...war ich Tauben jagen!
Das
Dampflokabschiedsfest in Stolberg war gerade vorbei, da ging es auch schon auf zum alljährlichen Familienurlaub zur Insel Elba! Die exakt 1250 km zum Hafen von Piombino - von wo die Fähre nach Elba übersetzt - waren in den vorgesehenen zwei Tagen locker zu bewältigen, und es blieb an diesem Sonntag, dem 11. April 1976, noch etwas Zeit für Besichtigungen.
Mein Vater ist - wie ich - für Historisches zu begeistern, doch nicht unbedingt für Altmetall, sondern eher für gemauerten und gebrannten Stein u.ä. - allerdings mindestens 1000 Jahre alt. So hat er schon in den ersten Nachkriegsjahren in den Bombentrichtern hier in Bonn nach römischen Scherben und Münzen gesucht.
Immerhin war es möglich, einen Kompromiss zu finden: Nach einem Rundgang durch Cremona mit Besichtigung diverser Chiese, Piazze und Palazzi (und Tauben) regte ich die Besichtigung des Cimitero (Friedhof) von Cremona an, in der Hoffnung, die Grabstätte einer der berühmten Geigenbauer Cremonas zu finden. Dieser Vorschlag war nicht ganz uneigennützig; denn genau gegenüber des Friedhof‘s lag der Eingang zum:
Ich begab mich einfach nicht auf den Friedhof, sondern bog links ab über die Brücke, die über einen kleinen Kanal direkt in‘s Deposito führte, zwar ahnend, dass 1976 und zudem noch sonntags nicht viel Aktion zu erwarten war - doch immerhin roch und sah ich Qualm und eilte an den vorne abgestellten Lokomotiven vorbei.
Zuerst war ich geblendet vom Gegenlicht und einer Menge Lokomotiven - hier im Bild 625 129 und 880 030:
Wer hätte nicht gern am Tisch in dieser "Laube" seine Mittagspause bei einer Flasche trockenen italienischen Landwein‘s verbracht?
Hinter der 880 200 stand 743 301 als schönes Stilleben:
Ich hatte mich immer gewundert, warum in meinen Aufzeichnungen über Cremona auch Gruppo 741 aufgelistet, aber im Diakasten nicht vertreten war. Nach Durchsicht der "Abfallkiste Italien" fand ich dann doch ein vollkommen vergeigt belichtetes Dia der 741 139 ganz am Ende der Gleise im Deposito, welches ich der Vollständigkeit halber trotzdem zeige:
Diese Franco-Crosti-Baureihe hatte nur einen mittig unter dem Kessel plazierten Speisewasservorwärmkessel.
Von der anderen Seite betrachtet waren immerhin die Lichtverhältnisse bei der 743 301 besser:
Eigentlich ist es nicht meine Art, eine Lokomotive einfach nur rundherum abgelichtet zu zeigen, doch wegen der speziellen Konstruktion der Ingenieure Attilo Franco und Piero Crosti, die bei der Reihe 743 durch Abdampf und die heißen Rauchgase beheizte beidseitig angebrachte Speisewasservorwärmkessel an der vormaligen Reihe 740 anbrachten, noch eine Foto:
In der großen Lokomotivwerkstatt wurde gerade eine Lokomotive der Gruppe 740 aufgearbeitet:
Wieder auf der Sonnenseite angelangt, widmete ich mich der 880 200, hier zwischen einem Heizwagen und dem Tender einer weiteren 740:
Im Hintergrund nochmals die 743 301 und die Lokomotivwerkstatt:
Als nächstes in der Reihe wartete 625 129 auf Beschäftigung:
...gefolgt von 880 030. Interessant die Verlegung der Rohre für die Dampfheizung:
Das sonntägliche Dienstpersonal demonstrierte mir plastisch und drastisch ihre Methode Tee zu kochen:
Von der Lokomotive durfte ich erst wieder ‘runter, nachdem ich das Feuer bewundert hatte:
Die Gruppe 880 wurde von 1916 bis 1922 in 60 Exemplaren gebaut. Zwischen 1931 und 1933 kamen noch 28 aus der Gruppe 875 umgebaute Lokomotiven hinzu. Erstaunlich, dass sich diese 500 PS starken und 75 km/h schnellen patenten Lokomotiven bis zuletzt in den Depositi Cremona, Novara und Cuneo halten konnten und erst 1978 aus dem aktiven Zugdienst ausschieden.
Etwas an der Seite stand noch 625 112 mit einer Pufferbohle, bestehend aus einem hochgeklappten Schneepflug?
Leider drängte die Zeit und ich musste das Deposito verlassen - nicht ohne mich bei den abgestellten Maschinen im Eingangsbereich umzusehen - 625 141:
Einige Lokomotiven machten einen sehr gepflegten Eindruck, wie die 625 153. Nach meinen Aufzeichnungen ist sie eine Schwarzkopff-Lieferung:
Besonderes Interesse weckte allerdings die 685 196, eine Vierzylinder-Verbund-Lokomotive, die im Hintergrund zu sehen ist!
So sah der Fotograf die Lokomotive:
...und so die 685 196 den Fotografen:
Jetzt fragt mich nicht, wie dieses Foto zustandegekommen ist - wahrscheinlich so eine Art Seelenwanderung!
An dieser Stelle möchte ich einmal meiner damaligen Kamera, der CONTAFLEX von Zeiss Ikon mit der festen 1:2,8 45 mm Tessar-Optik, meinen Dank aussprechen. Sie war 1976 gerade 18 Jahre alt und damit etwas älter als ich. In kongenialer Symbiose mit dem Agfa CT 18 hat sie diese schönen Aufnahmen ermöglicht. Welchem jungen Leser sind diese Bezeichnungen überhaupt noch ein Begriff?
Die Kamera hat einen eingebauten externen Belichtungsmesser, bestehend aus einer Anzeige-Skala von eins bis drei. Daraus konnte über den den Umweg der DIN-Zahl die Belichtung berechnet werden. Wer nicht innerhalb kurzer Zeit die notwendige Erfahrung für die Belichtung guter Bilder sammelte, verlor in ebenso kurzer Zeit die Freude am Fotografieren!
Noch ein kurzer Abschiedsblick über den kleinen Kanal, und die Urlaubsfahrt musste weitergehen zum
Hafen von Piombino:
Die 685 196 ist wieder einsatzfähig und steht zusammen mit der 685 089 für Treni storici zur Verfügung. Es existieren im
Kanal einige Videos, auf denen die 685 ihre 110 km/h beeindruckend demonstrieren. Im fantastischen Museo die Pietrarsa ist noch die 685 068 vorhanden und die S685 600 ist im Museo Leonardo da Vinci di Milano hinterstellt.
So schön war der Frühling im Jahre 1976!
Siehe auch
Domodossola 1974.
Beste Grüße
Thomas
Edith: Dank Joachim
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:04:11:11:28:06.