagen ist 1. Klasse.

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Hier ein Blick in den Triebwagen DR1BJ-3710 (2. Klasse) mit geräumigen Sitzen. Moderner als jene bei der Hinfahrt und daher auch nicht mit Plastikschutz überzogen. Die Sitze im anderen End-Triebwagen sind einfache Bänke mit Plastikbezug, ein Zwischenwagen ist – wie gesagt - 1. Klasse. Von außen sah ich einige Leute mit dem PC dort sitzen und arbeiten. Auch eine Bar ist in dem Wagen. Das WC ist modern: eine Vakuumtoilette. Die Schaffnerin geht schon vor der Abfahrt durch die Wagen und verkauft Fahrscheine. Wir hätten also auch erst im Zug die Fahrkarten kaufen können. Es sind einfache Kassabons wie bei einem Geschäft. Die Geldscheine hält sie in der Hand, ein dickes Bündel! Der kleinste Schein ist 2 Krooni, etwa 13 Euro-Cent. Manche Leute zahlen auch mit Karte. Sie hat ein Gerät, in das man die Karte stecken kann.

http://img254.imageshack.us/img254/6347/z3446bahnhoftapahr5.jpg
Einige Bahnhöfe haben schon bessere Zeiten gesehen. Das Gebäude hier steht in Tapa, einer eigentlich nicht unbedeutenden Abzweigstation. Renoviert würde es allerdings sehr schön aussehen!
Die Rückfahrt dauert 2 Stunden und 10 Minuten, das ist schneller als die Hinfahrt. Des Rätsels Lösung: unser Richtungsgleis ist schon bis knapp vor Tallinn fertig ausgebaut, während wir auf der Herfahrt auf dem anderen Gleis gefahren sind, das noch nicht ganz fertig war. Auf dem Zug ist als v/max 120 km/h angeschrieben. Ich vermute, wir haben diese Geschwindigkeit auch erreicht. Mir fällt auf, wie breit die Züge hier sind! Die Wagennummern unserer Garnitur:
DR1BJ 3710 - DR1B 4770 - DR1A 2306 (1. Klasse) - DR1A 2298 - DR1BJ 3712.

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg nach Süden, um Estland zu verlassen. Die Fahrt nach Riga könnte man mit einem Bus von Tallinn aus antreten, wir möchten aber möglichst viel Bahn in Estland befahren, also fahren wir bis Pärnu (früher deutsch: Pernau) mit dem Zug, auch wenn es hier nur Regionalzüge gibt. Von außen wäre der Unterschied zwischen Regional- und Schnellzug allerdings nicht festzustellen, denn der Triebwagen sieht gleich aus, ein DR1 mit den Nummern 3709-4709-2709. Der Steuerwagen (DR1BJ-2709) hat erste Klasse (siehe Bild), deutlich sichtbar die großen Zwischenräume zwischen den Sitzen,
http://img254.imageshack.us/img254/2566/z3458dr1bj2709ersteklasyp3.jpg

aber in der 2. Klasse gibt es noch alte Bankreihen, sehr hart, zwar überzogen mit irgendeinem Plastik, aber ohne Polsterung.
http://img205.imageshack.us/img205/88/z3459edeladr1bj4709zweiat0.jpg

Holzklasse könnte man also sagen. Der Zug hält natürlich auch in allen Stationen. Man darf übrigens auch Fahrräder mitnehmen. Die Leute nehmen sie einfach in den Fahrgastraum mit. Sie stören mitunter sogar die Schaffnerin, die aber stoisch an den Rädern vorbeiturnt, wenn sie ihr im Weg sind.
http://img509.imageshack.us/img509/6788/z3460edeladr1binnenac8.jpg

Nach Pärnu gibt es übrigens nur zwei tägliche Züge, einer in der Früh und einer gegen Abend. Unterwegs fotografiere ich einige Bahnhofsgebäude. Leider ist die Qualität nicht besonders, was an den schmutzigen Scheiben aber auch am schlechten Licht liegt. Trotzdem möchte ich sie euch nicht vorenthalten. Sie sind meist aus Holz und sehen irgendwie fremdartig aus.

http://img254.imageshack.us/img254/7359/z3462bahnhofkohilaan0.jpg
Beim Bahnhof Kohila erkennt man sowohl eine Stationsvorsteherin als auch die überall üblichen hellblauen Tafeln mit Fahrplanangaben.

http://img254.imageshack.us/img254/7582/z3463bahnhofraplaos7.jpg
Der Bahnhof Rapla dürfte ein Ziegelbau sein. Man erkennt durchaus die Bemühungen, das Bahnhofsgelände hübsch zu gestalten.

http://img337.imageshack.us/img337/6596/z3464bahnhofkoogisteos6.jpg
Der Bahnhof Koogiste sieht gar nicht aus wie ein Bahnhof.

http://img337.imageshack.us/img337/3226/z3465bahnhoftootsivs3.jpg
Der Bahnhof Tootsi hat ein schönes, neues Dach erhalten.

Ab Lelle (km 72) ist der Gleiszustand extrem schlecht und es geht entsprechend langsam weiter. Der Wagen rüttelt und wackelt entsetzlich, jeden Schienenstoß spürt man. Wir entgleisen trotzdem nicht. Nur die Fahrräder, die mitten im Wagengang abgestellt sind, fallen manchmal um. Die Schaffnerin zwängt sich vorbei, ohne ein Wort zu sagen.

http://img523.imageshack.us/img523/991/z3467evrwagen2138prnuex7.jpg
Kurz vor Pärnu stehen einige alte Schnellzugwagen herum, die eine besondere Lackierung erkennen lassen, obwohl sie schon ziemlich verwittert ist. Vielleicht sind das Wagen vom früheren Balt-Express. Es dürfte ein Sitzwagen sein, ich erkenne die UIC-Nummer 21-38.

Pärnu
Der Bahnhof von Pärnu ist etwa 4 Kilometer außerhalb der Stadt gelegen. Der Bahnhof ist einer der hübschesten in Estland, jedenfalls sieht er neugebaut aus, beherbergt ein Kaffeehaus und wird ansonsten nicht viel für Bahnbelange verwendet – kein Wunder, bei zwei ankommenden und zwei abfahrenden Zügen pro Tag. Es ist der modernste Bahnhof, den wir in Estland gesehen haben.
http://img254.imageshack.us/img254/2636/z3475prnubhfud1.jpg

http://img337.imageshack.us/img337/1507/z3477dr1bj2709prnuaf2.jpg
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Zwischen dem einzigen Gleis (ein Umsetzen einer Lok wäre gar nicht möglich!) und dem Bahnhofsgebäude ist eine weite Fläche, auf der früher wohl viele Gleise gelegen haben mögen. Derzeit ist hier frisches Gras gepflanzt, ein Holzsteg ermöglich einen festen Übergang, falls das Gras einmal zu weich (naß) sein sollte.

http://img254.imageshack.us/img254/1629/z3479prnubhftafelzu3.jpg
Die Tafel, die man auf allen Bahnhöfen findet, gibt Informationen über den Fahrplan. Genaugenommen könnte man den Fahrplan des ganzen Landes in so einer Tafel unterbringen.
Eine Weiterführung der Strecke gibt es derzeit nicht. Früher einmal gab es eine Gleisverbindung nach Lettland. Es gab aber vermutlich keinen Personenverkehr. Das alte Sowjet-Kursbuch zeigt jedenfalls keine Züge auf dieser Linie. Die Fortsetzung der Strecke verschwindet im Dickicht und man kann nicht erahnen, ob da noch Gleise liegen oder nicht. Güterverkehr gibt es hier jedenfalls ebensowenig über die Grenze.
Im Zuge der Recherchen komme ich aber auch drauf, daß die gesamte Strecke, die wir heute gefahren sind, ehemals eine Schmalspurbahn gewesen ist. Das ganze Gebiet südlich von Tallinn war zwischen 1896 und 1931 mit einem Netz aus Linien ausgestattet worden, die zwischen 1968 und 1975 wieder eingestellt worden sind. Zwei Linien wurden umgespurt und möglicherweise auch neu trassiert. Leider ist die entsprechende Website derzeit nur auf Estnisch. Die beiden Normalspurstrecken von Tallinn nach Pärnu und Viljandi wurden also erst ab 1968 bzw. 1971 gebaut. Unter der folgenden Seite muß man nur „kaart/map“ anklicken, um zum Beispiel die Strecke von Pärnu nach Valga darzustellen (rot), aber das ganze Netz (dünn: schmalspurig, dick: breitspurig) ist ebenso ersichtlich.
[www.hansaco.ee]
Vor dem Bahnhof ist eine Bushaltestelle und weil da schon Leute warten, stellen wir uns auch dazu. Auf einem Plan erkennt man, daß es hier in die Stadt geht. Der Bus fährt zum Bussijaam, also zum Busbahnhof (am Rand der Altstadt). Dort können wir unser Gepäck lassen (Gepäckaufbewahrung) und auf Entdeckungsreise gehen. Vom gleichen Bahnhof fahren auch die Euroliner-Busse nach Riga ab. Noch ist uns nicht bewußt, daß einst in unmittelbarer Nähe der ehemalige Schmalspurbahnhof eines großen Schmalspurnetzes bestanden hat.
Stadtspaziergang
Die Stadt sieht ganz anders aus als Tartu. Es sind lauter niedrige Häuser, höchstens ein Stockwerk hoch in der Altstadt. Erinnert manchmal fast an Ungarn, natürlich ist der Stil aber anders. Wir finden eine kleine Bäckerei, wo sich die Leute in einer Schlange anstellen. Das muß etwas Gutes sein! Also nichts wie hin. Wir nehmen Kaffee und einige Stück Kuchen bzw. Gebäck. Wir müssen hinzeigen auf das, was wir wollen, denn hier wird nur Estnisch und Russisch verstanden, aber es klappt ganz gut. Oder wir versuchen, den angeschriebenen Namen zu lesen, was ja auch nicht so schwer ist. Es ist ein nettes Ambiente hier und es kommt alle paar Minuten frischer Nachschub aus der Backstube.
Nach dieser Stärkung gehen wir in die Stadt und zum alten Burgwall. In der Nähe des hübschen Rathauses findet sich das älteste Haus von Pärnu aus 1740 (Bild).
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Von einer Burg ist zwar nichts zu sehen, aber vom Wall aus sieht man das Meer und den Hafen. Wir sehen auch ein altes Stadttor, das einzig übriggebliebene, sowie die alte Post. Sie ist zwar nicht mehr die Hauptpost, aber wir können dort Briefmarken kaufen. Das Postlokal wirkt wie ein Museum. Es gibt etliche hübsche kleine Gebäude in diesen Gassen, man spürt auch auf Schritt und Tritt, daß die Leute hier stolz sind auf ihre Unabhängigkeit und immer wieder sieht man kleine Museen oder Denkmäler von lokalen Künstlern, wie man es auch in Slowenien oder anderen kleinen Staaten zuhauf sehen kann.

Zum (St)Rand …
Schließlich wollen wir auch zum Strand gehen, auf estnisch Rand. Eins der typischen Wörter, die aus dem Deutschen übernommen wurden und an die Sprache angepaßt wurden, indem auf das „st“ verzichtet wurde. Zunächst gehen wir durch einen Park, dann kommen wir wirklich zum Sandstrand, und obwohl es eigentlich nicht gar so warm ist, sind wirklich viele Leute hier am Strand – so wie im Reiseführer beschrieben! Aber der Wind macht es kühl, sodaß ich sogar meinen Pullover anziehe! In einer der Gassen finde ich etwas für Automobilfreunde: ein alter Wolga, schön hergerichtet:
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Das alte Schmalspurnetz von Estland
Wir kommen nun langsam wieder zum bussijaam zurück, wo unser Gepäck lagert. Noch haben wir Zeit, daher sucht Herbert nach Spuren des alten Schmalspurbahnhofs. Und tatsächlich finden wir Reste von Güterschuppen und Bahnsteigkanten. Immerhin war der Bahnhof bis 1975 in Betrieb. Ein Großteil des Geländes ist noch unverbaut und schaut aus wie eine „Gstättn“, dazwischen ist aber auch ein neues Einkaufszentrum. Die alte Trasse kann man nur mehr erahnen. Im Internet finde ich später Angaben zum ehemals großen Schmalspurnetz im Westen Estlands (siehe Link etwas weiter oben).
Pärnu wurde bereits 1896 mit einer Bahnlinie von Valga (im Osten) aus erschlossen. Ein Jahr später konnte man über Viljandi Tallinn erreichen. Die kürzere Verbindung direkt nach Lelle (und von hier nach Tallinn) stand erst 1928 zur Verfügung. Ab 1968 wurden die Schmalspurstrecken schrittweise bis 1975 eingestellt, teilweise wurden einige Strecken auf Breitspur umgestellt bzw. neu errichtet. Das Bahnnetz verkleinerte sich jedenfalls beträchtlich.
Auf der erwähnten website gibt es die Informationen über das Schmalspurnetz leider nur auf Estnisch. Lediglich eine Kurzfassung über die Geschichte gibt es auf Englisch: [www.hansaco.ee] Daher hier eine Übersicht (Eröffnungsjahr-Strecke-Einstellungsjahr):
1896: Pärnu – Valga (via Lettland, 125 km): bis 1975.
1897: Tallinn – Lelle – Türi – Viljandi – Moisaküla (195 km): bis 1971 (Ersatz: Breitspur Tallinn-Viljandi).
1903: Valga – Mõniste (47 km): bis 1970.
1913: Liina – Vääna (22 km): bis 1971.
1915: Türi – Tamsalu (61 km): bis 1972.
1923: Riisselja – Ikla (49 km): bis 1975
1926: Sonda – Mustvee (63 km): bis 1972.
1928: Viluvere – Vana-Vändra (10 km): bis 1969.
1928: Lelle – Pärnu (70 km): bis 1968 (Ersatz: Breitspur Lelle – Pärnu).
1931: Rapla – Virtsu (96 km): bis 1968.
Wie man aus der Liste erkennen kann, sind nur zwei Strecken durch Breitspurstrecken ersetzt worden. Beim bussijaam steht übrigens eine Dampflokomotive und ein Güterwagen der Schmalspurbahn (750 mm Spurweite) als Denkmal aufgestellt.
http://img156.imageshack.us/img156/976/z3481prnuschmalspurlokno3.jpg

Auch eine Informationstafel über das Schmalspurnetz auf Englisch gibt es:
http://img518.imageshack.us/img518/9250/z3480prnuschmalspurtafewa2.jpg

Wir haben noch etwas estnisches Geld übrig, und da wir nun bald in den Bus nach Riga einsteigen werden, suchen wir noch einmal die kleine Bäckerei auf, um ein verspätetes Mittagessen einzunehmen. Diesmal bin ich schon mutiger und wähle einige pirukad (Piroggen) aus: und zwar mit liha (Fleisch, das kapiere ich), kilu (Sprotten, find ich im Sprachführer) und singi (das rate ich: Schinken – und es war richtig!). Unser Bus kommt mit 15 Minuten Verspätung von Tallinn an.

Busfahrt im EuroLiner nach Riga
Abfahrt ist also statt um 16.35 Uhr erst um etwa 16.55 Uhr. Der Bus ist extrem eng, in so einem Bus würde kein Österreicher einen Ausflug machen, nicht einmal als Linienbus würde man das akzeptieren. Und heiß ist es drinnen auch, entsetzlich! Schon nach weniger als einer Stunde erreichen wir die Grenzstation Ainaži. Schaut ziemlich verlassen aus. Kaum Autos, lediglich eines kommt mit uns zur Grenze, aus der Gegenrichtung keines. Die zwei Länder dürften nicht viel Interesse aneinander haben. Um das zu verstehen, müßte man mehr wissen über die Geschichte. Scheint, als wollte jedes der drei baltischen Länder sein eigenes Süppchen kochen, möglichst nichtsmiteinander, sondern einzeln viel herausholen vom EU-Kuchen. Wer weiß…
Unsere Pässe werden abgeholt und nach 10 Minuten wieder gebracht. Länger dauert unser Aufenthalt auch nicht, genau von 17.40 bis 17.50 Uhr. Aber 15 Minuten später ist schon wieder eine Pause. Ich meine nicht eine Haltestelle in einem kleinen Dorf (eben Ainaži), denn da steigt sowieso keiner ein oder aus. Wir halten an der Straße, weil es Probleme mit dem Kühlwasser gibt. Der Bus verliert Wasser. Wir stehen 35 Minuten, in der Zeit telefoniert der Fahrer viel mit dem Handy (auf Russisch, wie ich feststelle). Er füllt Wasser nach, das er mitführt, aber er vergißt, die Verschraubung zuzumachen, sodaß nach einem Neustart alles Wasser wieder herausschießt. Er muß also alles wiederholen. Erst danach geht es weiter. Nach 45 Minuten ist wieder Stop. Es ist 19.25 und wir sind in Saulkrasti, aber das Wasser muß wieder nachgefüllt werden. Ich weiß jetzt, warum ich Busfahren nicht mag. Selbst ein Zug mit Holzbänken (werden wir in Riga erleben) wäre mir lieber. Aber es gibt hier eben keinen Zug von Estland nach Lettland. Was blieb uns anderes übrig? Die Landschaft unterwegs ist übrigens relativ eintönig. Entweder weites Heideland (im Grenzgebiet) oder später unendliche Wälder mit einer breiten oder auch schmalen Schneise für die Straße. Mitunter kann man auch das Meer sehen. Wir kommen schließlich um 20 Uhr in Riga beim Marktplatz an. Von hier ist es nicht weit zu Fuß zum Bahnhof, und dort in der Nähe ist unser Hotel. Es ist sehr laut hier, sehr geschäftig und auf den ersten Blick nicht besonders einladend. Aber was soll’s? Die einzige Großstadt im Baltikum! Aber Lettland folgt erst im nächsten Teil.

Re: [EE] RB: Finnland-Baltikum (Teil 6: Tartu-Pärnu-Riga)

geschrieben von: FHO

Datum: 09.12.07 13:00

Interessanter Bericht über Estland, wo die Eisenbahn ja einen eher geringen Stellenwert besitzt, bei meinem Besuch bin ich mit dem Bus von Tallin nach Tartu gefahren, da die Bahnen so selten fahren - ein Fehler, wie ich jetzt sehe :-)