Das gesamte "Ensemble" Kammerl in der Ammerschlucht. Rechteckiges Turbinen-Haus, Wohnhaus, Waschhaus. Zustand 1904. Im Hintergrund sieht man die bis heute kleine Zufahrtsstraße über Saulgrub-Achele und die auch heute nur als Fussgängerbrücke freigegebene Brücke über die Ammer. Der Fotograf steht nahe dem Wasserschloss (dazu im Text)
Es ist für mich ein doppeltes Drama:
Fast täglich war ich über Jahre hinweg mit unserem Hund am Ammerwehr oder am „Eisernen Steg“ Gassi. Wald und Wiesen, herrliches Panorama, menschenleer und romantisch. Die Halb-Ammer zwischen Geröll-Rinnsaal oder Hochwasser-Ungeheuer, die Ufer immer im Wandel – Naturschutzgebiet, wildromantische Ur-Flusszone.
Vor zwei Jahren zerstörte meine „bessere Häfte“ schon mal den Part mit Familie und Hund – seitdem habe ich das Gebiet gemieden. Auf meinen letzten Spaziergängen vor dem Familien-Gau beobachtete ich schon den Anmarsch von Baufahrzeugen….. aber das stand jetzt erstmal nicht mehr auf der Tagesordnung.
Diese Woche bin ich zurückgekehrt in die riesige Waldfläche, die sich vom Ammertal bis ins Allgäu erstreckt. Alarmiert von Mutmaßungen und Fragen. Ich traf auf Verwüstung und Frevel – diesmal aber nicht durch böse Weiberhand, sondern durch die DB.
Das Kammerl,
ältestes Wasserkraftwerk für Bahnstrom der Welt(lt. Wikipedia) , wird nie mehr Strom liefern! Ein lebendiges Denkmal ist zerstört, jedenfalls im Sinne seiner ursprünglichen Aufgabe. Erneut wurde die Geschichte der ersten Wechselstrombahn mit Füßen getreten, erneut hat man keines Respekt vor Werten. Aber bevor ich mich jetzt schon in Rage schreibe (das mach ich dann am Ende des Themas nochmal) – stelle ich Euch erstmal das „Kammerl“ vor.
Bekanntlich ist die Bahnstrecke Murnau – Oberammergau die erste Einphasen-Wechselstrombahn und damit der Anfangspunkt unseres heutigen elektrischen Zugbetriebs. Im Januar 1905 war das, doch ging dieser Meisterleistung erstmals ein komplettes Chaos voraus. Die Planungen zum Ende des 19. Jahrhunderts sahen eine Drehstrombahn vor. Während weder die komplizierte Oberleitung, noch die vorgesehenen Triebwagen hierfür jemals die Betriebstauglichkeit erlangten, entstand in den Jahren 1898/99 etwa vier Kilometer von der Strecke entfernt das Bahnkraftwerk Kammerl in der unwegsamen Ammerschlucht und war voll funktionstüchtig. In diesem, bis heute unwegsamen Gelände entstand eine Maschinenhalle, ein Wohnhaus und eine Waschküche. In der Maschinenhalle fanden drei Turbinen-Sätze für Bahn- und Verbrauchsstrom Platz. Die Turbinen erzeugten eine Leistung von 500 PS, die Generatoren lieferten jeweils 280 kW.
Die, heute fast in indentischen Zustand, befindliche Turbinenanlage. Nur die Schalttafeln haben sich gewandelt
Während mit Fertigstellung der Anlage also im Ammertal „das Licht anging“ (1904 wurden 1664 Glühlampen in Murnau, Aschau, Kohlgrub, Ammertal gespeist. Dies kosteten den Nutzer 30 Mark im Jahr, Schlafzimmerlampen hatten mit 24 Mark einen Sonderpreis…) , wurde der Bahnstrom nicht benötigt – man fuhr mit Dampf nach Oberammergau. Erst als der ursprüngliche Betreiber pleite ging und die LAG die Strecke kaufte, brachen die elektrischen Zeiten an. Zusammen mit Siemens entschied man sich bahnbrechend für die bislang nicht angewandte Einphasen-Wechselstrom-Technologie – mit bekannt erfolgreichem Ergebnis. Auch die Anlagen im Kammerl wurden entsprechend umgebaut – und das war es dann für die nächsten 106 Jahre. Natürlich wurde modifiziert, vor allem im Bereich der Schalttechnik und Anlagensteuerung – aber die eigentliche Stromerzeugung blieb wie sie war. Über 100 Jahre lieferte das Kammerl Strom, erst der LAG, dann der Reichsbahn, der Deutschen Bundesbahn und auch der Bahn AG. Nachdem die Abläufe vor Ort in den 80er Jahren automatisiert wurden, lief das Werk 24 Stunden ferngesteuert! Die DB bezeichnete das alte Krafwerk trotz der geringen Strommenge als das effektivste und rentabelste im gesamten DB-Netz!
Aber wen interessiert an einem Schreibtisch von DB Netz so was? Wen schert dort Denkmalschutz? Offensichtlich niemand – weder in Frankfurt, noch vor Ort.
Ich lade Euch ein, geht mit mir die 1,5 km lange Anlage entlang, lernt mit mir das Kunstwerk Kammerl kennen, und seht, was damit geschieht……
Von der Bahnstation Altenau der Ammergauer Bahn mündet das sogenannte „Königsstraßerl“ ab, das das Ammergau mit dem Allgäu verbindet. König Ludwig II befuhr diesen Waldweg auf der Reise zwischen seinen Schlössern Linderhof und Neuschwanstein, daher der Name. Etwa 1 km nach Altenau trifft man auf die Ammer, die sich dort im unverbautem Flussbett noch durch weite Hügellandschaft schlängelt. Wir folgen ihr in S-Form, an dessen Ende sich der Fluss verbreitert. Hier ist das Stauwehr des Kammerl, das die Wassermassen links in den Kraftwerkskanal leitet, während das übrige Wasser rechts in die wilde Ammerschlucht mündet (dort befinden sich noch Reste eines privaten E-Werks).
Hier beginnt die Anlage "Kammerl", das Wehr bei Altenau, 1905. Links die Staustufe der weiterlaufenden Ammer, rechts das Wehr zum Kanal, der im Vordergrund vorbeifließt und in der Mitte seinen seinen Überlauf zur Ammer zurück hat
Über 100 Jahre später, fast unverändert. Die Aufbauten sind durch die automatisierten Einrichtungen etwas höher geworden, aber im Kern ursprünglich. Der Überlauf, rechts im Bild, ist hier gut zu erkennen. 2011 noch so romantisch, aber im Hintergrund sind schon erste Baufahrzeuge zu sehen. Heute - nur neuer Beton!
Der separierte Kanal ist insgesamt 1,49 km lang und verschwindet bereits nach wenigen Metern in einem Bergwerk-artigem Portal in einem Tunnel. Dieser unterquert auf 185 m einen Waldhügel – ganze Generationen von Jugendlichen haben sich an dieser Stelle die Frage gestellt, was wohl passiert, wenn man hier ins Dunkel schwimmen würde…. Der Wassertunnel endet etwa 25 Meter über der Schlucht der Halbammer, einem Ammerzufluss aus dem Ammergebirge. Um diese zu überwinden schließt sich unmittelbar ein Aquädukt mit einer Spannweite von 82 Metern an, auf dem das Wasser in schwindelnder Höhe über die Schlucht fließt. Dieses Wasser-Viadukt ist im klassischen Ammergaubahn-Stil ausgeführt, ähnelt optisch den Bahnbrücken in Murnau (1986 ersetzt) und Grafenaschau. Das Aquädukt ruht auf drei im Flusslauf einbetonierten Stahlstützen. Bis zum Ende dieser Brücke befand sich die Anlage in Ursprungszustand von 1899. Erst das aufnehmende Widerlager auf der nördlichen Anhöhe wurde in den 90ern in Betonbauweise neu angefertigt, nachdem es mehrfach von Hochwasser unterspült wurde.
Das Aquädukt von oben und flussaufwärts aus aufgenommen - Blickrichtung Kraftwerk. Unter der Brücke fließt die Halbammer, die genau an dieser Stelle, rechts in die Ammer fließt
Das Aquadukt heute - einzig betriebenes Ursprungsbauwerk mit den neu fundamentierten Stützen, die bei Unwettern innerhalb von wenigen Minuten wild umspült werden können. Im Volksmund heißt das Aquädukt "Eiserner Steg" - zumal man - zumindest inoffiziell - auch damit ans andere Ufer gelangen kann
Nun windet sich das kristallklare Wasser auf einem Bergrücken in leicht geschwungenem S auf das Kraftwerk zu. Kurz vor dem Naturdenkmal „Scheibum“ (Winnetou lässt grüßen), einem fantastischen Felsdurchbruch der Ammerschlucht, endet der Kanal in einem Wasserschloss, unmittelbar über dem Kraftwerksbau. Hier stürzt sich das Wasser nun in ein 2 Meter breites und 18 Meter langes Rohrsystem, dass direkt in das Turbinenhaus führt und die Anlage in Schwung bringt. Kurz vor der „Scheibum“ mündet das Turbinen- und Überlaufwasser in zwei getrennten Kanälen wieder in die Ammer.
So hat das Ganze also über 100 Jahre funktioniert. Das Abzweigewehr und das Wasserschloss wurden im Rahmen des Fernsteuer-Betriebes mit automatischen Schmutzrechen und Schleusen ausgestatten – der einzige, kaum sichtbare Eingriff in das historische Ensemble.
Wasserschloss 1905......
und 2013.....
Letzlich hat sich aber am System der Stromerzeugung nie etwas geändert. Die von mir im Herbst 2011 noch beobachteten Baufahrzeuge machten sich zuerst am Ableitungswehr zu schaffen, das mittlerweile komplett abgerissen wurde. Dann wurde ein etwas 4 km langer Baustellenweg durch das Naturschutzgebiet angelegt, weil das Kraftwerk für Schwerfahrzeuge nicht anfahrbar ist. Als die Baumonster in der Ammerschlucht angekommen waren, machten sie sich am Wasserschloss zu schaffen, das inzwischen auch komplett zerstört wurde. Was jetzt passiert ist: Direkt neben der alten Turbinenhalle entsteht ein völlig neues Krafwerk. Sicherlich leistungsstärker, aber durch die vorgegebene Wassermenge des Kanals dennoch von geringer Gesamtleistung. Dem alten Turbinenhaus wurde sprichwörtlich das Wasser abgegraben. Kein Tropfen wird mehr in die alten Turbinen fließen. Damit ist das einzige verbliebene, noch betriebene, Bauwerk der alten Anlage nun das Aquädukt.
Da unter Denkmalschutz stehend, bleibt das alte Maschinenhaus zwar erhalten, ist aber nun ein totes Objekt mit stillstehenden Turbinen.
Und dies halte ich für Frevel. Ein funktionierendes und rationell arbeitendes Technik-Denkmal ist ohne Widerspruch seiner Funktion beraubt worden. Wenn Denkmalschutz Sinn macht, dann doch in dieser Reinkultur von arbeitenden Anlagen der Technikgeschichte. Aber nein, @#$%&egal, niemand bekümmert diese mutwillige Zerstörung von lebendigem Kulturgut.
Komme mir jetzt niemand mit dem Einwand von „notwendigem technischen Fortschritt“. Wie gesagt, das Werk wurde als das effektivste der DB bezeichnet. Und dies, obwohl es weniger Strom lieferte, als für den Betrieb einer 141 im Zugverkehr nach Oberammergau notwendig gewesen wäre! Zwei E69 ja, aber keine 141 mit um die 3000 kW Leistung. Auch das neue Kraftwerk wird keine Bäume ausreisen können. Aber was wäre daran problematisch, ein rentables Denkmal weiter zu betreiben?
Die gleiche Szene wie im ersten Foto abgebildet, über 100 Jahre später. Unschwer zu erkennen: Noch ist die Zeit stehen geblieben. Noch liegt dieses romantische Stromschloss im einsamen Wald wie um 1900. Doch der Baukran lässt erahnen, was kommt....
Aber, Geschichte macht man in Deutschland ja lieber künstlich. Man kann über die aufgebaute Frauenkirche in Dresden, das Stadtschloss Berlin, die Pfahlbauten am Bodensee, Freilichtmuseen mit nachgebauten oder versetzten Gebäuden, denken was man will. Ob sie die Millionen, die zu deren Errichtung notwendig waren, rechtfertigen – diskussionswert. Ich finde es gut, wenn man Geschichte erleben kann! Auch so – auch künstlich!
Aber wenn ich mir solche Mammut-Projekte als kulturlebendes Land leiste, dann muss ich aber auch den @#$%& in der Hose haben, noch ursprünglich erhaltenes Kulturgut zu erhalten. Lebendig, original, echt.. Aber daran kann die Beton-Mafia kein Geld verdienen, keine Schmiergelder fließen.
In den letzten beiden Jahren wurde die
Oberleitung der Ammergauer Bahn, älteste aus Urmaterialen bestehende Fahrleitung, vermutlich rechtswidrig durch Betonspargel ersetzt. Der
Oberammergauer Bahnhof, unter Denkmalschutz wurde in seiner Gebäudeform kastriert und wird derzeit von Privat in den ehemaligen Betriebsräumen im EG umgebaut, samt neuer Fenster- und Türen, die die Außenform verändert. Jetzt wird ein funktionierendes Technikdenkmal, das
älteste Bahnkraftwerk der Welt platt gemacht – Leute, ich kann das Wort „Denkmalschutz“ nicht mehr hören. Das Gesamtkunstwerk „Erste elektrische Einphasen-Wechselstrombahn“ wurde in den letzten Jahren ausradiert. Ich finde es erbärmlich, ich finde es zum Kotzen!
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In YouTube gibt es ein Video, dass Euch ganz nett in die romantische Welt des Kammerls begleitet (nicht von mir!)
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www.youtube.com]
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Und hier noch eine Konstruktions-Skizze des Maschinenhauses
Bernd Mühlstraßer
Ein paar VIDEOS der BAUREIHE E69 - z.B.hier:
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www.youtube.com]
oder wie wär´s mit der E69-Facebook-Seite unter dem Suchbegriff: Die Baureihe E69
4-mal bearbeitet. Zuletzt am 2013:10:22:23:54:35.