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Domodossola 1974 - la Grazia!

geschrieben von: ehemaliger Nutzer

Datum: 13.12.10 00:05

Im Jahre 1906 bestellten die Italienischen Staatsbahnen bei der Berliner Maschinenbau-Aktiengesellschaft (vorm. Louis Schwarzkopff) 24 Exemplare ihrer ersten Heißdampflokomotive. Sie basiert auf der Zweizylinder-Verbund-Nassdampf-Schnellzuglokomotive der Reihe 630 und nur die für die Heißdampf- und Zwillingstriebwerksausführung notwendigen Bauteile weichen von dieser ab. Die Lokomotive hat einen Kesseldruck von 12 Atü und ist mit einem Treibraddurchmesser von 1850 mm für 100 km/h zugelassen. Interessant ist, dass - im Gegensatz zum Schieberkasten - die Innenliegenden Zylinder geneigt waren. Wegen des leichten Oberbaus in Italien, weswegen so viele der italienischen Dampflokomotiven relativ zierlich ausgeführt wurden, war der Achsdruck auf 15 Tonnen beschränkt.

Die Lokomotiven der Reihe 640 erfüllten alle Erwartungen und Schwarzkopff erhielt eine Nachbestellung über weitere 24 Lokomotiven. Insgesamt wurden ca. 170 Maschinen, später bei Breda und anderen Firmen, gebaut. Von den Verbund-Lokomotiven der Reihe 630 wurden zwischen 1927 und 1932 viele in die Zwillingsausführung mit Caprotti-Ventilsteuerung umgebaut und als Reihe 640 weitergeführt.

Am 7. April 1974 hatte 640.041 - sie muss dann eine Schwarzkopfflieferung sein - ihren Personenzug von Novara nach Domodossola gebracht und das Lokpersonal hatte in Eigenregie für die Ergänzung der Vorräte und die Wartung der Lokomotive zu sorgen. Unter misstrauischen Blicken - Fotografieren von Eisenbahnen war in Italien nicht erlaubt - habe ich einen Rundgang um die Lokomotive gemacht. Großartige Erläuterungen sind nicht notwendig - einfach nur genießen!

http://iedu.de/Preview/Railpict/Italien/1974.04.07._Domodossola2.jpg


Links im Bild ist ein Heizwagen zu sehen, da die Lokomotiven keinen Dampfheizung besaßen.

http://iedu.de/Preview/Railpict/Italien/1974.04.07._Domodossola3.jpg

http://iedu.de/Preview/Railpict/Italien/1974.04.07._Domodossola5.jpg


Man beachte Gleislage der "Feldbahn" im Vordergrund zum Kohlenbunker:

http://iedu.de/Preview/Railpict/Italien/1974.04.07._Domodossola4.jpg

http://iedu.de/Preview/Railpict/Italien/1974.04.07._Domodossola1.jpg


Ich beschreibe die Lokomotivdaten bewusst in der Gegenwartsform, da die Trenitalia - ich glaube z.Zt. mind. zwei Lokomotiven, betreut von Eisenbahnfreunden - betriebsfähig unterhält! Sowieso ist dieses italienische System - Lokomotiven im Besitz und Verantwortung für Untersuchungen durch die Trenitalia, betreut von verschiedenen Eisenbahnfreunden über‘s ganze Land - ein interessantes Modell. Vielleicht kann der Ein oder Andere näheres erläutern?

Die Dias fristeten bisher ein unbeachtetes Schattendasein, da sie auf einem total violettstichigen Revuechrom-Diafilm aufgenommen waren. Die Gradationskurven der einzelnen RGB-Farben im Scanprogramm sehen zwar abenteuerlich aus, doch bin ich vom Ergebnis schlichtweg begeistert. Also bei farbstichigen Dias bitte nicht den Mut verlieren!

Einen guten Wochenanfang und beste Grüße
Thomas

Re: Domodossola 1974 - la Grazia!

geschrieben von: fasca

Datum: 13.12.10 00:10

Schöne Bilder! Ich war dort in 1973 mehr Bilder wirden gescand und folgen.
Mfg
fasca aus der Niederlanden.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:04:11:00:30:52.

Maria Grazia

geschrieben von: Littorina

Datum: 13.12.10 01:01

Hallo Thomas,

das wird ja immer schöner - es gibt nicht nur die Gnade, sondern auch die Ungnade der späten Geburt. Von solchen Bildern träume ich immer, wenn ich im ETR 470 oder ETR 610 durch Domodossola fahre...

A propos Gnade (italienisch "grazia"): "Maria Grazia" (alternative Schreibweise "Mariagrazia") ist hier in Süditalien ein verbreiteter Name, die Kurzform lautet "Grazia". Als allgemein verbreitete Bezeichnung für die Reihe 640 ist mir "La Grazia" neu. Das mag freilich meiner Unkenntnis geschuldet sein, ich vermute jedoch, dass es sich um eine individuelle Bezeichnung des Lok- oder Depotpersonals handelt. Etwa so, wie Jacques Lantier in Emile Zolas Roman "La Bête Humaine" seine Maschine liebevoll "la Lison" nennt. Sollte meine Vermutung richtig sein, stellt sich natürlich die Frage, wer zur Bezeichnung "Grazia" inspiriert hat, die Ehefrau oder die Geliebte...

Als allgemein übliche Bezeichnung für die 640 ist mir "Signorina" geläufig (wobei dieser Name eher häufiger auf die 625 bezogen wird). Die 640 mit Caprotti-Ventilsteuerung wurden "Caprottine" (im Singular "Caprottina") genannt.

Eine gute Woche,

Gruß aus Lecce,

Michael

Re: Maria Grazia oder doch Signorina?

geschrieben von: wernerhardmeier

Datum: 13.12.10 07:15

Ja, wie die Zeit vergeht. Die 640 in Domo habe ich auch noch erlebt, zum Beispiel 640.143, aber ich getraute mich aus den erwähnten Gründen kaum zu fotografieren, immer auf der Hut vor der Polizia Ferroviaria:
640.143e.jpg

Zur Namensgebung Signorina: Er hat etwas mit der weiblichen Schuhmode zu tun, und zwar mit den hochhackigen Stöckelschuhen, welche in früheren Zeiten von attraktiven Frauen und solchen, die es werden wollten, getragen wurden. Signorina heisst Fräulein. Das ist zwar politisch nicht mehr korrekt, erklärt aber in genügendem Ausmass, dass eine eisenbahntechnisch nachvollziehbare "Signorina" auf hohen Hacken durch die Po-Ebene (nicht Poebene!!) ziehen muss, also auf den grossen Treibachsen (nicht Triebachsen!!) der Reihe 640, weniger auf den im Vergleich geradezu flach wirkendenden Güterzug-Zoccoli der Reihe 625.
625.027c.jpg

Und wenn hier im HiFo die "Signorina" FS 640 einen kleinen Hype erlebt, so erfolgt das zeitgleich mit der aktuell wieder zunehmenden Verwendung von hohen Absätzen auf den Trottoirs unserer Städte. Nochmals zum Politisch Korrekten: Hinterherpfeifen darf man heute nur noch einer mit 100 Sachen auf schnurgerader Strecke dahinsausenden "Signorina"!!

Danke für die gefährlichen Bilder aus Domodossola und Gruss aus der Schweiz

Werner, Gelegenheits-Linguist

? Frage zu den umgebauten Verbundloks

geschrieben von: 03 1008

Datum: 13.12.10 08:36

Hallo,

vielen Dank für den Blick über die Alpen! Die 640.041 war BMAG 4165/1909. Mit der 64001 wurden übrigens laut Messerschmidt (Lok-Magazin 94, S. 28) Testfahrten zwischen Grunewald und Mansfeld durchgeführt.

Da ich - was Italien betrifft - literaturmäßig ziemlich unterbelichtet bin: Gibt es irgendwo eine Aufstellung der umgebauten 630er? Auf dieser Website

[www.ildeposito.net]

heißt es wohl, dass die umgebauten Loks als 640.345 - 379 (offenbar mit Lücken) eingenummert wurden. In dem genannten Lok-Magazin Artikel ist allerdings ein Foto der 640.342 abgedruckt.

Hat jemand den Durchblick?

Viele Grüße, Helmut

Re: Maria Grazia

geschrieben von: Rolf Stumpf

Datum: 13.12.10 08:52

Eine weitere, allerdings mehr umgangssprachliche Kurzform von Maria Grazia ist nach meinen Erfahrungen "Maria Gra", zumindest im Grenzland zwischen Molise und Puglia :-)

Wunderschöne Bilder übrigens...

Grüße

Rolf

Eine kleine Ergänzung..... (mL)

geschrieben von: Lothar Behlau

Datum: 13.12.10 10:48

.... in Gestalt eines alten Beitrags meinerseits ist hier zu sehen, wobei natürlich Deine "wiedererweckten" Farbfotos einiges mehr hermachen. Das Fotografieren von Eisenbahnen in Italien war seit 1969 übrigens nicht mehr verboten, aber bis sich das in die hinterste Provinz herumgesprochen hatte, mußten noch Jahrzehnte vergehen, und das Herumstreifen auf Betriebsgelände eines quasi-Grenzbahnhofes war natürlich eine ganz spezielle Situation.

Eine ganz ähnliche Serie wie mit "meiner" 640.071 habe ich dortselbst auch von der 640.073 geschossen, aber deren Veröffentlichung verschiebe ich wohl besser auf spätere Zeiten, wenn dies hier alles wieder in Vergessenheit geraten ist.

@Helmut: Einzelheiten zum Umbau von 630 in 640.3 habe ich auch noch nicht herausfinden können.

Ansonsten danke ich für die Unterrichtung in Begriffsbestimmungen und Sprachwissenschaft - ganz ernsthaft!

Lothar Behlau, der seit 10 Jahren nicht mehr in Italien war - unglaublich!

*************************************************************************************************************
http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/sncf_cc-40108_+_sncb_1803_243_parisnord_101294LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/wl_yft_4669_hendaye_280889LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/wl_ab33_33306_271_600_monza_010683LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/sncf_cc-72080_sdz31593_vsoe_parisest_290588LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/wl_mu_4825_271_670_firenzesmn_070492LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/wr_2973_281_innsbruck-bolzanobozen_310386_3LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/wl_ub_3824_397_127_koebenhavnh_040482LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/wr_4004_410_athinai-thessaloniki_180289LotharBehlau.jpg http://www.wagonslits.de/phpbb2/album_mod/upload/cache/ciwlt_werklok_r+h_atoostende_130384LotharBehlau.jpg
*************************************************************************************************************

Multo bene!

geschrieben von: Helmut Philipp

Datum: 13.12.10 11:49

Moin Thomas!

Vielen Dank für den Einblick in das seinerzeitige Deposito Domodossola! Während Dir damals die 640. 041 vor die Kamera kam, war es bei mir - ziemlich genau ein Jahr davor - neben anderen Lokomotiven die 640. 142, die natürlich ebenfalls zum Dep. Novara gehörte:

http://img808.imageshack.us/img808/7730/0640142bdomodossolabw22.jpg


Grüße aus dem Norden

Helmut

Re: Maria Grazia

geschrieben von: X-2919

Datum: 13.12.10 14:10

Hallo,

welch' herrliche Bilder! Diese Maschine wirkt für 1974 schon wie ein Anachronismus.

Littorina schrieb:
-------------------------------------------------------
> ich vermute jedoch,
> dass es sich um eine individuelle Bezeichnung des
> Lok- oder Depotpersonals handelt. Etwa so, wie
> Jacques Lantier in Emile Zolas Roman "La Bête
> Humaine" seine Maschine liebevoll "la Lison"
> nennt.

Das kann ich jetzt nicht so stehen lassen. Im 19. Jahrhundert hatten bei vielen Gesellschaften die Lokomotiven Namen. "Lison" ist kein Kosename und ist auch nicht von Lisa oder dgl. abgeleitet, sondern war der tatsächliche Name einer Lok. Es handelt sich nämlich schlichtweg um den Namen eines Abzweigbahnhofes an der Strecke nach Le Havre, wo der Roman ja auch angesiedelt ist! Dort zweigt die Strecke nach Coutances - Folligny - Dol (- Lamballe) ab, die von den Zügen Caen - Rennes benutzt wird:

http://img97.imageshack.us/img97/5059/lison1.jpg

Viele Grüße, Peter

Danke für die Richtigstellung

geschrieben von: Littorina

Datum: 13.12.10 14:46

Hallo Peter,

vielen Dank für die Richtigstellung und das Bild vom Bahnhof Lison.

Bei "La Bête Humaine" habe ich sofort die Bilder aus dem Film von Jean Renoir vor Augen, und dort trägt die wahre Protagonistin "Lison" bekanntlich keinen Namen, sondern die Nummer 231-592. Vielleicht mag dies meinen Fehler erklären.

Gruß aus Lecce,

Michael

Re: Multo bene!

geschrieben von: Olaf Ott

Datum: 13.12.10 19:58

Guten Abend!

Da möchte ich mich Helmut einfach anschließen.


Vielen Dank!

Olaf Ott

Re: Molto bene!

geschrieben von: ehemaliger Nutzer

Datum: 14.12.10 00:38

Hallo Helmut!

Auf Deinem Foto sehe ich direkt einen Bauartunterschied zwischen niedrigen und hohen Nummern der Reihe 640: Die Luftpumpe ist auf der anderen Seite angebracht.

Zur "Grazia": Irgendwann vor ca. zwölf Monaten wurde in einem schnulzigen Eisenbahnbahnromantik-Beitrag der Begriff "La Grazia" für die 640 benutzt... ebenso irgendwas wie "Frazi neri" für das Lokpersonal. Beide Begriffe habe ich zuvor nie gehört. Für Dampflokomotiven kannte ich bis dahin nur die Begriffe "Vapori" oder "Vaporetti" (so werden allerdings auch die Motorboote auf dem Lago Maggiore und woanders bezeichnet). Mir scheint fast, dass der Begiff "La Grazia" nur eine nachträgliche Verklärung dieser eleganten Bauart ist. Der in der Sendung ebenfalls verwendete Begriff "La Regina" für die 685 erscheint für den, der die Lokomotiven im Einsatz erlebt hat, allerdings sehr nachvollziehbar!

Viele Grüße Thomas

Musi neri

geschrieben von: Littorina

Datum: 14.12.10 07:40

Kleine Ergänzung: Eine allgemein übliche Bezeichnung für das Dampflokpersonal war (und ist)
"musi neri" (schwarze Schnauzen).

Gruß,

Michael

Re: Eine kleine Ergänzung..... (mL)

geschrieben von: ehemaliger Nutzer

Datum: 23.12.10 22:51

Lieber Lothar!

> Das Fotografieren von Eisenbahnen in
> Italien war seit 1969 übrigens nicht mehr
> verboten, aber bis sich das in die hinterste
> Provinz herumgesprochen hatte, mußten noch
> Jahrzehnte vergehen, und das Herumstreifen auf
> Betriebsgelände eines quasi-Grenzbahnhofes war
> natürlich eine ganz spezielle Situation.

Ich habe gerade durch die Reorganisation meiner "Bibliothek" die "Dampfgeführten Reisezüge der FS", Sommerfahrplan 1974, von Otfried Eisenhardt in der Hand gehabt. 1974 hatte sich selbst bis zu ihm die Aufhebung des Fotografierverbots noch nicht herumgesprochen; denn er schreibt dort: "In Italien ist das Fotografieren auf Bahnhöfen und anderen Bahnanlagen generell verboten." Auch im Winterfahrplan 1974/75 weist er wieder darauf hin.

Das war also echt italienischer Informationsfluss!

Schöne Feiertage und die besten Wünsche für das Neue Jahr!
Thomas



PS.: Ich mache auch bald mit Gremberg weiter!