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[H] Interrail 1982 - Teil 8: Ungarische Provinz (22 B)

geschrieben von: ICE

Datum: 12.07.13 23:19

Liebe Forenfreunde,

im letzten Teil (wie immer, hier zu verlinkt) waren wir bis zur ungarischen Grenze gekommen.

Es ist noch immer der 03.08.1982, und der ÖBB-Schienenbus brachte uns bis Szentgotthard. Die Passformalitäten waren schnell erledigt, wir waren die einzigen Fahrgäste überhaupt.

Als Tagesziel hatten wir uns Szombathely ausgeguckt, dort besorgten wir uns erst einmal Landeswährung: für DM 100 erhielten wir ganz offiziell 1500 Forint (ft). Das sollte für die nächsten zwei Tage reichen, dachten wir ganz naiv.

Das Hotel "Savaria", das wir uns ausgewählt hatten, war stillgelegt, das "Isis" war uns zu teuer. Mit einem Bus fuhren wir dann in die falsche Richtung los, und nahmen danach ein Taxi - der Fahrer wusste ein Touristhotel und knöpfte uns 24 ft ab. Immerhin, das Wort "köszönöm" für "danke" kannten wir schon. Die Rezeption war leer, auch das noch! WW nahm das alles gelassen, aber ich war ziemlich genervt.

Abends gab es dann aber ein echt gutes Abendessen - mit Geigenbegleitung am Tisch. Die Preise - unglaublich niedrig.

Um 22:30 sahen wir uns nochmal eine Stunde auf dem Bahnhof um, jede Menge Bz mot (2-achsige VT) und Bx mot (4-achsig und neu), dazu M62 und M41. Letztere war eine dieselhydraulische Landplage, die den letzten 424er den Garaus machte.

Auf dem Rückweg haben wir uns glücklich verlaufen, so dass wir völlig fertig im Hotel ankamen. Für die Duschen habe ich nur das Wort "zonal" notiert, d.h. DDR-Standard.

Am nächsten Morgen, Mittwoch dem 04.08.1982 sind notiert: "Mittagessen" um 11:00 Uhr (Gulasch!), und 4 ft für die Gepäckaufbewahrung. Nun kam ich auch zu meinem ersten ungarischen Dampflokfoto (und Ihr auch):

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Bild 1: 424.348 in Szombathely

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Bild 2: Mit Reisezug: 424.348 am 04.08.1982, ca. 11:30 Uhr

Die 424 wurde ab 1924 gebaut, mit ihrem Treibrad-Durchmesser von 1610 mm, 15t Radsatzlast und 90 km/h Höchstgeschwindigkeit war sie für die MAV ein (damals) modernes "Mädchen für alles". Die Achsfolge 2'D mag von der Rh. 570 der Südbahn und der BBÖ 113 inspiriert worden sein, aber sie zeigt sonst einen typisch ungarischen Stil. Mir gefiel sie sofort, in natura noch viel besser als auf Bildern.

Zurück nach 1982 - um 12:58 ging es nach Celldömölk, einem kleinen Knotenpunkt mit Bw und angeblich noch jede Menge 424ern. Im Zug unterhielten wir uns auf Englisch mit japanischen Touristen und guckten zusammen Fotos.

Wie kamen wir überhaupt auf die Idee mit Ungarn? Da gab es im Herbst 1981 einen Vortrag eines alten Bekannten aus dem seligen Pfiff-Klub "01" im Kreise um Dietmar Falk, mit dem Thema "Dampf in Ungarn". Verglichen mit unserer Museumscafé-Runde um HH, RO und WW war das zwar eine recht dröge Veranstaltung - Kommentare und Diskussionen während des Vortrags waren streng verboten - alles hatte einem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen. Wie dem auch sei, die Reisetipps waren gut - gewarnt wurde vor einer "aufmerksamen" Bevölkerung, die stets wachsam die Behörden auf mögliche Spione hinwiesen. In Celldömölk konnte man praktisch nur im Privatquartier übernachten, Hotels gab es nicht.

So vorgewarnt suchten und fanden wir die Privatzimmervermittlung - geschlossen! "Die Frau ist gegenüber beim Eisessen", so eine gute Seele. Damit kamen wir doch noch zu unserer Adresse - aber man hatte sich anzumelden. "Gehen Sie zur Polizeikommandantur" - wo konnte die sein? Wir stiefelten in das größte Haus der Stadt und landeten im Amtszimmer - des Parteisekretärs! Mannomann, war das ein Luxus. Derweil kicherten die weiblichen Angestellten herum, bis ein Polizist und eine dolmetschende Alt-Österreicherin alles auf den richtigen Weg brachten. Nach unseren Plänen gefragt, erwähnten wir den Balaton - nein, das wäre der Plattensee! Dazu gleich mehr: Szombathely hieß deutsch Steinamanger und Celldömölk Klein(maria)zell, aber das müssen wir jetzt nicht vertiefen.

Die Adresse war B. Zoltan, Kinizsi u. 6. Also u stand für Straße (utca), so langsam wuchs der Wortschatz. Wir wurden von einer netten Familie einquartiert, bekamen ihr Schlafzimmer und wurden - so gut es ging - interviewt.

So kamen wir erst gegen 16:00 dazu, den Bahnhof zu inspizieren.

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Bild 3: 424.130 nimmt Wasser im Bw Celldömölk

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Bild 4: Schichtwechsel

Trotz nicht gelungener Schärfe ein stimmungsvolles Bild, finde ich heute.

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Bild 5: Da hat wohl jemand den Wasserkran ganz vergessen

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Bild 6: 424.130 und 120 (mit offener Rauchkammertür)

Die Arbeiten im Bw standen unter der Aufsicht des großen Bruders aus der Sowjetunion. Quer über das Bahngelände zog sich eine verlockende Brücke zum Bw, eindeutig nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Wir konnten nicht widerstehen.

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Bild 7: Der Blick vom Verbotenem Steg ...

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Bild 8: ... bot schöne Perspektiven: Während 424.130 rangiert ...

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Bild 9: ... stehen 424.120 und 234 neben einem Reisezugwagen in Reparatur

Höherwertiges fuhr natürlich mit Diesel: M62 268 - die MAV war Erstbesteller der Taigatrommel.

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Bild 10: M62 268 fährt in Celldömölk ein ...

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Bild 11: ... gefolgt von M40 217

Die M40 ist eine 740-kW-DE-Maschine von Ganz-MÁVAG, aber witzigerweise mit Dampfheizung. Die M62 fuhren im Reisezugdienst im Winter mit Heizwagen.

Weil in dieser Serie bisher so wenig Dampf zu sehen war, folgt jetzt ein kleines Stop-Motion-Picture von der 424.130:

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Bild 12-14: Die 424 130 fährt ab

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Bild 15: Nachschuss für Jürgen ("Rache")

Auch Schrott stand herum, notiert wurden 424.351, 424.212, 324.449 und 375.642.

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Bild 16: Die 1'C1' 324.449 war leider schon auf z

Das war es für diesen Tag, und wir suchten unsere Gasteltern auf. Abendessen mit Salami und Paprika, Wohnzimmer im Ambiente der 50er Jahre, mit Plastikobst und -blumen - Kult würde man heute sagen. Danach sanken wir dann in die guten Federbetten, während die Familie mit Notlagern zufrieden sein musste.

Salami und Paprika auf Weißbrot gab es auch zum Frühstück! Sehr gut - danach gingen wir mit Zoltan zu Savaria-Tourist und löhnten das Zimmer.

Das Wetter war grau, am 05.08.1982, aber wir gingen wieder zum Bahnhof. Wieder zog es uns auf die Brücke:

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Bild 17-20: 424.145 auf Sägefahrt

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Bild 21: Und noch ein Nachschuss

Eine M40 rangierte mit 424.234 - mein letztes Bild vom Steg aus, denn ...

http://images.bahnstaben.de/HiFo/00033_Interrail 1982 - Teil 8  Ungarische Provinz/6439396630313938.jpg

Bild 22: Blick von oben auf 424.234 und eine M40

... es kam, wie es kommen musste: "Dokument" erschall es barsch von hinten. Ein grimmiger Eisenbahner tauchte auf, keine Diskussionen, wir waren festgenommen! Ein militärisch aussehender russischer Jeep erschien, wir "durften" einsteigen, und flankiert von grimmigen Polizisten mit ihren Karabinern sausten wir durch die Kleinstadt. Sprechen durften wir auch nicht, und dieser Beitrag endet somit in einer tristen Arrestzelle in der tiefsten ungarischen Provinz.

Ob und wie es weiterging erfahrt Ihr in Teil 9. Bis dahin freue ich mich auf Kommentare, Ergänzungen und Berichtigungen.

Grüße von Helmut (ICE)


Link zu Teil 9: Von Celldömölk nach Budapest (m. 14 B.)






2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:11:05:17:51:28.

Danke für den interessanten Beitrag!

geschrieben von: ludger K

Datum: 13.07.13 00:08

Er weckt Erinnerungen an meinen Ungarn-Besuch im April 1977, siehe [www.drehscheibe-foren.de]. An eine solche "verbotene" Fußgängerbrücke erinnere ich mich im Bahnhof Szombathely (Steinamanger), ich habe mich zwar hinaufgetraut, aber ohne Fotoapparat, denn das am Schluß beschriebene Vorgehen der Polizei hatte ich kurz zuvor in Jugoslawien erlebt und war mir auch von Freunden in Pápa bekannt. Aber auch so war der Gang auf die Brücke ein Erlebnis, an allen Ecken und Enden dampfte es (meist 424er), ich konnte mich kaum sattsehen.
Viele Grüße
Ludger



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2013:07:13:19:42:03.
Hallo Helmut,

vielen Dank für diesen interessanten Beitrag. Deine Erlebnisse sind wirklich sehr eindrucksvoll geschildert - und nun ist es wie bei den Fernsehserien - gerade wenn es am spannendsten ist, kommt der Schnitt.

Ich kann es kaum erwarten, die Fortsetzung zu sehen!

Freundliche Grüße aus Großbritannien und ein schönes Wochenende wünscht

W - D Upphoff

http://abload.de/img/p1020873-1w0u2d.jpg http://abload.de/img/p1020874-1yuu2o.jpg http://abload.de/img/p1020878-1lpub4.jpg East Croydon Station

Re: Danke für den interessanten Beitrag!

geschrieben von: ICE

Datum: 13.07.13 15:46

Hallo Ludger,

auch ein sehr schöner Bericht von Dir, habe in 424ern geschwelgt. Immerhin haben wir unsere Bilder retten können, sonst wären sie ja heute nicht zu sehen. Die völlig unbekannte Sprache machte natürlich jede Möglichkeit zur De-Eskalation zunichte. Jugoslawien war aber wohl noch etwas härter.

Viele Grüße - Helmut (ICE).
Wie sich die Erfahrungen gleichen! Wortwörtlich hätte ich Deinen Bericht auf Juni 1981 übertragen können und lediglich "Celldömölk" durch "Papa" ersetzen müssen. Als uns dort die Polizei nach verbotenen Bw-Aufnahmen zu Fuß verfolgte, teilten H.S. und ich uns an einer Kreuzung auf - und in ihrer Verwirrung endete die wilde Jagd.

Mit Dank und Gruß,

Jürgen

Re: [H] Interrail 1982 - Teil 8: Ungarische Provinz

geschrieben von: 03 1008

Datum: 13.07.13 18:45

Hallo Helmut, ( noch einer ;-) )

vielen Dank für den klasse Bericht!

Wie Du richtig schreibst, wurden die ersten 424 im Jahr 1924 ausgeliefert. Die zuerst gezeigte 424.348 war übrigens ein Nachkriegskind (MAVAG 7544/1958) und mit einer Ister-Saugzuganlage ausgerüstet. Viele der älteren Loks erhielten die Ister-Anlage nachträglich.

Viele Grüße, Helmut

Re: [H] Interrail 1982 - Teil 8: Ungarische Provinz (22 B)

geschrieben von: ICE

Datum: 13.07.13 22:38

Hallo Jürgen,

mit Flucht war da nichts zu machen, dazu war der Steg zu schmal. Ist aber auch ziemlich riskant, die waren bewaffnet.

Grüße und ein schönes Wochenende - Helmut (ICE).

Re: [H] Interrail 1982 - Teil 8: Ungarische Provinz

geschrieben von: ICE

Datum: 13.07.13 23:12

Hallo Helmut,

ja, es tummeln sich hier einige Helmuts - ist mir auch schon aufgefallen. Beim Suchen nach "Ister Saugzug" bin ich dann auf einen DSO-Thread von 2007 gestoßen, mit einigen Ausführungen von J. usw. (Seufz!)

Die MAV hat auch die 375 noch bis in die 50er beschafft, nicht nur die 424. Die 375 gar von 1907 bis 1959, getoppt wohl nur durch die DSB F (1893-1949).

Grüße vom ICE (Helmut).

Edit: Korrektur: DSB F der 2. Bauart erst ab 1899, also ist die 375 doch Siegerin.



3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2013:07:14:09:28:35.

Re: [H] Interrail 1982 - Teil 8: Ungarische Provinz

geschrieben von: 03 1008

Datum: 14.07.13 08:49

Hallo Helmut,

zur 424 gab es einen lesenswerten Artikel von Keith Chester in Locomotives International # 83.

[www.mainlineandmaritime.co.uk]

Darin ist auch eine kurze Beschreibung der Ister-Saugzuganlage enthalten. Demnach hatten die Loks der Reihen 301 und 424, die mit einer Ister Anlage ausgerüstet waren, Doppel-Blasrohre und -Schornsteine.

Viele Grüße, Helmut
Zitat:
ICE schrieb:
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Ob und wie es weiterging erfahrt Ihr in Teil 9. Bis dahin freue ich mich auf Kommentare, Ergänzungen und Berichtigungen.



Moin Helmut,

es wird schon weitergegangen sein - angesichts der Tatsache, dass Du heute am Computer sitzen und Bilder einstellen kannst... :-)

Eine solche Interrail-Tour habe ich leider nie gemacht - es hätte sich gelohnt. Aber damals waren die Umstände mir nie gewogen...

Danke für Deinen Bericht - ich bin gespannt, wie Ihr wieder nach Hause gekommen seid.