Die Jahre 1989 und 1990 waren nicht nur geschichtlich einzigartig, als Folge aus dem politischen Zusammenfinden des geteilten Deutschlands ergaben sich auch bei den beiden deutschen Staatsbahnen erstaunliche Veränderungen. Was früher in zähen Verhandlungen auf Fahrplankonferenzen erkämpft oder verhindert wurde, war jetzt über Nacht möglich, weil betrieblich dringend nötig, um die Menschenmengen zwischen beiden Staaten bewegen zu können. Daneben entstanden Kooperationen im Triebfahrzeugbereich, die weit über Durchläufe bis tief in die Nachbar-Bahnverwaltung hinausgingen. Die Einheit war noch nicht besiegelt, da waren schon Tfz-Überlassungen an die Bundesbahn vereinbart.
Bis auf einige sehenswerte neue oder verlängerte Schnellzüge tangierte das Ganze meine Heimat noch nicht sehr. Das änderte sich um die Jahreswende 1990/91: Da berichtete am 4. Januar 1991 die örtliche Tageszeitung von dem Erscheinen einer Lokomotive der Deutschen Reichsbahn, die mit anderen den Lokbestand des Bw Dortmund 1 – besser bekannt unter Dortmund Bbf - verstärken sollte. Denn bekanntermaßen hatte die Bundesbahn einen völlig überraschenden Lokmangel im Güterverkehr – wie sich die Ereignisse wiederholen -, den man nun elegant beheben konnte, da die Reichsbahn durch die bekannten Nachwende-Verkehrseinbrüche im Güterverkehr plötzlich Lokomotiven entbehren konnte.
Als Abonnent der wichtigsten (West-) Eisenbahn-Zentralorgane war mir dieser Umstand zwar nicht verborgen geblieben, jedoch waren bisher nur Baden mit der Schwarzwaldbahn und der Nürnberger Raum als Einsatzgebiet von Reichsbahn-Elloks gehandelt worden.
So begab es sich, dass ich am 7. Januar 1991 im Dortmunder Hbf staunend vor einer an der alten Post abgestellten 143 stand, die wenige Tage zuvor hierher überführt worden war. Die Baureihe war mir zwar von einigen Sichtungen vor Sputnik-Zügen in Werder von meinen Berlin-Fahrten nicht ganz unbekannt und mir damals schon optisch positiv aufgefallen, aber sie hier zu sehen, war doch sensationell: 143 928, noch keine 18 Monate alt, und schon im Westen.
Und es wurden immer mehr: hier standen gleich drei Stück auf dem Gleis 1 direkt an der Bahnhofsmauer, nicht nur für die Pendler, sondern auch für interessierte Stadtgänger gut sichtbar. Mit ihren grauen Drehgestellen sahen sie aus, als wollten sie zum Tanzen gehen. 143 919, 143 933 und 143 917 werden hier präsentiert.
Hier waren sie von nun an zu Hause: 143 887 und 143 959 mit 140 265 stehen in der Halle abgestellt. Das Bw Dortmund Bbf feierte am Tag der Aufnahme sein 50-Jähriges, deshalb gab es die sehr seltene Gelegenheit einer offenen Tür für Fremde.
Zuerst musste wie üblich das Personal mit den Loks vertraut gemacht werden, wurde doch langsam bekannt, dass etwa 100 Stück allein nach Dortmund kommen sollten, weitere 50 nach Mannheim. Die ersten Schulungsfahrten führte sie mittags vor dem 5148 von Dortmund nach Duisburg durch. Man spannte einfach der planmäßigen 141 vor, und los ging es. Diese Tour konnte man über längere Zeit mehrmals wöchentlich beobachten.
In den nächsten Monaten wurde es dann Ernst für die Maschinen. Immer mehr von ihnen, anfangs nur doppeltraktionsfähige Loks der 800er und 900er Nummerngruppen, kamen nach Dortmund und drangen in die Pläne der Dortmunder 140er ein und wurden auch vor schwersten Brocken wie Erzzügen zu den Dortmunder Hochöfen gesehen. Mit einem Übergangswagen wurden sogar die sechsachsigen AK-Faals befördert, genauso wie die herkömmlichen flachen Fal-Erzwagen.
Diese Aufnahme aus August 1991 zeigt eine solche Doppeltraktion vor Faals-Wagen nahe des Abzweigs Nette in Dortmund. 143 888 und 143 955 sind mit einem Übergangswagen mit der automatischen Kupplung des Zuges verbunden.
Später gelangten auch viele Maschinen ab der Ordnungsnummer 500, nur wendzug-, aber nicht doppeltraktionsfähig, nach Dortmund. Dazu ein Beispiel mit 143 578 und einer Gemischt-Waren-Fuhre im August 1993 in Recklinghausen Süd, denn nicht nur Ganzzüge, sondern auch normale Dg in den Norden nach Maschen oder östlich nach Seelze und natürlich die üblichen Ruhrgebiets-Sammler waren in den Plänen zu finden:
Zur Auffüllung der Pläne sah man sie außerdem gelegentlich vor Reisezügen, z.B. zwischen Hamm und Dortmund oder Hamm/Essen und Hagen. Selbst morgens früh auf Reisen gehend, konnte ich im April 1993 kurz nach sechs die 143 936 aufnehmen, die gerade den 8511 von Dortmund nach Bielefeld bereitgestellt hatte.
Was wie eine Original-Reichsbahnszene anmutet, selbst die Bahnsteigumgebung verfälscht das Bild nicht merklich, ist eine PR-Maßnahme der Deutschen Bahn, die die NRW-Bevölkerung langsam auf den Einsatz eigener Doppelstockzüge vorbereiten wollte. Man lieh sich für einige Tage drei DBuz der Nicht-mehr-Reichsbahn aus, wählte stilsicher zwei rote Dortmunder 143 für die Bespannung und pendelte dann in einem 141-Umlauf zwischen Dortmund und Lünen. Der Ort „Do-Kirchderne Hp“, an dem der Zug hält, hat fast genau fünf Jahre zuvor am 15. Juni 1989 Geschichte geschrieben: Hier entstieg dem ICE-Experimental kein geringerer als Michail Gorbatschow, der auf Einladung des Betriebsrates das angrenzende HOESCH-Werk Westfalenhütte besuchte und vor der Belegschaft sprach ( [
www.derwesten.de] ). Eigens dafür wurde dieser Teil des Haltepunkts mit Pflaster versehen, was auf der gegenüberliegenden Seite bis heute nicht geschehen ist.
Kaum dass der Bestand vollständig vorhanden war, gab es weitere Begehrlichkeiten. Mit der S2 war 1991 die vorletzte der geplanten S-Bahn-Linien in Betrieb genommen worden, so dass jetzt endlich, nachdem sie schon zwischen sieben und 13 Jahren im Dienst waren, alle Maschinen der S-Bahn-111er in diesen Diensten benötigt wurden. Gleichzeitig aber bereitete sich die BD München auf den Einsatz der ersten neuen Bundesbahn-Doppelstockwagen seit den 50er Jahren vor. Das Einsatzkonzept sah bis zu zehnteilige Züge vor, die mit einer Lok allein nicht zu befördern waren. Die Lösung: Man wollte die zeitmultiplexe Wendezugsteuerung einiger Düsseldorfer 111 (111 174 – 111 188) um eine Doppeltraktionskomponente ergänzen und diese Loks dann vor den Dostos verwenden, zum Teil mit je einer Lok an jedem Ende, einige Züge auch in klassischer Doppeltraktion. Das sah dann z.B. so aus:
Damit bekam das Bw Düsseldorf ein Problem: Einen Abgang von 15 Loks konnte man jetzt nicht mehr verschmerzen, außerdem steckten zumindest in einigen von ihnen finanzielle Mittel des Landes NRW.
Nun kommt die BR 143 ins Spiel. Ich will es kurz machen, vielen ist es ja auch bestens bekannt. Sie eignete sich als Ergebnis von Tests auch für den S-Bahn-Dienst, das Land akzeptierte sie als Kompensation, also bekamen die auserwählten Loks ebenfalls zumindest ZWS und einen schicken S-Bahn-Anstrich nach dem Farbmuster von 1986/87. Dabei wurde aber die Menge der angemieteten Lokomotiven nicht aufgestockt, sondern ggf. im Tausch mit Dortmund oder aber der Reichsbahn – dafür gingen andere Maschinen zurück – der Bestand von max. 150 Mietlokomotiven bei der Bundesbahn konstant gehalten. Erst nach 1993 fiel diese Beschränkung. Im S-Bahn-Bestand waren Loks aller Bauserien vereint, beginnend mit 143 003 und endend mit 143 970.
Nach ersten Sichtungen auf der S11 in Köln im Januar 1993 tauchten sie kurz darauf auch zu Hause auf der S2 auf. Sehr überzeugt hat mich bei meiner ersten Mitfahrt die enorme, absolut konstante Beschleunigung, die Loks gingen ab wie eine Hexe auf dem Besen. Der neue Anstrich schockierte nicht mehr so wie damals bei 111 111, und mit den neuen Wagen der zweiten und folgenden Bauserien ergab sich ein farblich geschlossenes Bild.
So verschoben sich langsam der Einsatzschwerpunkt weg vom Güterverkehr hin zur S-Bahn. Dieser Prozess beschleunigte sich, als die neue Deutsche Bahn den Einsatz von Dostos in Nordrhein-Westfalen realisieren und diese auch als Wendezug fahren wollte. Die passenden Loks hatte man zwar vor Ort, musste sie aber durch weitere 143 aus dem S-Bahn-Dienst herauslösen. Zusätzlich gingen weitere orange-grau farbene 111er aus den gleichen Gründen auch nach Frankfurt, Stuttgart und Braunschweig, so dass gegen 1996 der 111-Einsatz auf der S-Bahn endgültig beendet war.
Im November 1993 fuhren die 143er erstmals hinter meinem Garten her, als auch die ersten zwei Umläufe auf der S4 umgestellt wurden. Natürlich war ich mit der Kamera sofort dabei und habe ihnen nachmittags nach Feierabend und am ersten Adventssamstag, als die S4 noch einen Zwischentakt zwischen Königsborn und Dorstfeld erhielt, nachgestellt. Zuerst sehen wir 143 604 an einem der wenigen sonnigen Nachmittage zwischen den beiden Haltepunkten in Do-Wickede aufgenommen. Im Hintergrund leuchtet mit weißer Giebelseite ein ehemaliges Eisenbahnerhaus aus den Zeiten, als wenige Meter westlich der Übergabebahnhof der Zeche Holstein in heutiger Lage des Betriebsbahnhofs Do-Asseln, verschiedene Stellwerke und Schrankenposten und am östlichen Ortsrand der Abzweig zur Zeche Massener Tiefbau einen umfangreichen Personaleinsatz erforderte. Im Zuge des Untertunnelns des anliegenden Bahnübergangs wurde es kurz darauf abgerissen, knapp 70 Jahre nach Stilllegung der beiden Zechen.
Die nächste Aufnahme zeigt einen farblich harmonierenden Zug, sieht man einmal von dem mit Ganzwerbung versehenen Mittelwagen ab. Der gesamte Zug warb damals mit einigen anderen Garnituren für eine überregionale Zeitung.
Und hier haben wir den Adventsverstärker mit dem S-Bahn-Prototypen 143 652, der erst sehr spät die S-Bahn-Lackierung erhielt und kurz darauf schon nach Mannheim abgegeben wurde. Bei typischem Novemberlicht passiert er das Feld am fränkischen Friedhof in Richung UN-Königsborn.
Dazu sei noch eine Aufnahme von 1995 gereicht, als in Massen, wenige 100 Meter hinter der Stadtgrenze vom Damm der Zechenbahn zur bereits 1925 stillgelegten Zeche „Massener Tiefbau“ fotografiert, 143 036 unterwegs nach Unna ist.
Obwohl auch 143er ehemaliger Reichsbahn-Bw längst keine Seltenheit mehr auf heimischen Schienen waren, erhielt man die Stationierung in Dortmund für den Güterzugeinsatz noch länger aufrecht. Das bietet mir wieder einmal Gelegenheit, meinen Km 161,2, den inzwischen vielzitierten, erneut in Szene zu setzen. Die stark angewachsene Vegetation direkt am Bahndamm machte inzwischen solche Kunstgriffe nötig, um 143 563 einigermaßen abbilden zu können. Zeitlich sind wir jetzt im März 1995. Erst 1998 war endgültig Schluss mit diesen Diensten und gleichzeitig auch der Beheimatung, das Letztere vorläufig jedenfalls. Bis dahin müssen ständig weit über 200 elektrische Lokomotiven die Bezeichnung „Dortmund“ am Rahmen getragen haben (den heutigen Bestand mag ich gar nicht zusammen zählen, er liegt sicher nur noch bei 50 bis 60 Fahrzeuge).
Im Jahr 2000 wurde Köln Deutzerfeld zum Heimat-Werk, als dort eine Reihe von Loks stationiert wurden, die man mit der Bundesbahn-Wendezugsteuerung ergänzt hatte. Sie waren eigens für Silberling-Wendezüge während der EXPO Hannover damit ausgerüstet worden und wurden jetzt ins Rheinland weiter gereicht. Hier hatte man u.a. auch S-Bahn-Aufgaben für sie, denn man setzte sie hauptsächlich rechtsrheinisch nach Koblenz und vor der Silberling-S12 nach Siegburg und Hennef ein, um dort 110er und 111er frei zu bekommen.
Das Foto vom 15.11.2000 zeigt allerdings eine typisch Kölner Überführung mit 143 183, die möglicherweise nicht zum Betriebsbahnhof, sondern zum AW Oppum ging:
Während dieser Zeit ging die Karriere der BR 141 nach mehreren Knicks endgültig dem Ende entgegen, da sie von den Veränderungen im Regionalverkehr mit den neuen und schnelleren Zügen und der Konkurrenz durch andere Baureihen immer schneller an den Rand gedrängt wurde.
Auch in Dortmund, das vor einigen Jahren Hagen-Eckesey beerbt hatte, weil dieses als Cargo-Werk gefälligst keine Regio-Loks mehr zu warten hatte, wollte man die verschlissenen 141er loswerden. Sie fuhren dort noch von Hagen nach Siegen, von Dortmund nach Hamm, Lünen und Soest – und dort bei recht kurzen Wendezeiten oft medienwirksame Verspätungen ein - und auf einigen anderen Strecken. Auf der Soester Strecke machte ihnen zum Fahrplanwechsel im Dezember 2004 die BR 143 den Garaus, die damit, von Köln kommend, noch einmal für knapp drei Jahre nach Dortmund Bbf zurück kehrte, ehe sie im September 2007 sehr kurzfristig der BR 110 Platz machen musste.
Womit sich dann der Kreis für das Werk Dortmund endgültig schließt: Sie speisten sich ausschließlich aus den EXPO-KWS-Umbauten der Jahre 1999/2000, so dass jetzt die Zeitfristen der Loks abliefen. Investieren wollte in sie keiner mehr, auch der Stern der BR 143 sank unter dem Einfluss verlorener Ausschreibungen und der Beschaffung eigenen neuen Materials bereits deutlich. Sie war zu langsam für RE-Züge, und ob ihrer völlig von Bundesbahn-Normen abweichenden Konzeption waren sie auch immer etwas fremd im Lande geblieben.
Zu dieser kurzen letzten Episode zeige ich hier zwei Fotos, auch wenn sie noch nicht den HiFo-Vorgaben genügen:
Es war der Tag, der den Begriff „Industrieschnee“ bekannt machte und der Tag, an dem der Einsatz der BR 141 in Dortmund endete, 11.12.2004: Neben der 141 330 auf ihrer letzten Schicht schleicht bereits 143 214 herbei, was ein gemeinsames Foto ermöglichte. Beide treffen sich im Bahnhof Do-Hörde, der z.Z. seinen „30er-Jahre-“Charme“ mit niedrigsten Bahnsteighöhen und den alten Bahnsteigdächern verliert.
Nicht sehr lange hatte man anschließend die Möglichkeit, die Dortmunder 143er Als „Hellweg-Bahn“ bei ihrem Ausflug in die Soester Börde östlich von Unna, in Uelzen direkt am geografischen Mittelpunkt des Kreises und an dem Hellweg zu beobachten, auf dessen historischer Trasse die Bahnlinie hier zum Teil verlegt ist. Der moderne Hellweg verläuft in Gestalt der Bundesstraße 1 in einigen Hundert Metern Entfernung. Dieses Foto entstand wenige Monate vor Ende der Einsätze im Mai 2007, noch einmal 143 214 auf dem Weg nach „Söhhst“:
Die weiteren Aussichten sind bekannt: In Düsseldorf haben wir sie die längste Zeit gehabt, der neue ET 430 wird sie endgültig verdrängen, und Trierer Loks werden auch nicht auf ewig den Rhein hinab bis hinter Köln kommen. Danach wäre NRW wieder 143-frei, nach reichlich über 20 Jahren. Für eine Lok-Baureihe, die in diese Region nicht hinein geboren wurde, sehr wohl aber hinein gewachsen ist, ist das schon eine respektable Zeit, die sie in etwa mit der BR 232, noch unverzichtbar als einzig legitime Nachfolgerin der BR 44, teilt. Ihren Zweck hat sie jedenfalls hervorragend erfüllt, allein 17 Jahre lang ist sie bisher auf der S-Bahn täglich ordentlich geschrubbt worden, jetzt schon länger als ihre Vorgängerin.
Darum soll der Beitrag mit einem Foto enden, das sie auf einer ihrer letzten festen Einsatzstrecken zeigt. Deshalb leuchten Abschied nehmender Weise die roten Schlusslichter der 143 003 am Haltepunkt Dortmund-Wickede, noch einmal ein S4-Foto.
Obwohl vor Planwechsel auf Plakatwerbungen und mit Pressemitteilungen für den ausschließlichen Einsatz der BR 422 geworben wurde, ist die BR 143 in einigen Umläufen auch heute unterwegs, anders als der N8 unten auf der Straßenbahn, der an dieser Stelle schon seinen Abschied hinter sich hat.
In diesem Sinne, bis demnächst in diesem Theater
Grüße
Frank
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2016:04:16:11:39:15.