Ab 1925 gab es Bestrebungen, den enormen Bestand an Reisezugwagen mit hölzernen Wagenkasten radikal abzubauen. Neubauten konnten nur in geringer Anzahl finanziert werden. So besann man sich auf die in grosser Zahl vorhandenen Holzkasten-Personenwagen der Bauarten 1906 und 1910, siehe Bilder 4 und 5 in diesem Beitrag meines Freundes Stefano Paolini, der hier mitliest: [
scalaenne.wordpress.com]
Die noch nicht 20 Jahre alten Untergestelle wollte man weiter verwenden, die Aufbauten sollten aber aus Stahl bestehen. Ein Umbau-Prototyp Cz 47.000 (später Cz 39.000) entstand 1928 auf einem Untergestell von 1910. Er fiel auf durch 11 Türen pro Wagenseite. 10 davon führten direkt in die je achtplätzigen Abteile mit Mittelgang, eine Tür am Wagenende führte in die geschlossene Endplattform. Die Aufbauwagen auf Untergestellen des Typs 1906 waren weitgehend identisch, besassen aber keine geschlossene Plattform am einen Wagegende. So kamen sie auf „nur“ zehn Türen pro Wagenseite.
Die Italiener fanden spöttisch, diese Wagen hätten ja „100 Türen“. So entstand der Übername „Centoporte“. Waren mehrere solcher Wagen im Zugverband, so ertönte nach dem lauten Ruf des Zugführers
„Chiudere-e-e!“ ein zigfaches Knallen wie aus einem unregelmässig feuernden Maschinengewehr, dann folgte der Abfahrtspfiff, und der Zug setzte sich in Bewegung. Wer diese Geräuschfolge ein paarmal erlebt hat, wird sie nicht mehr vergessen.
Mit der Zeit stellte sich heraus, dass auf vier Türen pro Wagenseite verzichtet werden konnte. Zuerst wurde die Türgriffe entfernt, bei fälligen Revisionen wurden die Türen verschweisst. „Centoporte“ in vier Bauarten, 1975 abgestellt in Colico.
Nach dem einen Prototyp von 1928 wurden erst 1935/36 11 „lange“ Untergestelle vom Typ 1910 mit Stahlaufbau versehen, hier eines dieser raren Stücke, noch im braunen Anstrich der frühen Sechziger Jahre, es handelt sich um Bz 39.003. Bei diesem Fahrzeug sind noch alle 11 Türen vorhanden, vier davon jedoch blockiert, rechts die Zusatztür in die nur einseitig vorhandene Endplattform, leider etwas verschattet.
1948/53 fand der Serienbau statt, es kamen 186 Wagen zur Ablieferung. Hier Bz 39.107, ebenfalls noch braun, mit vier verschweissten Türen pro Wagenseite, die Zusatztür in die nur einseitig vorhandene Endplattform ist hier besser zu erkennen. Alle Bz 39.000 waren mit elektrischer Heizung ausgerüstet. Sie liefen in der kalten Jahreszeit nie hinter Dampf- oder Dieselloks.
1980 war die 198 Fahrzeuge umfassende Serie Bz 39.000 noch fast vollzählig im Einsatz. Die 18.8 m langen Fahrzeuge hatte 80 Sitzplätze auf engen Holzbänken. Die Abteillänge betrug nur 1514 mm. Trotzdem bin ich gern mit diesen Wagen gereist, denn die vielen Fenster boten eine gute Rundumsicht, und ich war schnell draussen, wenn ich auf einem Unterwegsbahnhof ein spezielles Fahrzeug erblickte. Frisch revidierter Bz 39.047. Die Türen zu den Abteilen 1,5,6 und 10 sind entfernt.
Zu den museal erhaltenen Bz 39.000 gehört der im Stil der frühen Fünfziger Jahre bemalte und beschriftete Cz 39.190 der LFI Arezzo. Für ein historisch korrektes Erscheinungsbild hätte man die nachträglich verschlossenen Türen wieder einbauen müssen, ebenso hätte man das im Bereich der Abteile 5 und 6 unterbrochene untere Trittbrett wieder durchgängig machen müssen. Im Übrigen freut es mich sehr, euch einen recht stimmigen Eindruck der Serie 39.000 in der Ursprungsform zeigen zu können.
Als „Carrozza Centoporte“ schlechthin gilt die in über 1400 Exemplaren erbaute Serie Cz 36.000/37.000. Diese Fahrzeuge wurden auf den etwas kürzeren Untergestellen des Typs 1906 aufgebaut. Die Länge über Puffer betrug 17.8 m. Die 78 Sitzplätze waren wie in den Cz 39.000 in der Anordnung 2+2 beidseitig eines Mittelganges angeordnet. Ebenfalls analog zu den Cz 39.000 waren in Wagenmitte zwei sehr einfache und enge Toiletten angeordnete, beschriftet mit „Ritirata“, was man als „Rückzugsort“ übersetzen könnte. Bz 37.210 im 1961 eingeführten einfarbig-dunkelbraunen Anstrich.
Im Gegensatz zu den „langen“ Wagen erlebte die „kurze“ Bauart schon vor dem Zweiten Weltkrieg den Serienbau im grossen Stil. 1931-39 entstanden 1300 Wagen mit den Nummern Cz 36.000 bis Cz 37.299. In der Nachkriegszeit folgten die Wagen Cz 37.300 bis 37.417, dazu der Einzelgänger Cz 37.599, der aus einem verunfallten „Centoporte“ der Polsterklasse entstand. Querschuss auf Bz 36.036. Gut zu erkennen die nachträglich verschlossenen Türen zu den Abteilen 1,5,6 und 10 sowie die verkürzten unteren Trittbretter.
Je ein Drittel der Fahrzeuge war für Dampfheizung, elektrische Heizung oder für beides ausgerüstet. "Elektrischer" Bz 36.289 in Ravenna.
Beim museal erhaltenen Cz 36.892 der LFI Arezzo sind noch alle 10 Türen pro Wagenseite erhalten, man könnte sie wieder mit öffnungsfähigen Schlössern versehen und den Wagen so dem Originalzustand annähern.
Selbstverständlich müsste man das untere Trittbrett in diesem Falle wieder verlängern.
Obwohl die Centoporte bis 1988 im regulären Einsatz verblieben, erhielten die Fahrzeuge der Serien Bz 36.000, 37.000 und 39.000 nie computertaugliche UIC-Nummern.
1931 erschien der Prototyp einer mehrklassigen „Carrozza Centoporte“, basierend auf dem kurzen Untergestell Typ 1906. Das Musterfahrzeug war dreiklassig konzipiert:
In Wagenmitte 3 Seitengangabteile 1. Klasse mit 6 komfortablen Sitzplätzen, Abteillänge 1920 mm.
Der Seitengang führte weiter zu 2 Abteilen 2. Klasse mit 8 einfacher gepolsterten Sitzen, Abteillänge 1920 mm.
Am Ende des Seitenganges schloss sich eine geschlossene Plattform an.
Jenseits der aussermittig angeordneten Toiletten befanden sich 3 Mittelgangabteile 3. Klasse, Abteillänge nur 1514 mm.
Nach meinen Informationen kam das Musterfahrzeug als zweiklassiger BCz 66.500 in Betrieb, 1934-36 folgten die Serienfahrzeuge BCz 66.501-66.551. Das heisst, die mittleren Abteile wurden der damaligen 2. Klasse zugeschlagen, und die gleich geräumigen, ebenfalls gepolsterten Seitengangabteile der 3. Klasse. Dort liess sich mit günstigen Fahrkarten sehr komfortabel reisen! ABz 66.508 in Asti:
ABz 66.521 bei Sonnenschein, von links nach rechts der Eingang zur einseitig vorhandenen geschlossenen Endplattform, zwei geräumige Seitengangabteile 2. Klasse, drei Seitengangabteile 1. Klasse, Toiletten, drei enge Mittelgangabteile 2. Klasse. Bei diesem Wagentyp blieb das durchgehende untere Trittbrett bis zum Schluss erhalten, weil keine der 9 Türen nachträglich verschlossen wurde.
Die ABz 66.500 konnten mit Dampf und elektrisch beheizt werden. Erst um 1980 begann die Umzeichnung auf die UIC-Nummern 38-19 000-035. Wagen 38-19 019, mit den Seitengangabteilen 2. Klasse im Vordergrund.
Leider kann ich kein Bild von der Gangseite zeigen. Dort waren „nur“ 6 Türen vorhanden, 3 davon im Seitengangbereich.
1950 erschien ein reiner Seitengangwagen in „Centoporte“-Bauart, der ABz 57.000. Die 5 Fahrzeuge waren wie folgt aufgebaut: geschlossene Plattform, Halbabteil 1. Klasse mit 3 Plätzen, 3 Abteile 1. Klasse mit je 6 Plätzen, Toilette, 4 Abteile 2. Klasse mit je 6 Plätzen, geschlossene Plattform. Das ergab auf der Abteilseite 10 Türen, auf der Gangangseite deren 5. Die Abteillänge betrug einheitlich 1850 mm. Bis zum Schluss hatten die Wagen nur Dampfheizung. Ein einziges Fahrzeug erlebte als Az 17-21 000 das Zeitalter der UIC-Nummern.
Mehr Erfolg hatten die einheitlich als Wagen 2. Klasse eingerichteten Bz 27.000 mit gleichem Grundriss. 1950/52 wurden 79 Wagen auf Untergestellen des Typs 1910 aufgebaut, bei der LFI Arezzo hat Bz 27.001 als historisches Fahrzeug überlebt. Gut zu erkennen die eine verschlossene Tür auf der Gangseite.
1956 wurden die Bz 27.000 zunächst zu Wagen 1. Klasse Az 27.000, später wurden 27 Wagen der neuen 2. Klasse zugeschlagen, also der „Holzklasse“! Weil sie sowohl mit Dampf wie elektrisch beheizt werden konnten, erhielten sie die UIC-Nummern Bz 27-19 000-041. 37 Wagen wurden als zweiklassige Fahrzeuge ABz 67.500 aufgefrischt, hier ABz 67.510, mit Blick in ein Abteil der „Holzklasse“.
Bis zum Schluss blieben 9 der 10 Türen erhalten. Nur das Halbabteil 1. Klasse musste auf seine Aussentür verzichten. Auch das über die ganze Wagenlänge führende untere Trittbrett überdauerte alle Hauptrevisionen. ABz 67.519 in Ravenna.
Auch auf der Gangseite wurde eine Tür verschlossen, wie ein Blick auf ABz 67.527 zeigt. Zur Gestaltung von Bz 27.001 ist kein Unterschied zu erkennen.
Nördlich der Alpen wenig bekannt ist, dass nach den gleichen Prinzipien auch 200 Dreiachser älterer Bauart metallisiert wurden, 30 Wagen 3. Klasse Ciy 34.000 und 170 Wagen 3. Klasse mit Gepäckabteil CDiy 67.000. Beide Bauarten sind auf dieser miserablen, aus dem fahrenden Zug geschossenen Aufnahme aus Crotone zu erkennen, darunter 2 der nur 30 Ciy 34.000!
Von den Dreiachsern überlebten jene vier CDiy 67.400 am längsten, die zu Steuerwagen npBDiy 68.900-003 für die Autozüge Bardonecchia - Modane umgebaut wurden. Meine beiden in beengten Platzverhältnissen entstandenen Aufnahmen zeigen das Reservefahrzeug npBDiy 68.900 im Juli 1974 in Modane. Das erste Abteil wurde zum Führerstand umgebaut, zwei Abteile mit 16 Sitzplätzen behielten ihre Aussentüren. Die beiden Personenabteile jenseits der Toilette wurden zum Transport von Motor- und Fahrrädern ausgeräumt und dem Gepäckabteil zugeschlagen, die Aussentüren entsprechend verschlossen.
Ausnahmsweise verlinke ich hier Fremdfotos von zwei „Centoporte“-Umbauten, die mir selber nie vor die Linse gerieten. Zuerst einer der 10 Krankenwagen BM 80-21 000, welche bis gegen 1990 regelmässig in Pilgerzügen nach Lourdes fuhren, aufgenommen von Enrico Paulatti in Padova.
[
www.photorail.com]
Zum Schluss einer der 6 zu Steuerwagen npBDz 68.200 umgebauten Bz 37.300, geschoben von einer E.626 als Wendezug Turin - Bussoleno - Susa. Fotograf ist wiederum Enrico Paulatti.
[
www.photorail.com]
Damit hoffe ich, euch etwas Übersicht zum typisch italienischen Thema „Centoporte“ verschafft zu haben. Gemäss Wikipedia sind heute noch 50 Fahrzeuge verschiedener Typen museal erhalten und einsatzfähig, zum Beispiel bei der LFI in Arezzo.
Hier mein Beitragsverzeichnis:
[
www.drehscheibe-foren.de]
Gruss
Werner
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2013:12:26:15:52:25.