Hallo alle miteinander!
Heute möchte ich die frühere Ratzeburger Kleinbahn vorstellen, deren Überreste ich am 23. und 31. Juli 2010 aufgesucht habe. Leider ist bislang nur wenig über diese Bahn veröffentlicht worden, online findet man Infos zur Bahn neben wikipedia u. a. unter [
www.luebeck-buechener-eisenbahn.de]. Die historischen Infos kurz zusammengefasst: 1903 wurde die Strecke vom „Staatsbahnhof“ Ratzeburg hinunter über den westliche Seeenge des Ratzeburger Sees auf die bahnabseits gelegene Altstadtinsel eröffnet. Mit knapp 3 Kilometern Länge war die Strecke jedoch zu kurz, um wirtschaftlich zu befriedigen. 1908 wurde sie daher um rund 15 Kilometer in östliche Richtung verlängert, um das Ratzeburger Hinterland zu erschließen. Eine Verbindung ins Mecklenburgische etwa nach Gadebusch oder Schönberg wurde von Seiten Mecklenburgs nicht gewünscht, und so blieb es bei einer kleinen Stichbahn, die wirtschaftlich nie wirklich befriedigen konnte und außer der Landwirtschaft auch kaum Güterverkehrsaufkommen besaß.
Später kam noch eine kurze Stichbahn zum neu erbauten Schaalseekanal hinzu: Dieser dient hauptsächlich der Stromgewinnung, denn der Wasserspiegel des Schaalsees liegt deutlich über dem des Ratzeburger Sees, und durch den Kanal, der zum Ratzeburger See fließt, kann ein kleines Wasserkraftwerk am Südrand der Stadt Strom erzeugen. Zumindest in den Anfangsjahren ist der kleine Kanal offenbar auch für die Schifffahrt genutzt worden, doch gab es keine Schleusenverbindung zum Ratzeburger See. Daher wurde die Fracht an einem kleinen Kanalhafen in die Kleinbahn umgeladen. Auch Personenzüge sollen hier zeitweilig eingesetzt worden sein.
An Fahrzeugen besaß die Kleinbahn ursprünglich zwei B-Kuppler mit großen Seitenkästen ähnlich der preußischen T1, später kam noch eine T3 dazu sowie kurzzeitig ein weiterer, gebrauchter B-Kuppler. Sechs Personenwagen, zwei Packwagen und rund anderthalb Dutzend Güterwagen nannte die Bahn ihr Eigen, zum Einsatz von Motorfahrzeugen kam es aufgrund der frühen Stilllegung nicht mehr.
Nachdem die Kleinbahn mehr schlecht als recht den ersten Weltkrieg und die Inflationszeit überstanden hatte, kam ihr Ende im Zuge der Weltwirtschaftskrise: 1933 wurde der Personenverkehr eingestellt, 1934 der Güterverkehr. Anschließend wurde die Bahn abgebaut, der Fuhrpark veräußert oder verschrottet und die Gesellschaft aufgelöst. Bereits bei Kriegsbeginn war von der Kleinbahn quasi nichts mehr übrig – bis auf zahlreiche Relikte, die sich bis in die heutige Zeit hinübergerettet haben, und die ich hier vorstellen möchte.
Beginnen wir unsere „Reise“ am Staatsbahnhof Ratzeburg, zeitweilig auch Ratzeburg-Land genannt in Abgrenzung des Stadtbahnhofs der Kleinbahn. Von seiner einstigen Bedeutung ist nicht viel geblieben, wie die triste Ausfahrt der früheren namensgebenden Stammstrecke der Lübeck-Büchener Eisenbahn nach Büchen zeigt:
Der Blick nach Lübeck, rechts das stattliche Empfangsgebäude der alten Lübeck-Büchener Eisenbahn:
Das Bahnhofsgebäude vom heutigen Bahnhofsvorplatz aus gesehen. Das Gleis im Vordergrund gehört zur früheren „Kaiserbahn“ von Hagenow über Hollenbek, Ratzeburg, Bad Oldesloe und Neumünster nach Kiel. Mit dieser Strecke konnte Preußen (und Kaiser Wilhelm II) seinen wichtigen Kriegshafen in Kiel unter Umgehung Hamburgs und der LBE-Strecken per Bahn erreichen. Rechts ging es nach Überquerung der LBE nach Kiel, links nach Hagenow:
Mit dem Bau der Kaiserbahn war der Bahnhof Ratzeburg zum Inselbahnhof geworden. Durch die Grenzziehung nach 1945 wurde die Bahn geteilt, der Streckenrest nach Hollenbek wurde dann noch bis in die 90er Jahre im Güterverkehr bedient. Blick entlang der brachliegenden Gleisanlagen des Güterbahnhofs in Richtung Hollenbek:
Die Strecke nach Hollenbek ist noch vorhanden, nach wie vor gibt es wage Reaktivierungspläne einer durchgehenden Verbindung nach Hagenow im Hinblick auf die steigenden Hafenverkehre. Heute fährt hier nur noch die Draisinenbahn [
www.erlebnisbahn-ratzeburg.de], die mit zurechtgemachten Bauzugwagen auf ihre Besucher wartet:
Blick entlang der früheren Ausfahrt der Kaiserbahn nach Kiel: Rechts, wo heute jenseits der Straße das Gewerbegebiet ist, befanden sich die Übergabegleise der Ratzeburger Kleinbahn, die nach ihrer Ausfahrt nach rechts abdriftete hinunter zum See und zur Stadt Ratzeburg:
…Doch zuerst musste ein kleines Wäldchen in einer scharfen Rechtskurve in östlicher Richtung passiert werden. Der große Einschnitt, der hier erforderlich war, lieferte das Erdmaterial für den Kleinbahndamm durch den See zur Altstadtinsel. Noch heute ist der Einschnitt zu erkennen und als Spazierweg nutzbar (Blick zurück nach Ratzeburg-Staatsbahnhof):
Nach der Kreuzung dieser Straße oberhalb des westlichen Seeufers ging es hinunter zur Altstadt, auch hier ist die Trasse als Spazierweg noch erkennbar:
Auf dem Seedamm (der Ratzeburger See liegt rechts der Aufnahme, der kleinere Küchensee links): Links verläuft die Straße geradeaus hoch zum Staatsbahnhof, von rechts kam die Kleinbahn und schmiegte sich dem Verlauf der Straße im Vordergrund an. Etwa befand sich der Haltepunkt St. Georgsberg:
Der Blick in die andere Richtung, heute liegt hier ein Parkplatz:
Den Bahnreisenden bot sich der bekannte Blick über den See hin zum Ratzeburger Dom:
Ein paar Meter weiter kreuzte die Bahn hier von hinten her auf den Betrachter zukommend die Straße und den Straßendamm in die Altstadt:
...und führte auf einem eigenen Damm auf die Altstadtinsel, heute verläuft hier ein Spazierweg:
Der westliche Durchlass des Sees unter dem Kleinbahndamm: Die Brücke ist erst vor Kurzem erneuert worden und beinhaltet keine “Kleinbahnsubstanz” mehr:
Gleich hinter dem Durchlass lag das Bahnhofsgelände des Ratzeburger Stadtbahnhofs am Südrand der Altstadtinsel. Heute ist dieser Bereich parkähnlich umgestaltet:
Der frühere Gleisbereich des Stadtbahnhofs Ratzeburg, rechts das noch erhaltene Stationsgebäude, links davon befand sich der Lokschuppen. Hier befand sich der Betriebsmittelpunkt der Bahn. Blick zurück zum Staatsbahnhof:
Vom Zug aus konnte man (theoretisch) direkt in Küchensee springen:
Das frühere Stations- und Verwaltungsgebäude beherbergt heute eine Gaststätte und wurde im Laufe der Zeit umgebaut:
Die Rückseite des Gebäudes vom Bahnhofsvorplatz aus gesehen: Noch heute wirkt der Bau repräsentativ und leicht überkandidelt:
Der Blick aufs frühere Gleisfeld in Richtung Klein Thurow, dem Endbahnhof der Kleinbahn: Hier befand sich der frühere Wagenschuppen:
Hinter dem Stadtbahnhof Ratzeburg hatte die Bahn ihren eigenen Damm durch den östlichen Teil des Ratzeburger Sees. Heute ist auch er Spazierweg (Blick nach Klein Thurow):
Blick an gleicher Stelle zurück zum Stadtbahnhof: Gleich hinter der Altstadtinsel befand sich der zweite Seedurchlass:
Der Brückenträger für den Spazierweg wurde auf die alten (und zeitgemäß verunstalteten) Auflager der Kleinbahnbrücke gesetzt:
Blick vom nördlich benachbarten Straßendamm auf den heute stark bewachsenen Kleinbahndamm (Baumreihe gleich hinter dem gegenüberliegenden Ufer):
Das andere Ende des Bahndamms am Ostufer des Sees, Blick zurück nach Ratzeburg:
Gleich hinter dem Damm beginnt ein tiefer Einschnitt in die Hanglage am Ostufer des Sees, mit dem die Bahn sichelförmig um den Stadtteil Dermin herumgeführt wurde. Das hier gewonnene Erdreich konnte dann gleich wieder im See für den Bahndamm versenkt werden. Am Eingang des Einschnittes steht noch diese zierliche Stahlbeton-Fußgängerbrücke ("Katzenbuckel" genannt), unter der einst die Kleinbahnzüge hindurch fuhren, und von der aus man das bekannte Fotomotiv mit den Kleinbahnzügen auf der Dammstrecke und der Ratzeburger Altstadt im Hintergrund aufnehmen konnte.
Heute gibt es die Bahn nicht mehr, das alte Fotomotiv ist viel zu bewachsen, und die Brücke selbst ist zu marode, um sie noch zu betreten:
Der tiefe Einschnitt östlich des Sees bot bereits zu Kleinbahnzeiten stets Schwierigkeiten aufgrund des hohen Grundwasserspiegels infolge der drückenden, höher gelegenen Seen hinter dem Ostufer des Ratzeburger Sees. Dadurch entstand ein mittlerweile stattlicher Bach anstelle der Bahngleise (unten im folgenden Bild). Ein paar Meter hinter der Fußgängerbrücke ist noch ein massiver Straßenviadukt erhalten:
Etwas weiter östlich wurde dann die Schmilauer Straße unterquert. Erst vor wenigen Jahren ist die alte Straßenbrücke durch einen verrohrten Damm ersetzt worden:
Auch bei der Seedorfer Straße war eine Brücke notwenig, die heute nicht mehr existiert. Hier hatte die Bahn schon fast das Plateau des Ostufers erreicht. Der restliche Einschnitt östlich der Seedorfer Straße nach Groß Thurow ist verfüllt, heute stehen hier die Lagerhallen von Gewerbebetrieben und des örtlichen THW:
Blick entlang der heutigen Ortelsburger Straße, die auf der früheren Kleinbahntrasse angelegt wurde: Die Kleinbahn kam von hinten leicht rechts aus dem Einschnitt (der weitere Verlauf am Ende der Straße ist z. T. noch als Spazierweg erkennbar), während von geradeaus kommend die Zweigstrecke vom Schaalseekanal in die Stammstrecke einmündete:
Der Blick in die andere Richtung: Hier heißt die Ortelsburger Straße Stettiner Straße und diente offenbar vielen Ostflüchtlingen nach dem zweiten Weltkrieg als neue Heimat. Vor dem Krieg befand sich hier der Bahnhof von Dermin:
Kurz vor der Kreuzung mit der Schweriner Straße soll sich laut alter Messtischblätter das Empfangsgebäude von Dermin links der Gleise bzw. heutigen Stettiner Straße befunden haben. Infrage käme dieses Gebäude, dessen rechter Teil von seinen Proportionen her den noch erhaltenen Bahnhöfen von Mustin und Klein Thurow entspricht:
Der Blick über die Schweriner Straße gleich hinter dem (mutmaßlichen) Bahnhofsgebäude: Auch hier wird die Bahntrasse heute durch eine Siedlungsstraße markiert:
Den weiteren Verlauf nach Klein Thurow zeige ich im nächsten Teil. Widmen wir uns abschließend noch mal kurz der Stichstrecke zum Schaalseekanal. Kurz hinter dem Verzweigpunkt mit der Stammstrecke driftete die Stichbahn in einer leichten Rechtskurve nach Süden ab. Die hier abgebildete, auf den Betrachter zulaufende Baum- und Buschreihe am Südrand von Ratzeburg-Dermin deutet den früheren Bahnverlauf an:
Der Blick in die andere Richtung: In Bildmitte verläuft die Allee nach Seedorf am Schaalsee nach links, die Bahn folgte ihr mit gewissem Abstand ebenfalls nach links aus dem Bild heraus. Die Trasse ist nicht mehr erkennbar:
Etwa einen Kilometer weiter südlich vollzieht die Straße eine S-Kurve. Etwa hier kreuzte von hinten kommend die Bahn und bog vorne nach links ab:
...und führte etwas rechts vom Betrachter geradeaus aus den Schaalseekanal zu, der sich hinter den Bäumen im Hintergrund befindet:
Am Schaalseekanal: Etwa in dem gleichen Winkel, indem der Kanal hier nach links abknickt, kam von rechts die Stichbahn heran und endete neben der Kaimauer im Vordergrund:
Wie umfangreich die Gleisanlagen am Kanalhafen waren, entzieht sich meiner Kenntnis. Vermutlich am Ende der Kaimauer lag auch das Gleisende:
Eine weitere Kaimauer mit Ansätzen eines Hafenbeckens befindet sich am Knick des Kanals:
Im nächsten Teil geht es um den weiteren Verlauf der Stammstrecke nach Klein Thurow.
Viel Spaß mit den Bildern, bis dann, schöne Grüße,
Dennis.
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