Zum Ende der Dampfzeit entwickelte sich das Bw Lehrte zu einer der letzten Hochburgen dieser Traktionsart bei der DB. Kein Wunder also, dass sich Aufnahmen aus Lehrte bzw. von Lehrter Loks in den Archiven nahezu aller Eisenbahn-Fotografen jener Zeit befinden.
Anknüpfend an die viel beachtete Beitragsserie über das
Bw Rothenburgsort in den letzten Jahren hat deshalb das Autorenteam Stefan Carstens, Olaf Ott, Hartmut Riedemann und ich das Vorhaben in Angriff genommen, gemeinsam eine Beitragsserie zum Thema Lehrte zu gestalten.
Mit uns nicht abgesprochen, aber als Einstieg in die Thematik geradezu perfekt, war der kürzlich von Andreas Schmidt im HiFo präsentierte Beitrag "
Einmal durch's Hämelerwald der 70er Jahre" mit tollen Bildern von einem "magischen Ort" an der Strecke Lehrte – Braunschweig. Dieser wird auch in unserer Serie noch einen gebührenden Platz einnehmen. Aber zuvor möchte ich noch einmal kurz die damalige Situation der Eisenbahn in und um Lehrte in Erinnerung rufen.
Im Eisenbahnknoten Lehrte sind östlich von Hannover insgesamt sechs Strecken miteinander verknüpft: Und zwar die von Hannover-Wülfel/-Linden (nur Gz), Hannover Hbf (nur Pz), Celle, Wolfsburg, Braunschweig und Hildesheim. Zur Dampfzeit war dieses zwangsläufig mit einem großen Rangierbahnhof und einem Bahnbetriebswerk verbunden, von dem heute allerdings nur noch ein paar verkrautete Lok-Abstellgleise vorhanden sind.
Wie das Bw vor gut 50 Jahren einmal aussah, zeigt dieses herrliche Luftbild, welches mir freundlicherweise vom Autor des oben erwähnten Beitrags, Andreas Schmidt, zur Verfügung gestellt wurde. Auf seiner Seite über den
Eisenbahnknoten Lehrte sind weitere historische Aufnahmen und viele Informationen zu finden, so dass ich mir hier weitere Einzelheiten erspare.
Bild 1:
Bw Lehrte, aufgenommen in den späten 50er Jahren. Foto Stadtbildarchiv Lehrte, Sammlung Andreas Schmidt.
Der Blick von Süden zeigt das im Gleisdreieck der Strecken nach Westen, Norden und Osten/Süden gelegene Bahnbetriebswerk in seinem frühen Nachkriegszustand. Der Aufnahmezeitpunkt ist vage mit "50er Jahre" angegeben, ich vermute anhand der identifizierbaren Loks eher Ende der 50er Jahre. Bei genauem Hinsehen erkennt man zahlreiche Loks der Baureihen 44 und 50 (eine davon mit Wannentender), zwei 38.10 und einige abgestellte(?) 55.25. Von den vielen Anfang der 50er Jahre noch vorhandenen 52 ist keine einzige zu entdecken. Ganz unten fährt eine pr. G8.2, BR 56.20, mit einem Güterzug ostwärts - vielleicht Richtung Hildesheim, da auf dem vordersten Streckengleis?
Seit Anfang der 60er Jahre war Lehrte ein reines Güterzuglok-Bw, das zum 01.01.68 nur 28 Loks der BR 50 beheimatete - einer Baureihe, die zu diesem Zeitpunkt nahezu überall bei der DB massenhaft zu finden war; nichts Besonderes also.
Das änderte sich gründlich am 28.09.68, als die Dampflokunterhaltung bei den Bw'en Bremen Hbf, Hannover Hgbf und Minden/Westf. aufgegeben wurde und die betriebsfähigen Maschinen nach Lehrte umgesetzt wurden. Nun gehörten plötzlich, wenn auch nur für kurze Zeit, sogar Schnellzugloks zum Bestand des Bw Lehrte, wobei neben den 01 und 03 als besondere "Schätzchen" die Loks der Versuchsanstalt (VersA) Minden zu erwähnen sind.
Bild 2:
018 323-6 (Leh), der badische Renner der VersA Minden in seinem neuen Heimat-Bw, Lehrte, 10.05.69.
Diese Baureihenvielfalt währte allerdings nicht lange. Schon nach wenigen Tagen wurden die Schnellzug-Dampfer an das Bw Braunschweig weitergereicht, die Jumbos nach Ottbergen und andere Dienststellen. Nur die VersA-18er blieben formell in Lehrte, ließen sich aber dort nur selten sehen. Ein ausführlicher Bildbericht über diesen sehr speziellen Zeitraum findet sich als neue Galerie unter dem Titel "
Bw Lehrte - 68/69" in der
Bundesbahnzeit - diese Galerie ist seit kurzem online.
Die weitere Entwicklung des Lokbestands beim Bw Lehrte war geprägt durch die fortschreitende Konzentration der Dampflokunterhaltung in der BD Hannover auf immer weniger Bws. Gab es am 01.01.68 noch dreizehn Bws, die Dampfloks beheimateten - Braunschweig, Bremen Hbf, Bremen Rbf, Bremerhaven, Goslar, Hameln, Hannover Hgbf, Hildesheim,
Lehrte, Löhne, Minden,
Ottbergen und
Uelzen - so war die Zahl vier Jahre später am 01.01.72 auf nur noch drei Bws geschrumpft (unterstrichen). Dabei gab es eine klare Aufgabenteilung, die bis zum Ende des Dampfbetriebs Bestand haben sollte: Ottbergen alle 44er des Direktionsbezirks, Lehrte (fast) alle 50er und die restlichen 94er. Nur Uelzen konnte sich als eigenständiges Bw mit einigen 50ern behaupten, die vornehmlich von den Bw Bremen Rbf und Soltau aus in Sonderdiensten eingesetzt wurden und darüber hinaus für den zeitweise recht umfänglichen Militärverkehr in der Lüneburger Heide vorgehalten wurden.
Damit bin ich bei dem Zeitabschnitt angelangt, der im Mittelpunkt unserer Beitragserie stehen soll: Die Jahre von 1972/73 bis zum bitteren Ende am 29.05.76. Diese Zeit deckt sich zufällig genau mit der meines Studienaufenthalts in Hannover. Wenn gerade mal nicht Studieren angesagt war, zog es mich regelmäßig nach Lehrte - immerhin 77 mal zwischen 01/72 und 06/76. Kein Wunder also, dass Lehrte für mich so etwas wie ein magischer Ort ist. In dieser Zeit war es einfach mein Heimat-Bw.
Baureihenmäßig war es in Lehrte, wie gesagt, etwas eintöniger geworden, zumindest, was die Dampfer betraf: An eigenen Loks nur noch die Baureihe 050ff. Daneben buchmäßig einige 094, die sich aber nur selten in ihr formelles Heimat-Bw verirrten. Immer anzutreffen, wie eh und je, Ottbergener Jumbos BR 044 und hin und wieder einige Gastloks auf Durchreise. Baureihenvielfalt war also nicht unbedingt angesagt - aber wo gab es das zu dieser Zeit überhaupt noch. Nein, die Menge war's! Im Bw fanden sich ständig zahlreiche Loks unter Dampf und Fotomöglichkeiten gab es reichlich. Auf der West-Ost Magistrale nach Braunschweig herrschte ein dichter Dampfbetrieb, der Streckenaufnahmen auch ohne Insider-Wissen zu jeder Tageszeit möglich machte. Und auch auf den anderen von Lehrte ausgehenden Strecken konnte man mit ein wenig Glück jederzeit eine Lehrter Maschine im Einsatz erwischen.
Eine Standard-Fotoposition im Bw waren die Abstellgleise neben dem Kanal. Der Blick mit Wasserturm im Hintergrund war aber nur am frühen Vormittag möglich. Die beiden 50er repräsentieren die Normal-Versionen dieser Baureihe - die eine mit Kastentender, die andere mit Kabinentender, so, wie sie im Lehrter Bestand ungefähr gleich stark vertreten waren.
Bild 3:
050 964-6 /
051 192-3 (beide Leh), Bw Lehrte, 08.08.75.
Unter den vielen Lehrter Maschinen der Baureihe 50 gab es aber auch etliche Exoten, von denen ich einige vorstellen möchte.
So waren in Lehrte die beiden letzten Schürzen-Loks dieser Baureihe bei der DB zu Hause, und das sogar mit unterschiedlicher Tenderbauart. Sehr harmonisch und geradezu klassisch schön (jedenfalls nach meinem Geschmack) die Schürzen-Lok mit Normaltender. Nur ein bisschen mehr Farbe hätte der Maschine gut zu Gesicht gestanden.
Bild 4:
051 342-4 (Leh), Bw Lehrte, Westausfahrt, 01.03.74.
Die andere Schürzen-Lok besaß einen Kabinentender und bis 3/74 auch noch einen Leicht-Laufradsatz als Vorläufer.
Bild 5:
050 446-4 (Leh), auf dem Kanal im Bw Lehrte, 25.08.75.
Löhne war früher eines der Haupt-Einsatz-Bws der 50er mit Mischvorwärmer gewesen. Von den insgesamt dreißig so ausgerüsteten Maschinen erlebten nur noch fünf die Einführung der neuen Nummern am 01.01.1968. Eine davon gelangte über Zwischenstationen nach Lehrte. Durch die Anstrichsauffrischung im Fahrwerksbereich ist sehr schön die Turbo-Speisepumpe zu erkennen, die bei den MV-Loks zur Regelausstattung gehörte.
Bild 6:
051 420-8 (Leh), vor der Besandungsanlage im Bw Lehrte, 11.08.73.
Neben den dreißig MV-Loks erhielten weitere vierzig Loks mit Oberflächenvorwärmer eine Turbospeisepumpe. Von diesen anfangs über das gesamte Bundesgebiet verstreuten Maschinen fanden sich zum Ende der Betriebszeit bemerkenswert viele im Bw Lehrte wieder (siehe die später noch folgende Stationierungsliste Bw Lehrte).
Bild 7:
052 225-0 (Leh), ist so ungünstig neben dem Schuppen abgestellt worden, dass der Überweg zum Schuppentor blockiert ist (vgl.
Bild 2 meiner Lehrte Galerie). Aber was soll's, dann ging man eben so über die Gleise. 29.03.73.
Als in der BD Hannover und den umliegenden Direktionen bei einem Bw nach dem anderen die Dampflokunterhaltung aufgegeben wurde, kamen mit den restlichen Betriebsloks auch einige der kräftigen preußischen T16.1, BR 94.5 in den Bestand des Bw Lehrte. Planmäßige Einsätze in Lehrte oder der näheren Umgebung gab es jedoch nicht mehr. Die Loks wurden entweder weiter an ihren bisherigen Einsatzorten - Goslar, Seesen - eingesetzt oder als Diesel-Ersatz und für Sonderzwecke in der ganzen Direktion herum gereicht. Im Bw Lehrte waren sie daher eher selten zu sehen oder gar unter Dampf zu fotografieren.
Bild 8:
094 616-0 (Leh), eine vormalige Rothenburgsorter T16.1, ist am 11.11.72 gerade mal seit sechs Wochen in Lehrte.
Während das Bw Lehrte zum Sammelbecken für die 50er im Bereich der BD Hannover wurde, wurde die Unterhaltung der BR 44 beim Bw Ottbergen konzentriert. Eine Haupteinsatzstrecke blieb aber nach wie vor die West-Ost Magistrale (Seelze -) Lehrte - Braunschweig - Helmstedt. Ottbergener Jumbos waren deshalb bis zum Schluss stets in größerer Stückzahl in Lehrte anzutreffen.
Bild 9:
Auf dem Bild erhebt sich hinter
044 155-0 (Ott) der imposanten Bekohlungskran des Bw Lehrte. Die Beladung erfolgte direkt mit der Greiferschaufel. Wie man sieht, staubt es trotz vorsichtigen Öffnens kräftig, wenn die Kohle in den Tender purzelt. Bw Lehrte, 28.05.73.
Nur kurze Zeit nach der vorherigen Aufnahme wurde der große Kohlekran wegen einer größeren Revision für längere Zeit stillgelegt und die Bekohlung erfolgte mit Hilfe eines schienengebundenen Krans vom vorderen Bekohlungsgleis aus, das damit für diesen Zweck nicht mehr zur Verfügung stand. Bevor Rückfragen kommen - nein, leider habe ich den Kran nicht einzeln fotografiert.
Bild 10:
050 934-9 (Leh), beim Bekohlen am 02.11.73. Der Heizer ist auf das Führerhausdach geklettert und sorgt für eine "schaufelgerechte" Beladung. Wahrscheinlich war das auch damals schon nicht ganz vorschriftsgemäß, aber unter heutigen Arbeitsschutz-Vorstellungen völlig undenkbar.
Für verschiedene Sonderfahrten im Herbst '73 im Raum Hannover war die Hofer 001 150 für einige Tage zu Gast im Bw Lehrte. Abstellplatz war das vor allem im Herbst/Winter lichttechnisch etwas ungünstige Gleis neben dem Schuppen, das häufig für solche Zwecke genutzt wurde.
Im Hintergrund ist gut zu erkennen, dass an dem großen Kohlekran der vordere Teil der Brücke abgebaut ist. Was zunächst aussah wie der Anfang vom Ende, erwies sich später als kostspielige Reparatur- bzw. Revisionsmaßnahme, denn die Brücke wurde später wieder komplettiert und der Kran wieder in Betrieb genommen.
Bild 11:
001 150-2 (Hof), Bw Lehrte, 02.11.73.
Auch wenn die Lichtverhältnisse in dem großen Rechteckschuppen recht bescheiden waren - ein kurzer Blick in diesen konnte nie schaden. Auf diese Weise bekam ich rein zufällig mit, dass sich hier ein ganz besonderer Paradiesvogel für einige Tage eingenistet hatte: Nämlich die aus Polen "re-importierte" 24 083, gekauft von Hrn. Kurt Meyer aus Hildesheim, einer der EK-Mitbegründer und großer 24er-Freund dazu.
Bild 12:
24 083 (EK), Bw Lehrte, 04.08.75.
Wie gesagt, die Lichtverhältnisse im Schuppen waren alles andere als fotogen. Aber einmal durch die 24er auf den Geschmack gekommen, wurden auch noch einige weitere Schuppenaufnahmen versucht - ohne Stativ und mit konventioneller Kameraausrüstung ein recht mühseliges und zudem Film fressendes Vorhaben.
Bild 13:
Im Schuppen, v.r.n.l.:
051 625-2,
050 unbek.,
052 798-7,
050 034-8,
051 256-6,
051 761-5,
050 868-9, Bw Lehrte, 04.08.75.
Ging man seitlich aus dem Schuppen heraus, kam man auf eine neben dem Schuppen gelegene große Freifläche, auf dem sich früher einmal weitere Lokstände befunden hatten - siehe Bild 1. Davon war in den 70ern nichts übrig geblieben, und die Fläche wurde als Parkplatz für die Bw-Mitarbeiter genutzt. Nur ganz am hinteren (westlichen) Rand führte ein Gleis direkt von der Drehscheibe in diesen Bereich, wo aber nur noch selten Fahrzeuge abgestellt wurden.
Ein solch freier Blick wie hier auf die 216 mit dem für Lehrte typischen Wasserturm dahinter war daher ein glücklicher Umstand, der natürlich aufs Celluloid gebannt werden musste.
Bild 14:
216 029-9 (Bwg), Bw Lehrte, 24.03.73.
Bisher noch nicht zu sehen war die in der Bw-Ausfahrt gelegene Drehscheibe, die durch diverse bauliche Umstände ebenfalls nicht sehr Foto-freundlich war. Deshalb habe ich hier auch nur vergleichsweise wenige Aufnahmen gemacht.
Die Aufnahme der 051 420, die hier gerade von Scheibe in die Ausfahrt in Richtung Rbf rollt, war allerdings mit einer dicken Überraschung verbunden: Die Mischvorwärmer-Lok jetzt neu mit Oberflächenvorwärmer! Wie in einem
älteren HiFo- Beitrag schon einmal diskutiert wurde, verpasste das AW Braunschweig der Lok im Rahmen einer am 31.10.74 abgeschlossenen L0.2 noch kurz vor ihrer Abstellung (Z: 25.11.76, †: 30.12.76) einen regulären Oberflächenvorwärmer samt Kolbenspeisepumpe. Schade, wieder eine besondere Maschine weniger im Lehrter Lokbestand.
Bild 15:
051 420-8 (Leh), am 19.04.75 "total normal" im Bw Lehrte.
In der Bw-Ausfahrt vor dem Stellwerk Lks (Lehrte-Kurve-Süd) mussten die Loks alle noch einmal anhalten, bevor sie über den direkt angrenzenden Bahnübergang das Bw-Gelände in Richtung Rbf verlassen konnten.
Bild 16:
052 873-7 (Leh), Bw Lehrte, 02.11.73.
Wie dicht die auf Ausfahrt wartenden Loks an der Straße standen, zeigt das nächste Bild. Die vorbei gehende ältere Dame hält jedenfalls größtmöglichen Abstand zu dem schwarzen Ungetüm, das da zischend und vor Dreck starrend direkt neben ihr steht.
Bild 17:
044 334-1 (Ott), Bw Lehrte, 03.12.75.
Kurze Zeiten später werden die Schranken geschlossen und es kommt zu einem in Lehrte durchaus häufigerem Zusammentreffen aller drei Traktionsarten: Zwei "Dicke" (150 und 044) und eine "Halbstarke" (216) geben sich ein Stell-Dich-Ein.
Bild 18:
150 074-3 (Beb),
044 334-1 (Ott),
216 091-9 (Bwg), Bw Lehrte, 03.12.75.
Damit bin ich am Ende des ersten Teils mit einer Kurz-Vorstellung des Bw Lehrte und seiner Lokomotiven angelangt. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es vor 4 Jahren schon einmal einen Beitrag über "
Das Bw Lehrte und seine 50er" von mir gab, der nach wie vor im Netz zu sehen ist.
In den folgenden Beiträgen wollen wir uns dann dem Dampfbetrieb auf den von Lehrte ausgehenden bzw. von Lehrter Loks bedienten Strecken widmen. Das ist ein breites Spektrum, dessen Umfang wir derzeit noch nicht ganz festgelegt haben. Schau'n mer mal, wie sich das Thema entwickelt.
Schönen Tag noch,
Ulrich B.