Beginnend mit dem morgigen Tag werde ich Rahmen einer Beitragsreihe unter dem Motto "Vor 20 Jahren..." über meine erste "richtige" Tour zu den Dampflokomotiven im Harz berichten. Weitere Beiträge zum Thema "Damplokomotiven im Harz" werden dann jeweils passend zum 20. Jahrestag folgen.
Meine erste Begegnung mit den Harzer Schmalspurbahnen fand allerdings schon gut 10 Monate vorher statt, auf der Rückfahrt von Zittau - Jonsdorf/Oybin nach Bad Iburg, zwischen Weihnachten und Sylvester 1989. Ich hatte im Rahmen der Berichterstattung von dieser Fahrt auch schon mal über die Stippvisite im Harz berichtet, möchte dieses an dieser Stelle aber vorab noch einmal in Erinnerung rufen, nun mit zusätzlichen und größeren Bildern versehen. Außerdem hatte sich herausgestellt, dass die Zuordnung der Aufnahmen im alten Beitrag nicht stimmen konnte. Die hier zu sehende Reihenfolge erscheint plausibler.
Wir erreichten den Harz aus Braunsbreda kommend am 28. Dezember 1989 zu Beginn der Dämmerung. Als wir in Stiege ankamen war bereits die Dunkelheit hereingebrochen. Im dortigen Bahnhof stand neben einem „Harzkamel“ der DR-Baureihe 199 mit ihrem Güterzug auch die DR 99 7231. Nachdem wir mit dem Personal des Harzkamels ins Gespräch gekommen waren, baten uns diese auf ihre Lok. Da es für die Mannschaft auch nicht so schnell weiterging, blieben wir etwa eine Stunde im Führerhaus.
Zwischendurch machte ich mit Stativ und Drahtauslöser das folgende Bild der DR 99 7231:
Nachdem wir der Mannschaft noch einen Eisenbahnkalender „Eisenbahn + Landschaft 1990“ vom Eisenbahn-Journal überreicht hatten (wir hatten für alle Fälle einige Exemplare dabei), machten wir uns auf den Weg, da wir noch keine Übernachtungsmöglichkeit hatten. Um der Situation vom Vorabend zu umgehen, wechselten wir allerdings die Seiten und fuhren über die Grenze nach Münchehof, wo wir einen Gasthof kannten, in dem wir sodann nächtigten. Zuvor hatten wir in Woffleben noch versucht in einer Gaststätte durch Verzehr so viel Geld wie möglich vom (Zwangs-)Umtausch auszugeben, was uns allerdings bei den dortigen Preisen nicht gelang. Natürlich wollten wir an der Grenze keinen Fehler machen. Und obwohl wir in Zorge durchgewinkt wurden, hielten wir an und schilderten dem DDR-Grenzer die Sachlage. Darauf meinte er nur, wir sollten das Geld behalten und uns am nächsten Morgen, bei der erneuten Einreise, auf ihn berufen.
Nachdem wir die Nacht in einem Gasthof auf bundesdeutschen Gebiet in Münchehof übernachtet hatten, machten wir uns am nächsten Morgen, dem 29. Dezember 1989, erneut auf den Weg in den „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“. Etwas mulmig war uns schon, mit dem Alugeld von den Vortagen in der Tasche wieder einzureisen. Vielleicht trafen wir ja auf einen „harten Hund“, der die lockere Handhabung seiner Kollegen in dieser Frage nicht gut hieß. Aber unsere Sorge war unbegründet; wir wurden gleich durchgewunken. Die bestgesichertste Grenze der Welt war vor Jahresfrist nur noch ein Treppenwitz der Geschichte. Ach ja: Und was war mit dem Zwangsumtausch?
Leider war das Wetter wie am Vortag, eine grau-braune, neblige Suppe. Einfach nur grottig. Die folgenden Aufnahmen in Ilfeld entstanden trotz 200 ASA-Film mit einer 60stel Sekunde und länger, bei Blendenwerten um 2,8 bis 4.
Wir hatten ja insgeheim gehofft, den Güterzug mit Dampf hoch nach Stiege zu erwischen, aber in Ilfeld stand schon die DR 199 301 mit einigen Güterwagen im Bahnhof. Diese von LKM 1966 als Baumusterlok für Indonesien unter der Fabriknummer 236001 gebaute dieselhydraulische Lok vom Typ V 30 C kam 1969 als V 30 001 zur DR. 1970 erhielt sie die Bezeichnung 103 901-5, bevor 1973 die Umnummerung zur 199 301-3 erfolgte. 1992 wurde sie dann noch kurzzeitig zur 399 130-4 (war das eigentlich jemals angeschrieben?), bevor sie nach der Privatisierung der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) ab 1993 wieder als 199 301-3 bezeichnet wurde. 1997 erfolgte ihre „z“-Stellung (Quelle: deutsche-kleinloks.de).
DR 199 301 ist soeben mit einem kurzen Güterzug in Ilfeld eingetroffen:
Nachdem sie die beiden E-Wagen in Ilfeld abgestellt und einen G-Wagen übernommen hat, steht sie zur Abfahrt bereit zurück nach Nordhausen. Glücklicherweise ließ die Rückfahrt noch etwas auf sich warten, so dass sich die Lichtverhältnisse noch etwas verbesserten:
Anschließend ging es hinauf nach Stiege, wo schon DR 99 7231 im Nebel mit einem Güterzug auf die Weiterfahrt wartete. Erkennt sich einer der Männer wieder?
Um 11.50 Uhr traf zunächst der P 14414, Nordhausen – Eisfelder Talmühle – Stiege – Hasselfelde, mit der DR 99 7246 in Stiege ein:
Um 12.05 Uhr erreichte dann auch der P 14463, Gernrode – Alexisbad – Stiege, mit der DR 99 7238 den Bahnhof:
Hier sehen wir die korrespondierenden Züge nach der Ankunft im Bf Stiege:
Während die DR 99 7246 den Bf Stiege zur Weiterfahrt nach Hasselfelde verläßt, weilt die DR 99 7238 bis zur Rückfahrt als P 14464 über Alexisbad nach Harzgerode im Bf Stiege. Diese Maschine trägt das Nummernschild im Gegensatz zu den (meisten?) anderen 99.72 über der Griffstange der Rauchkammertür:
Danach begaben wir uns in die Bahnhofsgaststätte in Stiege, um eine Kleinigkeit zu uns zu nehmen. Dabei verpassten wir leider die Fahrt der DR 99 7246 mit ihrem Zug durch die Wendeschleife, worüber ich mich heute noch ärgern kann.
Vor Abfahrt des P 14464 erreichte noch eines der "Harzkamele" den Bf Stiege mit einem Güterzug. Zum damaligen Zeitpunkt waren erst die beiden Baumusterloks 199 863 und 199 871 vorhanden. Diese unterschieden sich von den späteren „Serienmaschinen“ durch die spurkranzlose Mittelachse der Drehgestelle. Da bei einer Entgleisung der ersten Achse die Gefahr bestand, dass sich das Drehgestell querstellt, stattete man bei den folgenden Loks die mittlere Achse mit einem geschwächten Spurkranz aus. Das war notwendig, um ein Zwängen des Drehgestells und damit einen erhöhten Verschleiß in den engen Radien zu vermeiden.
199 871 ist hier mit einem Güterzug in Stiege zu sehen:
Zwischenzeitlich hatte der Nebel wieder etwas zugenommen:
Danach machten wir uns auf den Weg nach Blankenburg, da wir auch eine der 50 Hz-Loks der Baureihe 251 (spätere BR 171) fotografieren wollten.
Zunächst stand aber die DR 112 350 mit dem P 18417 nach Dedeleben abfahrbereit im Bf Blankenburg/Harz:
Am Hausbahnsteig wartet derweil die DR 251 013 mit dem P 16438 nach Königshütte auf den Abfahrauftrag:
Zwischenzeitlich hatten wir beschlossen, zumal laut Wetterbericht keine Besserung in Sicht war, die Tour an diesem Abend, einen Tag eher als geplant, abzubrechen. Nach Abfahrt des P 16438 machten wir uns also auf den Weg in die Heimat. Über Braunlage, Clausthal–Zellerfeld, Bad Gandersheim, durch den Solling (Dassel, Neuhaus) nach Höxter und weiter über Ottbergen, Bad Driburg, Paderborn und Brackwede gelangten wir zurück nach Bad Iburg bzw. Glandorf, wo wir nach etwa fünf Stunden Autofahrt am späten Abend ankamen. Den kleinen Umweg über den Solling nahm ich auch später noch regelmäßig auf meinen Fahrten in den Harz, weil das Autofahren zum einen in der langen Steigung von Dassel nach Silberborn und anschließend in den zahlreichen Kurven von Neuhaus (i. Solling) hinunter nach Boffzen so richtig Spaß machte.
Bei meiner zweiten Tour in den Harz, am 13./14. Oktober 1990, diesmal bei schönsten Herbstwetter, reiste ich allerdings schon nicht mehr in die DDR, sondern blieb im Lande. Nur zehn Tage nach der Wiedervereinigung waren die Schlagzeilen ganz andere. Davon dann morgen mehr.
HALT! Einen hab ich noch...
Ludmilla Köhler, ihres Zeichens Bahnhofsmatrone in Stiege, hat dem Lokpersonal die Zugpapiere übergeben und eilt nun unter den Blicken von Oberlokführer Ronny Kamphenkel mit wehendem Rockschurz zurück in das Bahnhofsgebäude. Trotz doppelter Lage Baumwollschlüpfer Marke Liebestod zieht es sie an diesem saukalten Dezembertag so schnell es geht an den wärmenden Kanonenofen in der Fahrkartenausgabe, um etwaigen Frauenleiden vorzubeugen:
Bis neulich – natürlich im HiFo
Rolf Köstner
Man hat nicht richtig gelebt, wenn man nie in einem ICE gesessen hat, der in Hamm geteilt worden ist.
Ich bin ein Boomer!