Wer frühere Teile versäumt hat:
Erster Teil: [
drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Finnland, Helsinki
Zweiter Teil: [
drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Finnland, Helsinki
Dritter Teil: [
drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Finnland, Ausflüge nach Norden
Vierter Teil: [
drehscheibe-online.ist-im-web.de] – Estland, Tallinn.
Am nächsten Tag ist der Regen vorbei und es ist blauer Himmel! Auf dem Weg zum Frühstück müssen wir über die gläserne Brücke zum Restaurant gehen, die im dritten Stock eine Verbindung zum Bahnhofsgebäude darstellt. Mit unserer Magnetkarte können wir den Übergang benutzen. Es ist ein ausgiebiges Frühstücksbuffet, aber noch mehr fasziniert uns die Gestaltung des Verbindungsweges. Wir entdecken nämlich, daß das neue Bahnhofsgebäude unter Benutzung des alten Gebäudes gebaut worden ist. Und auf dem Korridor sind viele alte Fotografien, die auch die Ansicht des alten Bahnhofs zeigen.
Der Gang ist mit einem Teppich ausgelegt, der wie ein Gleisbett aussieht. Die schmalen Fenster in der ehemaligen Bahnhofsaußenmauer (rechts) lassen einen Blick in die neue Schalterhalle zu.
Blick in die Schalterhalle (rechts Internetcafé), links erkennt man die schmalen Fenster an der ehemaligen Außenmauer.
So sah der Bahnhof einst aus (die Aufnahme stammt aus der Nachrkriegszeit).
Nach dem Frühstück kaufen wir die Fahrkarte für die morgige Fahrt nach Tartu. Sie kostet 180,- EEK pro Person hin und zurück, das sind also etwa 6 Euro pro Richtung. Die Entfernung beträgt 185 Kilometer. Ich versuche beim Schalter, sehr langsam und deutlich auf Englisch zu sagen, was ich möchte, dann probiere ich auch noch auf Russisch, was sie besser versteht, aber sie wiederholt dann immer wieder die einzelnen Fakten (Personenzahl, Datum, Abfahrtszeit usw.) – auch auf Russisch und tw. auf Englisch, ob sie mich auch ja richtig verstanden hat. Sie kann mir auch verdeutlichen, daß wir die Rückfahrt sowohl am selben Tag als auch am Folgetag antreten können. Die Fahrkarte ist eigentlich nur eine Art Kassabon.
Der linke Fahrschein ist von Elektriraudtee für unsere spätere S-Bahn-Fahrt.
Wir fahren nun mit der Straßenbahn, die hinter dem Bahnhof eine Station hat, Richtung Südosten zum Bussi jaam (Autobusbahnhof). Wo der ist, hat man uns bei der Rezeption erklärt und wir fanden ihn auch auf einem Stadtplan. Vorher haben wir aber noch eine Tageskarte für die Stadt besorgt, denn heute werden wir – was wir jetzt noch nicht wissen – das gesamte Straßenbahnnetz abfahren.
Beim Bahnhof kommt uns Wagen 152 entgegen, der noch die Erfurter Lackierung trägt.
Wir besteigen auch die Linie 2 (in die andere Richtung), sie führt uns ohne Umsteigen zur Odra Straße, wo der Busbahnhof ist. Dort weist man uns zu einem internationalen Schalter, wo wir die Fahrkarte für die Fahrt von Pärnu nach Riga bekommen (bis Pärnu wollen wir ja mit der Bahn fahren). Der Fahrschein wirkt schon eher wie ein echter Fahrschein, mit Durchschrift, fast wie ein Flugschein. Kostenpunkt: 120 EEK (8 Euro) für 180 km Landstraße. Nun haben wir also, was wir für morgen und übermorgen brauchen. Danach fahren wir weiter zur Endstation dieser Strecke, nach Ülemiste.
Das Netz der Straßenbahn Tallinn.
Die Straßenbahn von Tallinn
Es ist Zeit, die Straßenbahn von Tallinn vorzustellen. Es verkehren vier Linien, die sich überlappen, wie es früher in allen Ostblockstaaten üblich war. Auch die Fahrscheine werden noch nach alter Methode entwertet – also gleich wie früher in den meisten "Ostblockländern": Ein Code aus 9 Feldern wird in den Fahrschein gestanzt. Ein Fahrschein kostet 15 EEK beim Fahrer bzw. 10 EEK im Vorverkauf. Auch eine Tageskarte gibt es. Die Straßenbahn in Tallinn wurde in der seltenen Kapspur (1067 mm) angelegt, das war das einzige Kapspurnetz in der ehemaligen UdSSR. Aber die Geschichte ist durchaus ungewöhnlich: 1888 wurde eine Pferdebahn (in Kapspur) angelegt. 1916 kam eine breitspurige (1524mm) Linie mit Dampfbetrieb dazu. Die Pferdebahn wurde 1921 durch benzinbetriebene Fahrzeuge ersetzt, 1925 wurden die ersten Abschnitte elektrifiziert, 1931 wurde die breitspurige Dampfstraßenbahn auf Kapspur umgespurt und vorerst ebenfalls auf Benzinbetrieb umgestellt. Bis 1953 war endlich das ganze Netz elektrifiziert. Seit 1965 gibt es übrigens auch O-Busse. Die Netz-Zeichnung ist nur schematisch und nicht maßstäblich!
Der Wagenpark der Straßenbahn besteht heute ausschließlich aus Tatra-Gelenkwagen der Baujahre 1980 bis 1990 und mit den Nummern von 51 bs 159. 96 Stück davon sind KT4, 13 Wagen wurden seit 2001 durch ein Niederflurmittelteil zum Typ KT6 erweitert. 36 Triebwagen wurden zwischen 1996 und 2007 von den deutschen Betrieben in Gera, Cottbus und Erfurt übernommen. Viele Wagen tragen Vollwerbung, der normale Anstrich besteht aus hellblauen und dunkelblauen Flächen mit weiß. Zwischen 1973 und 1980 wurden nicht weniger als 59 Stück T4-Wagen in Dienst gstellt, aber zwischen 1997 und 2005 ausgemustert. Die letzten Gotha-Gelenkwagen wurden schon 1988 außer Dienst gestellt.
Unter [
tallinn.mashke.org] finden sich viele interessante Bilder und auch Nummernlisten (Bild anklicken) der jeweiligen Bauarten.
Wagen 143 stammt aus Frankfurt/Oder und trägt schon die neue Lackierung.
Wagen 131 stammt aus Gera. Seit Jänner 2005 ist der Wagen ein Sechsachser. Wagen 59 ist hingegen ein Ur-Tallinner. Das Bild zeigt die Endtstation Ülemiste.
Hier sieht es wirklich noch aus wie zu Sowjetzeiten. Und das Interessante an der Station: Es stehen Unmengen von Straßenbahngarnituren in der Haltestelle. Die müssen lange Ruhepausen haben und einen hohen Wagenbedarf. Wir fahren dann wieder zurück bis zum kurzen Streckenstück, wo alle vier Linien gemeinsam verkehren und steigen in einen 3er nach Kadriorg um, das ist die zweite Endstation, die wir besuchen.
[img] [
img49.imageshack.us][/img]z3137
Unser Wagen hat neue Sitzpolster in den alten Schalensitzen. Es gibt aber auch ganz andere Innengestaltungen.
Kadriorg ist bekannt wegen des Schlosses, das Katharina die Große mit einem schönen Schloßpark anlegen ließ. Das Schloß ist nicht sehr groß und vielleicht gerade deshalb so hübsch. Außerdem ist die Farbe einmal was anderes, nämlich ein dunkles rot, mit weißen Absetzflächen an den Ecken und Fenstern und Portalen.
Schloß Kadriorg (Katharinenburg) im Osten Tallinns.
Hinter dem Schloß befindet sich – wie man sieht - ein Park mit schön angeordneten Blumenbeeten. Wir spazieren durch die angrenzenden Parkanlagen und können manchmal auch bis zum Meer blicken. Wir haben schon bei der Herfahrt grüne Autobusse mit Anhänger gesehen. Da es das heute fast nirgends mehr gibt, will ich die natürlich aus der Nähe sehen und auch fotografieren. Also warten wir, denn beim Rusalka-Denkmal fährt die Linie vorbei, auf der diese Busse verkehren. Wir fahren ein oder zwei Stationen mit und danach wieder zurück.
Danach gehen wir zum Meer, dort finden wir außer einem Strand das Rusalka-Denkmal mit vielen Besuchern davor. Dieses Denkmal erinnert an den Untergang des als unsinkbar bezeichneten russischen Panzerschiffs „Rusalka“, das 1893 auf der Fahrt von Tallinn nach Helsinki gesunken ist. 177 Seeleute kamen dabei ums Leben. Es war mit einem zweiten Schiff unterwegs gewesen, das zweite kam allerdings unversehrt in Helsinki an – erst bei der Ankunft bemerkte man das Fehlen des Schiffes. Es herrschten starke Stürme und hohe Wellen, dennoch blieb die Ursache der Katastrophe ungeklärt und man fand keine Spuren. Das Wrack des Schiffs wurde erst 2003 25 km südlich von Helsinki auf dem Meeresgrund gefunden. Das Denkmal wurde 1902 errichtet und von einem estnischen Künstler gestaltet. Rusalka ist übrigens der Name einer Nixe bzw. eines Wassergeistes in der slawischen Mythologie. Noch ein Detail: das goldene (orthodoxe) Kreuz, das der Engel auf dem Denkmal in Händen hält, war während der sowjetischen Besatzungszeit entfernt.
Nach einer Kurzen Pause in einem Park-Café gehen wir zur Straßenbahn und fahren mit der Linie 1 zurück zum Bahnhof. Denn der Zug nach Sankt Peterburg kommt (pünktlich) an, und den möchte ich ja unbedingt sehen und fotografieren.
Er kommt mit der selben lettischen Lok an, mit der gestern der Zug nach Moskau abgefahren ist. Das Bild zeigt den Zug beim Hinausschieben aus dem Bahnhof. Nun besorgen wir gleich die Fahrkarten für die Fahrt nach Pärnu am Samstag. Wir wollen ja nicht die ganze Strecke von Tallinn nach Riga mit dem Bus fahren. Nach Pärnu gibt es allerdings nur einen Personenzug, also dementsprechend langsam. Die Fahrkarte kostet pro Person 60 Krooni, das sind etwa 4 Euro. Und das für 136 km!
Fahrt mit Elektriraudtee
Nun fehlt uns noch eine Fahrt mit der Elektriraudtee. Und da ich schon herausgefunden habe, daß man in Tondi von der S-Bahn in die Straßenbahn umsteigen kann, beschließen wir, mit einem elektrischen Zug nach Tondi zu fahren. Tondi ist die zweite Haltestelle nach Tallinn Balti jaam. Wir erwischen eine modernisierte Garnitur, pro Reihe gibt es 5 Plätze – es sind Einzelsitze, keine Sitzbänke!
Unser Zug (nach Riisipere) nach dem Aussteigen in Tondi. Aus der Gegenrichtung kommt gerade der neueste Zug als Gegenzug daher, sodaß ich ihn fotografieren kann.
Dann fahren wir mit der Linie 4 Richtung Stadt bis zur Kreuzung mit der Kaarli puiestee.
Interessant die Inneneinrichtung: wieder eine andere Gestaltung. Man hat scheinbar mit vielen Modellen experimentiert:
Nach dem Aussteigen fotografiere ich einen O-Bus – es soll ja auch O-Bus-Freunde unter den Usern geben… Ein Ganz Solaris. Von dort spazieren wir wieder durch die Altstadt, diesmal durch andere Gassen. Wir kommen auch an der litauischen Botschaft vorbei, die in einem ziemlich kleinen Barockhäuschen untergebracht ist.
Wir kommen zu einem Stadttor, das von der 25 Meter dicken „Paks Margarete“ (dicke Margarete) flankiert wird, einem Festungsturm, der wegen seiner Wucht feindliche Schiffe in der Vergangenheit beeindruckt hat und von einem Angriff abgehalten haben soll. Unmittelbar neben diesem Wehrturm befindet sich im Rasen ein großes Denkmal für die 1994 gesunkene Estonia. In die großen Metallteile sind alle Namen der 852 Todesopfer eingraviert.
Olaikirche
Nun fehlt uns noch die Olaikirik (Olafs-Kirche), von der aus man den schönsten Blick über die Stadt haben soll. Die Kirche wurde 1267 erstmals erwähnt und ist nach dem norwegischen König Olaf II. benannt. Im 16. Jahrhundert soll der Kirchturm mit damals 159 Metern höhe das höchste Gebäude Europas gewesen sein! Im 19. Jahrhundert kam es zu großen Feuerschäden. 1840 spendete der Zar Nikolaus I. eine halbe Million Rubel zur Renovierung der Kirche. Heute ist das Innere sehr schlicht, die Kirche wird von einer freikirchlichen Gemeinde genützt. Der Blick vom Turm ist wirklich beeindruckend, auch wenn wenig Platz auf dem rechteckigen Weg rund ums Blechdach ist. Hier der Blick zum nahen Hafen:
Beim Rundblick entdecke ich den Zug nach Moskau mit einer GO-Rail-Lokomotive. Die muß ich natürlich auch aus der Nähe fotografieren!
Da bis zur Abfahrt noch etwas Zeit ist, müssen wir uns nicht beeilen, sondern spazieren einfach nach dem Besuch des Kirchturms wieder zum Bahnhof zurück.
Auf dem Weg zum Bahnhof ein Blick zurück zur Olaikirik. Die TEP70 von GO-Rail vor der Abfahrt im Balti jaam:
Angeblich gibt es auch eine zweite Lok in dieser gefälligen Farbgebung. Vielleicht war sie zur Zeit meines Besuches in der Werkstatt.
Straßenbahn nach Kopli
Danach gehen wir in der angeschlossenen Markthalle ein wenig einkaufen, bevor wir uns die letzte noch nicht befahrene Straßenbahnstrecke anschauen. Die Linien 2 und 4 fahren nach Kopli und wir staunen, wie lang diese Strecke ist. Es geht lange Zeit entlang von Gütergleisen dahin, einmal gibt sogar einen beschrankter Übergang über ein Bahngleis – die Straße hingegen hat keinen Schranken!
Bei der Endstation in Kopli hat man einen direkten Blick aufs Meer, sodaß man sogar Straßenbahn und Meer gemeinsam fotografieren kann. Sonst gibt es hier am Ende dieser Halbinsel nur eine Hochschule und viel Grün. Ach ja: auch eine Straßenbahnremise! Nach einem Spaziergang rund um die Schleifenanlage, bei der ich mich wieder wundere, wie viele Garnituren hier auflaufen und warten (personalintensiv!), fahren wir zurück bis zur Schrankenanlage für die Straßenbahn/Eisenbahnkreuzung. Man erkennt den Schranken, für die Straßenbahn gibt es auch ein rotes Warnsignal. Für Autos gibt es hingegen keinen Hinweis auf eine Gleiskreuzung, nicht einmal ein Andreaskreuz.
Ein Stück weit gehen wir durch Industriegebiet und alte Straßen mit Holzhäusern. Das Bild hat mein Freund gemacht.
Auf dem weiteren Weg entdecken wir auch eine Schmalspur-Dampflok als Denkmal. Es ist die Kc4-100, gebaut bei Škoda 1949. Eine Erinnerung an das große Schmalspurnetz von Estland (bis 1975).
Zum Hotel geht es dann durch den Shnelli Park entlang der Stadtmauer, wo wir noch einige interessante Fotos machen können.
Interessante Lichteffekte gibt es in der untergehenden Sonne und dem gewitterschweren dunklen Himmel im Hintergrund.
Dann geht es zurück zum Hotel, wo wir im Restaurant endlich die Füße rasten lassen können und uns dem Abendessen widmen können. Und es wird einen dritten Teil von Estland geben, denn wir waren noch immer nicht in Tartu und Pärnu!
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2007:12:06:11:33:53.