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 04 - Historisches Forum 

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Der erste Mal am schwarzen Meer

Vorweg, danke für die Blumen. Hier kommt mehr. Wer wissen will, wie wir nach Lviv und zu unserem Zug kamen, kann man hier nachlesen!

Als wir in unserem Wagen stiegen, stellten wir fest dass es sich um eine Art Großraumliegewagen handelt. Der „Abteilcharakter“ wurde dadurch unterstrichen, dass wir quer zu Fahrtrichtung lagen und nicht längs. Das war meine erste Begegnung mit einem „Platskartny“.

Die unteren Liegen hatte eine kleine Familie. Der Vater verdiente sein Geld als Bauarbeiter in Spanien und war damals wohl mitte dreißig. Seine sehr hübsche Frau dürfte circa zehn Jahre jünger gewesen sein. Sie hatten ihren Sohn mit, der damals vier Jahre alt war. Unter den beiden unteren Liegen befand sich eine Art Truhe. Unter der Liege der jungen Frau wurde unser Gepäck verstaut.

Nach Abfahrt des Zuges wurde aufgetischt und wir wurden eingeladen. Wir steuerten unseren schmalen Proviant, ein wenig Obst und ein paar Gurken und Tomaten bei. Mittlerweile weiß ich, dass ukrainische Großmütter Reiseproviant so bemessen, dass neben den reisenden Angehörigen noch ohne weiteres zwei bis drei Gardeschützendivisionen verpflegt werden könnten. Damals hatten wir aber doch ein wenig schlechtes Gewissen obwohl wir nachdrücklich zu Essen aufgefordert wurden.

Beim Essen erzählte uns der Familienvater, er sprach Spanisch, mein Mitreisender Italienisch und sein Frau recht gut Englisch, dass er bei einer Spezialeinheit der Armee war. Seine Frau wollte sichtlich nicht alles übersetzen, wichtig war ihm doch, dass er mit bloßen Händen töten konnte. Seit sieben Jahren war er also Bauarbeiter in Spanien. Die Familie fuhr ans schwarze Meer.

Als sich die junge Frau mit ihrem kleinen Buben auf jener Liege zusammenrollte, unter der unser Gepäck war, wußten wir: unseren Sachen passiert nichts. Jeder potentielle Dieb hätte sich an dem Kind eines Elitesoldaten und – vielleicht noch schlimmer – an seiner wunderschönen Frau vergreifen müssen. Das wäre nicht gut gegangen.

Mein Reisegefährte machte es sich bequem und ich fröhnte damals noch dem Laster des Rauchens. Also ging ich für meine Gute-Nacht-Zigarette noch auf die Plattform. Natürlich am Klo vorbei. Wobei gegenüber des Klos eine Art Kasten war, vermutlich ein Geräteschrank, der circa einen Meter hoch war. Vor dem Klo stand also ein küssendes Pärchen, recht jung, um die zwanzig.

Mich tangierte das wenig, ich ging auf die Plattform, wo ich der einzige in Jeans war. Dazu sollte man vielleicht bemerken dass zu den ersten Handlungen eines Ukrainers im Zug das Umkleiden gehört. Sobald man im Zug ist, schlüpft man in Jogginganzüge, Frauen manchmal auch in Nachthemden, sehr junge Frauen mit Begleitung gelegentlich auch in Delikateres (nein nicht in Reizwäsche).

Auf der Plattform wunderte man sich einmal über einen westlichen Ausländer im Platskartny. Mehr noch darüber, dass er ukrainische Zigaretten rauchte. Es wurde freundlich gelächelt, doch wenig verstanden – zumindest von mir.

Nach der Zigarette wollte ich in den Wagen zurück, doch der junge Mann hatte seine junge Freundin auf besagten Geräteschrank gegenüber dem Klo platziert und penetrierte die junge Dame. Das ging, da weder die Tür zur Plattform, noch die Tür zum Schlafraum ein Fenster hatten. Ohne sein tun zu unterbrechen, griff er in die Brusttasche seines Hemdes, hielt mir eine Schachtel amerikanische Zigaretten vor die Nase. Ich entnahm eine Zigarette und ging wieder auf die Plattform. Die andern auf der Plattform bekamen das auch mit und es machte sich Heiterkeit breit. Als ich mit der Zigarette fertig war, war das junge Glück offenbar auch fertig, möglicherweise ein neuer Kosak gezeugt, jedenfalls gelangte ich unbehelligt zu meiner Liege.

Müde wie ich war, schlief ich schnell ein. Am nächsten Morgen beobachtete ich dem Powodnik wie er vor seinem Abteil bei Kohleofen und geöffneten Fenster rauchte. Das wollte ich auch und lernte die Bedeutung des schönen lateinischen Satzes: „Quod licet iovi non licet bovi.“ anschaulich kennen. So brüsk und unmissverständlich wurde ich selten von einem Eisenbahner zurecht gewiesen.

Mein Fazit, kurz bevor wir in Odessa ankommen: Platskartny ist gar nicht mal so unbequem und sehr günstig. Allerdings der Ton der Powodniks ist doch rauer als im Coupé (T3 oder T4) und man muss sich im klaren sein, dass rund sechzig Leute in einem Wagen alles machen, was sie auch so daheim machen. Also schnarchen, essen, trinken, auch rülpsen, schreien (vor allem Babys), sich waschen, rasieren, Liebe machen und so weiter. Damit sollte man schon klarkommen.

Der Zug war pünktlich in Odessa. Das ist jetzt in der Ukraine nicht so weiß Gott wie außergewöhnlich. Wie auch der Lemberger Bahnhof, war auch der von Odessa sehr schon renoviert. Odessa hat sogar Hochbahnsteige und das Aussteigen ist bequem. Das Taxi war mit 10 Dollar auch sehr günstig, vor allem wenn man die Wegstrecke von 500 m (laut Google Maps) in Betracht zieht. Selten hatte ich so ausgeprägte Mordgelüste, wie gegenüber diesem Taxifahrer.

Das Hotel, ein klassischer Intouristbau, wurde rasch bezogen, die Wertsachen im Hoteltressor deponiert, die Dreckwäsche dem „Laundry service“ überantwortet und gegen ein Uhr ging es Richtung Meer!

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Ist das nicht guter Einstieg für Eisenbahnfreunde? Das erste Bild am Meer!

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In den späten Nachmittagsstunden kehrten wir in dem Restaurant oberhalb der Potemkinschen Treppe ein. Ein Luxusrestaurant, zweifellos. Preise wie in einem gutbürgerlichen Lokal in Wien, doch zum ersten Mal in der Ukraine fanden wir eine verständliche Speisekarte mit klaren Preisen, die auch mit der Rechnung zusammen passten. Vor allem wurde von einem Kellner zwei Tsiche betreut und das Essen war derart exquisit, dass wir zum ersten Mal das Verhältnis Preis zu Leistung als stimmig ansahen.

Am Abend ging es in ein Amüsierviertel, wo der Drink – ein Cuba Libre mit echt kubanischen Rum– mit vier Dollar insofern preiswert war, als irgend ein Russe eine Lokalrunde schmiss und wir faktisch zwei Dollar pro Drink zahlten. Im Übrigen habe ich nirgends so protzige Auto gesehen. Teure Autos gibt es auch in Monaco, aber Humvees mit goldenen Türgriffen oder Landrover mit Svarovsky Steinen (oder echten Diamanten) am Kuhfänger gibt es wohl nur im Osten.

Also gingen wir durch die dunkle Stadt ins Hotel. Dort angekommen legten wir uns zu Ruhe, wobei mir unangenehm auffiel dass mein Mitbewohner häufig flatulenzierte und öfters hektisch das Klo aufsuchte. Als wir uns vor der Reise im Tropeninstitut gegen Tollwut impfen ließen – in Rumänien unbedingt empfehlenswert – informierten wir uns über die Ukraine. Der Rat des Arztes war recht simpel: „Vor jeder Mahlzeit ein Schnaps. Dann kann nichts passieren.“ Ich zog das konsequent durch, mein Mitreisender war „kein Alkoholiker“ und vermied ebenso konsequent den Vodka zum Frühstück und ließ auch sonst immer wieder ein Getränk aus.

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Dobroho ranku, Odesa!

Also das Frühstücksbuffet habe ich allein erforscht und natürlich einen Vodka konsumiert. Meinem Mitreisenden blieb nur Tee und ich besorgte ihm Kohletabletten aus der Apotheke. Dann erforschte ich den Bahnhof und die Umgebung, was in diesem Forum Gefallen finden wird.

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Vor dem Bahnhof eine Tram

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Ersatzteilmangel kreativ gelöst - normale Holzrahmen ersetzen gebogene Heckscheiben

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Eine ähnliche Konstruktion wie in Lviv. Nur, ist das ein T4D? Und wer hat vor 2002 Wagen nach Odessa abgegeben?

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Ein zweitüriger T3SU ist natürlich für uns etweas Besonderes - auch in Odessa!

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Ich liebe dieses Bild!

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Dieses auch, ich finde beide sehr lebendig.

Zu Mittag verpflegte ich mich bei einer Babuschka am Bahnhof. Die alten Frauen saßen mit Camingkochern am Straßenrand und frittierten allerlei gefüllte Teigschaschen (Pyrischky). Sehr lecker, sehr billig. Überhaupt wurde das der günstigste Tag dieser Reise. Gegen Nachmittag wurde meine Reisegenosse wieder motivierter und konnte es verantworten die Toilette länger zu verlassen. Wir besuchten nun den Schewtschenko Park einige Denkmäler am Hafen. Leider kein Bild habe ich von der getunten Tramway. Man stelle sich einen T3SU in einer Golf GTI oder Kadett GSI Aufmachung vor: Ralleystreifen, getönte Frontscheibe, Fuchsschwanz, alles da!

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Am Abend waren wir wieder mutig und aßen in einem sehr kleinen Restaurant Hühnchen á la Kiew. Ein deftiges Gericht bei dem ein Vorspeisentellern mit rund zehn Pommes frittes als Beilage absolut sättigend ist. Es handelt sich um ein frittiertes Hühnerfilet, mit Schinken und Kräuterbutter gefüllt. Saftig, aber sättigend. Obwohl Küche und Speisesaal in einem Raum mit maximal zehn Quadratmeter zusammengefasst war und obwohl die Reinigung nicht die höchste Priorität des Personals genoss, blieb das durchaus wohlschmeckende Abendessen dank zweier Begleitvodka völlig folgenlos. Der Preis bewegte sich im niedrigen einstelligen Eurobereich. Für beide, wohlgemerkt.

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Ein Bild der Potemkintreppe muss sein!

Nach einer weiteren Nacht in Odessa stand nun die Besichtigung der Kaufhalle (GUM für sehr arme), des Zentralmarktes der bewies dass Odessa neben Istanbul eine Nahtstelle zwischen Orient und Okzident ist sowie des Tiergarten am Programm. Zwischendurch kauften wir Fahrkarten, nein wir hatten nichts dazugelernt, war aber kein Problem, so viele Leute wollen nicht nach Modawien. An diesem Abend verweigerte ich kulinarische Experimente und wir gingen wieder in das Luxusrestaurant an der Potemkintreppe.

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Leider geil!

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Am nächsten Morgen stand nocht mehr viel am Programm unser Zug ging am Vormittag. Ledglich einige Musikkasetten mit ukrainischen Schlagern habe ich noch günstig erworben. Unser Zug war ein Produkt aus dem Hause Ganz in Ungarn. Ein ganz gewöhnliche D1 der CFM der jedoch ein Highlight bot: Einen Videowagen! Den Videowagen vermieden wir, es war laut drin und wir verstanden doch nichts. Warum ich den Triebwagen nicht als Ganzen abgelichtet habe, weiß ich nichtmehr.

An der Grenze zu Moldawien wurde es richtig spannend. Zunächst wollten uns die Ukrainer die Ausreise ausreden. Dann wollten sie fünfzig Doller Schmiergeld. Mein Mitreisender wollte seine Vorräte nicht anzapfen und ich hatte nur 25. Ich bot ihnen Griwnas an, die wollten sie nicht. Schließlich hielten sie mir eine Kalaschnikow unter die Nase um mir Geld zu entlocken. In der Sekunde dachte ich nach, erschießen werden sie mich nicht, das macht zu viele Probleme. Also erklärte ich ihnen dass Sie nur 25 bekommen. Damit waren sie zufrieden und trollten sich. Vorher erklärten sie mir noch sie würden – was sie auch taten – das Visum so abstempeln dass man den Grenzübergang nicht erkennen könne. Und wiesen uns nochmals hin, das eine Rückreise in die sichere Ukraine mit diesem Visum nicht mehr möglich sei und empfahlen erneut den Zu zu verlassen. Hey ihr Clowns, wir wollen nach Moldawien! Nachdem wir den Zug nun erfolgreich 45 Minuten über die Planabfahrt aufgehalten hatten, fuhren wir los.

Nach wenigen Minuten Fahrt wurde es gespenstisch. Überall Militär, Panzersperren, Stacheldraht und irgendwo eine russische Flagge. Wo sind wird da? Am ersten Bahnhof hing am Fahnenmast ein Rot-grüner Fetzen. Wir sind hier nicht in Portugal – so viel war klar! So langsam dämmerte uns, dass die Theorie, das Transnistrien nur im Nordosten Moldawiens war, wohl nicht ganz haltbar war. Was nun?

Vielleicht sind aus den amerikanischen Filmen die vollbärtigen Männer, mit olivgrüner Armeehose und ebenso olivgrünen und tarnfarbenen Unterhemden bekannt. Die Typen die immer und überall mit der Kalaschnikow herumlaufen. Diese gab es wirklich und zwar dort. Zwei von ihnen gingen durch unseren Wagen, fingen ein paar unglücklich aussehende Leute aus dem Zug und versammelten sie am Bahnsteig. Der Triebwagen fuhr dann rasch ohne diese Leute weiter. Wir wurden nicht mal ignoriert und warum darüber nicht unglücklich.

Der Zug hielt dann nochmal in Tiraspol und Bender. Danach ging es über den Dnjestr, wobei es damals am transnistrischen Ufer noch richtige Schützengräben und Bunker gab, beides natürlich mit Militärpersonal besetzt. Auf moldawischer Seite gab eine Grenzkontrolle, jedoch keinen Einreisestempel. Nach fünf Stunden rauchte am Bahnsteig eine Zigarette, meine Gefährte sah ir ausdem offenen Fenster dabei zu. „Endlich wieder in der freien westlichen Welt!“ stellte ich – politisch nicht ganz korrekt – fest.

Mit gut zwei Stunden Verspätung kamen wir in Chisinau an. Den Kilometer vom Bahnhof zu Hotel bewältigten wir – aus Schaden klug geworden – erfolgreich zu Fuß. Zu müde für weitere Experimente, gaben wir unsere Pässe ab „big problem“. Warum denn der Einreisestempel fehle? Nun wir kamen ja aus Transnistrien. „Transnistria not exists!“ Fein, das konnte ja heiter werden. In der Lobby saß ein schnautzbärtiger Moldawier und blätterte in einer Zeitung.

Wir wurden für dreissig Minuten auf das Zimmer geschickt und sollten uns dann bei der Rezeption melden. Nach der halben Stunde erhielten wir zwei Papierstücke, etwa vier mal acht Zentimeter, mit Schreibmaschine geschrieben und in sehr schlechter Qualität kopiert. Darauf war mit Kugelschreiber unser Name, Nationalität und Nummer des Reisepasses. Außerdem gab es einen Stempel und eine Unterschrift. Das waren – so wurde uns erklärt – unsere Personalausweise während des Aufenthalts. Der schnautzbärtige Zeitungsleser, saß immer noch am grünen Sofa.

Müde und ohne Lust auf Risiko aßen wir im Hotelrestaurant. War gar nicht so teuer – etwa preislich wie damals Tschechien oder die Slowakei – und gar nicht so schlecht. Auf unsere Nachfrage erfuhren wir das die Hotelbar am Dach sei. Nun ein Moldawischer Konjak als Degestiv war doch angebracht! Als wir durch die Lobby gingen, nahm der schnautzbärztige Moldawier keine Notiz von uns. Zu vertieft war er in die Zeitung.

Wir fuhren mit dem Lift in den zwanzigsten Stock, in Erwartung einer wunderbaren Aussicht. Wahrscheinlich wäre die Aussicht wunderbar gewesen, wenn die Bar Fenster gehabt hätte. Man hat aber einen traditionellen moldawischen Weinkeller oder was sich Touristen darunter vorstellen nachgebaut. Und im Weinkeller gibt es keine Fenster, auch nicht im 21. Stock. Denn vom Lift zur Bar ging es nur über weitere Stufen.

Dort angekommen fanden wir lediglich einen Kellner vor. Ich weiß nicht wer die Anekdotensammlung „Tante Jolesch“ von Friedrich Torberg gelesen hat, aber im Kapitel über Hugo Sperber wird das beschrieben, was uns nun passierte. Der Kellner nahm unsere Bestellung auf, was nicht so einfach war, da die meisten Getränke nur Flaschenweise erhältlich waren. Nun, wir bekamen den einzigen offenen Konjak. Der Kellner telefonierte.

Wenig später tauchte eine Band auf und gab, schrecklich falsch singend, Schlager wie: „Fooooling in laaaaaf!“ zum besten. Am Nebentisch machten sich einige – nicht ganz frische Damen - mitte dreißig breit und begannen zu tratschen. Die dicke Schminke trug einiges zum bizarren Eindruck bei und wir hielten sie für Mafiabräute. Wer sonst sollte hier verkehren und stilles Mineral ordern?

Die Band verzog sich nach drei Liedern ohne Applaus mit sichtlicher Verärgerung. Auch die Damen bezahlten ihre Zeche und gingen. Am Türabsatz drehte eine um, die anderen zwei blieben im Türrahmen. Sie kam zu uns, beugte sich über meinen Reisebegleiter und schnarrte mit der lieblichen Stimme eines Sergant der moldawischen Streitkräfte: „Wanna sex or massage???“ Mein Mitreisender erbleichte bei dieser romantischen Vorstellung. „Sorry no, we're not interested!“ half ich ihm aus der Affäre. Die Dame macht Marsch kehrt, wie sie es vermutlich bei der roten Armee gelernt hat, und stapfte mit den anderen aus dem Raum.

Der Barkeeper sah uns von hinter der Bar verzweifelt an. Wir orderten einen zweiten Drink: „No bottle, just a glass!“ und plauderten ein wenig über das eben Erlebte. Da der Kellner keine weiteren Ideen zu unserer Unterhaltung hatte, bezahlten wir und verließen das heimelige Etablissement. Der Barkeeper brach, als wir an der Türschwelle waren, verzweifelt auf seinem Tresen zusammen. Wir ließen ihm mit seiner Niederlage allein.

Am Hotelzimmer wurde uns telefonisch, von einer geringfügig erotischeren Stimme, nochmals Sex und Massage angeboten. Wir verzichteten erneut dankend und begaben uns zu Bett, fest überzeugt davon, dass das Zimmer verwanzt war und das uns morgen das ganze Hotelpersonal für schwul halten würde. War uns aber beides egal.

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Chisinau am Morgen

Am nächsten Morgen bei Frühstück und Vodka, ja auch mein Mitreisender hatte sich von den Vorzügen eines morgendlichen Schnapses überzeugen lassen, planten wir unsern Spaziergang durch Chisinau. Viel Zeit hatten wir nicht, daher brachen wir rasch auf. In der Lobby saß schon wieder dieser Moldawier mit Schnautzbart und blätterte in der Zeitung. Er wurde von uns nicht beachtet.

Wir gingen nun zur Trolleybushaltestelle. Unser Ziel war das Museum der sowjetischen Streitkräfte. Wir hatten kein Kleingeld, was von der Schaffnerin lachend quittiert wurde. Als ob wir im Bus bezahlen müssten, hach drollig diese Touris. Ganz verstanden wir das nicht, war aber okay. Die Fahrt im 14Tr von Skoda war unsprektakulär, das kannten wir ja aus Tschechien und der Slowakei.

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Wenigstens ein Bild ist einigermassen on-topic

Nachdem wir diese Ansammlung veralteten Kriegsgerätes gesehen hatten und auch das Denkmal des großen Vaterländischen Krieges besucht hatten, kauften wir uns am Zentralmarkt noch etwas zu essen. Danach ging es zum Hotel. Es war Wochenende und wenig los in der Stadt. Beim Getränkekiosk vor dem Hotel orderten wir noch Wein und Konjak, mit der Bitte beides bereitzuhalten, wir würden nur unsere Rucksäcke holen.

Nach einem raschen Check out kamen wir wieder in den Kiosk. Der zuvor recht fröhlich Verkäufer stand ängstlich hinter seinem Tresen. Davor lehnte jener schnauzbärtiger Moldawier, der uns schon zeitungslesend in der Lobby mehrmals aufgefallen war. Er schien nichts anderes zu tun als in der Lobby Printmedien zu konsumieren. Oder im Kiosk auf uns zu warten.

Jedenfalls stellte es sich als Mitarbeiter der moldawischen Amtes für Tourismusförderung vor. Er wolle eine kurze Umfrage machen. Gerne beantworteten wir seine Fragen. Warum wir ausgerechnet im Museum der Streitkräfte gewesen wären? Ob uns die Stadt gefallen habe? Ob uns am Markt nichts gestohlen wurde? „We not expected that you wanna go there. So we not cleaned the area from suspect elements!“

Nachdem wir seine Fragen zu seiner Zufriedenheit beantworten konnten und damit zur Förderung des Tourismus beigetragen hatten, teilte er uns mit dass der von uns gewählte Wein überteuert und schlecht sei. Er offerierte uns unseren Einkauf zu einem günstigeren Preis oder gleich seinem Lieblingswein, ebenfalls zu einem günstigeren Preis. Der Händler wäre sehr glücklich uns ein gutes Angebot zu machen, oder? Nach einem fragenden Blick zum Händler, nickte dieser heftig. Er wäre wohl auch „glücklich gewesen“ uns seine Tochter zu überlassen.

Nachdem wir nun guten (ob besserer kann ich nicht sagen – mir fehlt der Vergleich) Wein zu einem sehr günstigen Preis erworben haben, gingen wir guten Mutes zum Bahnhof. Viel gab es nicht zu photographieren, ich gebe es zu, ich habe mich nicht wirklich getraut. Mein einziges Bild zeigt die TschM3 des Bahnhofs, als Porträt getarnt. Unseren Schnellzug mit der halben 2TE110 habe ich mich ehrlicherweise nicht getraut zu photographieren.

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Den Herrn mit dem Smiley habe ich als Photoausrede missbraucht. Heute im Rückblick ist mir klar, ich wahrscheinlich alles photographieren können und wenn nein wäre ich nur höflich abgemanht worden. Aber in der Situation war mir das zu heiß!

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Mal die Fahrgastperspektive

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Nach gut zwei Stunden Fahrt gaben wir dem Powodnik, nachdem ihm auch unser fehlender Einreisestempel gestört hat, fünf Dollar das zu regeln, was dieser auch gerne tat. Er fuhr früher in die DDR und konnte gut Deutsch. Schade nur, dass uns nun die „Personalausweise“ abgenommen wurden. Andererseits muss man verstehen, 9/11 war nicht mal ein Jahr her und Osama Bin Laden wartete nur darauf, derartige moldawische Dokumente zu ergattern um damit weiß Gott was anzurichten!

Ein letztes Bild der moldawischen Eisenbahn entstand in Ungheni. Ausgerechnet am Grenzbahnhof wurde ich mutig? War ich wirklich so naiv? Nein, wer das Motiv sieht, weiß warum und wieso. Übrigens, die TE ist klar, aber was ist die zweite Lok? Eine ER?

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Und mit diesem Motiv, wünsche ich eine gute Nacht, bis morgen in Rumänien!

Liebe Grüße
Werner
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1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2014:01:12:21:29:14.
@Werner,

toller Bericht. So etwas erlebt man m.E. nicht in einer Reisegruppe.
Deine Zeilen über die Busfahrt in Odessa erinnern mich an meinen Besuch in Budapest im Jahr 1985. Dort sagten mein Begleiter und ich beim Einsteigen in die Straßenbahn "Tourist" und dann wurden wir lächelnd von der Schaffnerin durchgewinkt. Bezahlen brauchten wir nix.

Dann bis morgen in Rumänien. :-))
Freu mich schon auf den Bericht.

Frdl. Grüße
Martin

Wunderbar!

geschrieben von: D 2027

Datum: 12.01.14 00:10

Hallo Werner,

wenn Du mit gutem Beipiel weiter so rasant vorangehst, müssen wir bald ein Unterforum für historische Reiseberichte aufmachen. Allein schon Deine "lebensnahen" Schilderungen von Weib und Wein (habt ihr in der Bar nicht gesungen?) sind überaus lesenswert und geben die Atmosphäre der damaligen Zeit in Osteuropa sehr anschaulich wieder. Molwanien wie es leibt und lebte :-)

Ganz grosse Klasse, ich warte gespannt auf den dritten Teil.

Erik

Wer in Deutschland das öffentliche Eisenbahnwesen benutzt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. (Karl Lagerfeld, dt. Modeschöpfer 1933 - 2019)

Super !!!

geschrieben von: RRo

Datum: 12.01.14 01:20

Wirklich toll geschrieben, selten macht das Lesen von Reiseberichten so viel Spass !

Ich freue mich gleichfalls auf die Fortsetzung.

Gruß Robert

Re: Super !!!

geschrieben von: BTTB

Datum: 12.01.14 07:42

Einwandfrei

Re: Wunderbar!

geschrieben von: 702

Datum: 12.01.14 07:44

Lieber Erik!
Wo man singt laß dich ruhig nieder, denn böse Menschen haben keine Lieder. Erik ich verstehe Deine Frage, wie wohl dieser Spruch aus dem Musikunterricht einer robusten Prüfung nicht immer standhält.

Nein wir haben nicht gesungen. Es ist ja nicht so, dass ich das nicht grundsätzlich täte. Dreistimmig. Auf der im ersten Teil abgebildeten Bühne bin ich zum Beispiel mit Honsa aus Kaschau als Vortänzer und Einpeitscher aufgetreten.

Ich verlange vom Mitsängern auch nicht, dass sie singen können, ich kann es ja auch nicht.

Nur ein gewisses Mindestniveu - etwa einen richtigen Ton pro Minute hätte ich gerne. Vielleicht bin ich bei charmanten Frauen noch toleranter. Oder sicher bei lustigen Leuten.

Nachdem die beiden Herrn Sänger humorlos wirkten, nicht einen richtigen Ton während der ganzen Aufführung trafen und auch mit Charme geizten, habe ich das unterlassen.

Liebe Grüsse
Werner

Große Klasse, Danke (o.w.T)

geschrieben von: FANTOMAS

Datum: 12.01.14 09:29

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)
Auch jetzt wieder: Allererste Sahne!

Bin schon heiß auf den nächsten Teil.

Grüße
Karlheinz
Hallo,


sehr schöner Reisebericht, der gibt so eine "Abenteuerreise ins Unkekannte" klasse wieder. Und erinnert mich an ähnliche Erlebnisse "im wilden Osten".

Grüße
Michael
Spannende Reiseerlebnisse gut erzählt! Ich freue mich auf Rumänien!
Grüße
Ulrich

Super, danke! :-) (o.w.T)

geschrieben von: Roni

Datum: 12.01.14 11:38

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)
lg, Roni - [raildata.info] - Meine DSO-Reportagen Teil 1 (2005 bis 06/2019): [www.drehscheibe-online.de] - Meine DSO-Reportagen Teil 2 (neueste): [www.drehscheibe-online.de]
https://raildata.info/raildatabanner1.jpg
Ein Bericht, der Freude macht!
Die TE im Bw Ungheni war die TE-435 und dahinter eine Er mit unbekannter Nummer (die war sinnigerweise übermalt worden). Ein Bild, welches mir im Jahre 2000 einen mehrstündigen Aufenthalt bei der Polizei und anschließend bei der Securitate bescherte...

Gruß, xBurt.



Meine HiFo-Beiträge: [www.drehscheibe-foren.de]
Guten Tag noch Mal Werner,

Ich habe heute schon den 1. und den 2. Teil Deiner beeindruckenden Reise, "Das erste Mal" gelesen und gehe gleich zum 3. über. Ja, das ist der Vorteil wenn man solche Perlen erst später entdeckt; man kann alles auf einmal lesen. Es war so spannend, ich wollte mir auch etwas aus dem Kühlschrank holen, kam aber nicht dazu. Nun hab ich ein feines Glas Weisswein und gehe wie gesagt gleich zum 3. Teil. Ich habe mich nämlich noch nie so amüsiert bei einem Beitrag. Es gab aber auch ein paar brenzlige Momente da mit der Kalaschnikow. Hab so was ähnliches, mit einem kroatischen Grenzpolizisten an der Grenze zu Ungarn erlebt, auf der Slawienreise 2012. Werde noch in einem Teil davon berichten.

Deine lockere Schreibweise gefällt mir sehr gut, da kann man viel davon lernen und so lese ich nun erfreut weiter.

Vielen Dank und Gruss

Hans Tschörni

[SU, ex-SU] Hotelregistrierungswisch

geschrieben von: ehemaliger Nutzer

Datum: 24.04.14 19:49

702 schrieb:
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> In
> der Lobby saß ein schnautzbärtiger Moldawier und
> blätterte in einer Zeitung.

So einen hatte ich mal auf dem Roten Platz. Da er keine Zeitung dabei hatte, zeigte er auf mich und wies irgendwelche Uniformierten an, mich zu kontrollieren.

> Wir wurden für dreissig Minuten auf das Zimmer
> geschickt und sollten uns dann bei der Rezeption
> melden. Nach der halben Stunde erhielten wir zwei
> Papierstücke, etwa vier mal acht Zentimeter, mit
> Schreibmaschine geschrieben und in sehr schlechter
> Qualität kopiert. Darauf war mit Kugelschreiber
> unser Name, Nationalität und Nummer des
> Reisepasses. Außerdem gab es einen Stempel und
> eine Unterschrift. Das waren – so wurde uns
> erklärt – unsere Personalausweise während des
> Aufenthalts.

Genau. Mangels Reisepaß in der Jackentasche erklärte ich denen, sie hätten sich jetzt mit dem Wisch zufriedenzugeben. Sie oder wir könnten auch zum Hotel fahren, wenn sie denn unbedingt meinen Paß studieren müßten. Mußten sie dann aber doch nicht.

Gruß, ULF