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Ottbergen bei Nacht (m7B)- Vorsicht viel Text

geschrieben von: Pängelanton

Datum: 22.12.09 23:02

In der dunklen Jahreszeit haben die Dampflokomotiven ihre ganz besondere Atmosphäre und ihren ganz besonderen Reiz. Aber wie setzt man das um bei Belichtungswerten jenseits der Anzeige des manuellen Ombrux Belichtungsmessers mit Bakkalit Gehäuse?

Zum Geburtstag hatte ich einen Kalender des berühmten Eisenbahnfotografen O.Winston Link bekommen, auf denen aufwendig inszenierte Nachtaufnahmen fahrender Züge in den USA zu sehen waren. Ich war total begeistert und so versuchte ich mit meinen vorhandenen bescheidenen Mitteln dem nächtlichen Treiben in Ottbergen nachzuspüren. Im Gegensatz zu O.Winston Link war meine Ausrüstung natürlich mehr als bescheiden, sie beschränkte sich auf die Agfa Silette und den dazugehörigen Birnenblitz mit Reflektor.

http://www.abload.de/img/imgp89073c9s.jpg

Diese Ausrüstung hat sich damals mein Vater anlässlich meiner Geburt zugelegt und sie funktioniert immer noch. Den Birnenblitz nutze ich zwar nicht mehr, aber die Kamera nutze ich manchmal noch bei Dampflokeinsätzen zusammen mit einem Fahrrad der frühen 50er. Das gibt einem dann so richtig das Feeling der Zeitreise. Falls berre mich mal auf eine seiner Reisen in die 50er mitnimmt, kann ich auf diese unauffällige Ausrüstung zurückgreifen.

Zurück ins Jahr 1975-
mit einem 27 DIN Film in dieser Ausrüstung machte ich mich an einem neblig trüben Novembertag gen Ottbergen auf. Also folgt mir 34 Jahre zurück und genießt diese unwiederbringlichen Bilder und die Atmosphäre des nächtlichen 44er Einsatzes und ergänzt die Körnigkeit und Unschärfe der Fotos mit Eurer Phantasie.

An der nördlichen Tunnelausfahrt des Reelsener Tunnels lege ich mich auf die Lauer. Mit eingesetzter Blitzbirne und gespanntem Verschluss warte ich auf den Dg 53842 um ihm einen Blitz auf die Rauchkammertür zu verpassen. Feuchte Kälte zieht von unten die Hosenbeine hoch. Abwechselnd werden die klammen Finger in der Hosentasche aufgewärmt. Von Bad Driburg her hört man jetzt gegen 5 Uhr nachmittags schon das erlösende schwere Stampfen, den singenden ¾ Takt der bergwärts kämpfenden 44 er vor dem Dg 53842. Der Zug fährt nun mit 15-20 Stundenkilometer so dass jeder Auspuffschlag deutlich zu hören ist. Die Stille und die Dämmerung scheinen die Geräusche zu verstärken. Kraftvoll und klar kommen die Geräusche von jenseits des Berges. Jetzt verändert sich der Ton merklich, wird leiser. Der Zug hat den Einschnitt vor dem Tunnel erreicht. Ein Achtungspfiff, die Auspuffschläge hören sich abermals anders an. Der Zug fährt jetzt im Tunnel. Hohl und dumpf dringen die Auspuffschläge durch den Tunnel zu mir. Wie die Katze vor dem Loch hocke ich vor dem Tunnelportal. Die Minuten ziehen sich, obwohl der Tunnel ja nur kurz ist. Dann ist sie da!
Füllt den ganzen Tunnel aus mit ihrer Präsenz.

http://www.abload.de/img/1975-09-16-009cfez.jpg

Ich mache einen Schritt zur Seite in die Bahnböschung. Die 44er bricht aus dem Tunnel hervor. Wie befreit schießt der Dampf nach oben. Der Heizer hat die Feuertüre wieder aufgerissen und wirft auf. Orangerot ist das Führerhaus von der Glut des Feuers erleuchtet. Ohne ein Klappern und Schlagen zieht der Jumbo vorbei. Die Maschine ist in hervorragendem Zustand. 044 193 lese ich auf dem von Dampfschwaden umspielten Schild unter dem Führerhausfenster. Eine riesige Tenderwand zieht vorbei entschwindet im letzten Licht der nebligen Dämmerung. Das Rollen der Wagen wird stärker und überdröhnt fast den Klang der Maschine. Wagen um Wagen rollt vorbei. Der letzte Wagen, ein Flachwagen mit Rungen, das Ladegut mit einer Plane abgedeckt, trägt hinten die damals noch obligatorische Petroleumlaterne. Das Rot der Laterne verschwimmt etwas in der nebligen Dämmerung. Eine Flachstelle der letzten Achse am Flachwagen schlägt den Takt zur jetzt wieder stärker wahrnehmbaren Musik aus dem Schlot von 044 193. Der Zug ist längst nicht mehr sichtbar. Noch Minutenlang erklingt dieses Konzert in der trüben Novemberlandschaft, liegt der Geruch von heißem Dampf und Kohle in der Luft.

Es gab ja damals noch kein Handy und keinen Zugfunk, und wegen der von der Tunneldecke zurückgeworfenen Dampfwolke dürfte das Personal auch kaum etwas gemerkt haben. Heute würde man bei derartigem Unterfangen wahrscheinlich wegen der Anschlaggefahr gleich von DB Sicherheit kassiert werden und gleich der gesamte Bahnverkehr zwischen Ottbergen und Altenbeken eingestellt werden wegen Personen am Gleis.


Weiter geht die Reise nach Ottbergen. Die Verwaltung im Bahnbetriebswerk ist längst geschlossen als ich mich auf der Lokleitung melde und mein Anliegen vortrage, Blitzlichtbilder zu machen. Man hat nichts dagegen, ermahnt mich vorsichtig zu sein und mich wieder in der Lokleitung abzumelden wenn ich fertig bin. Die obligatorischen 1,39 DM kann man leider nicht erheben da die Kasse bei der Verwaltung schon geschlossen hat. Heute erscheint so ein Vorgehen unvorstellbar. Da lässt man einen Fuzzi mitten in der Nacht im Gleisfeld des Güterbahnhofs zwischen den rangierenden Dampfern rumturnen und auch noch blitzen. Wenn ich da die Diskussionen im Sichtungforum bezüglich Blitzen vom Bahnsteig verfolge- Man muss allerdings hinzufügen dass man die Züge und Fahrzeuge früher deutlicher hörte und das überall Eisenbahner waren, bei denen man sich relativ gefahrlos aufhalten konnte.

Lag das Bw Ottbergen am Nachmittag meist im Dämmerschlaf, so war zwischen 18 Uhr und Mitternacht damals richtig was los. Aus allen Richtungen kamen Züge, wurden Loks behandelt, es wurde umrangiert und wieder abgefahren.
44 193 war Lz aus Altenbeken zurückgekehrt und setzte sich nun Tender voraus als Leervorspann vor den Zug 64449 nach Braunschweig.

http://www.abload.de/img/1975-09-16-010ghlu.jpg

Hier verlässt das Gespann mit dem 64449 gegen 19.00 Uhr Ottbergen in Richtung Kreiensen.

Die 044 193 wird bis Holzminden mitfahren und dann von dort mit dem Ng64418 wieder zurück nach Ottbergen fahren. Darum fährt sie auch Tender voraus nach Holzminden.

http://www.abload.de/img/1975-09-16-014tfrw.jpg

Gegen 21.00 Uhr ist sie wieder zurück in Ottbergen und steht neben 044 326, die den Nahgüterzug 64448 aus Braunschweig hergebracht hat.

http://www.abload.de/img/1975-09-16-0179emm.jpg

044 326 koppelt ab und fährt ins Bw zum Auffrischen der Vorräte, sie wird um um 22.30 Uhr den Ng 63240 nach Altenbeken bringen.

http://www.abload.de/img/1975-09-16-0138de6.jpg

Auch 044 193 hat abgekoppelt und wartet auf die Rangierfahrt ins Bw. Sie hat für Heute Feierabend.


044 326 wurde ebenfalls wieder aufgerüstet und fährt an den Zug 63240. Der Heizer steigt ab und kriecht hinter den Tender. Er wirft die schwere Kupplung auf den Haken und schließt die Bremsschläuche an. Der Zug wird aufgepumpt. Heftig tönt das tam-tahh der Luftpumpe durch die ruhige Nacht. Nach und nach werden die Takte langsamer um schließlich in einem langgezogenen tammmmm-taaahhhhh zu enden. Druck wird aufgebaut. Der Heizer schaufelt und hat den Bläser angestellt. Schwarzen Qualm und einige glühende Kohlestückchen stößt die Lok aus dem Schornstein. Der Injektor wird angeworfen und nach kurzem Schlabbern ließ sich das typische Rauschen des in den Kessel gedrückten Wassers hören. So wird das Abblasen unterdrückt. Die Bremsprobe wurde durchgeführt und Spannung breitet sich aus. Der Lokführer öffnet die Zylinderventile und wärmt die Zylinder vor.

http://www.abload.de/img/1975-09-16-018sg0x.jpg

Die ganze Lok ist in weißen Dampf gehüllt. – Waschküche- der Regler wird wieder zurückgenommen und die Sicht wird wieder klarer. Jetzt wird das Signal für den Ng 63240 auf Fahrt gezogen. Der Lokführer öffnet wieder die Zylinderhähne und die Steuerung wird ausgelegt. Wieder verschwindet die Lok in einer Dampfwolke. In das Zischen der Zylinderhähne mischen sich die ersten Auspuffschläge. Langsam bewegt sich die ganze Dampfwolke Richtung Altenbeken und nimmt Fahrt auf. Das Rollen der Wagen mischt sich in den immer schneller werdenden Auspufftakt und das noch immer vernehmbare Zischen der Zylinderhähne. Erst als in Höhe des Bahnübergangs die Hähne geschlossen werden und die letzten Wagen vorbeirollen wird der Drillingstakt deutlicher. Immer schneller nimmt der Zug Fahrt auf und der Auspufftakt wird kürzer und mit dem für die 44er so typischen melodisch singenden Drillingstakt entschwindet der Zug in die Dunkelheit.

Man glaubt es kaum, eben als ich diese Zeilen schreibe und den Beitrag vorbereite höre ich den Auspuffschlag einer Dampflok. Ich stutze kurz, jetzt am Montagnachmittag- Es könnte die 52 8038 der DEW sein, die nach Stadthagen überführt wird oder sollte ich doch vielleicht in ein Zeitloch gestürzt sein?

Ich wünsche allen Nutzern des Forums Historische Bahn ein Frohes Weihnachtsfest

Euer Pängelanton



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5-mal bearbeitet. Zuletzt am 2010:02:22:16:27:29.

O. Winston Link

geschrieben von: Walsum5

Datum: 22.12.09 23:07

Das sind ausgesprochen stimmungsvolle Aufnahmen. Vielen Dank!

Beste Grüße

Stefan

Re: Ottbergen bei Nacht (m8B)- Vorsicht viel Text

geschrieben von: steamjoe

Datum: 22.12.09 23:09

Phantastische Bilder! Ein wunderbares Betthupferl! Vielen Dank dafür und ebenfalls frohe Weihnachten!

Schön zu lesen! Tolle Bilder! (o.w.T)

geschrieben von: CFE

Datum: 22.12.09 23:17

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)

Re: Schön zu lesen! Tolle Bilder!

geschrieben von: Stefan K.

Datum: 23.12.09 08:22

Tolles Erlebniss!

Und vor allem durch den Text soo bildlich dar gestellt, dass ich förmlich das Öl-Dampf-Kohle-Gemisch riechen kann! Großes Kino für den Kopf!

Danke!!!

Gruß, Stefan

Ottbergen bei Nacht ... toll geschildert

geschrieben von: sc

Datum: 23.12.09 08:37

Hallo Pängelanton,

herzlichen Dank für diese schönen Eindrücke in Wort und Bild ... und schon schwelge ich wieder in Erinnerungen.

Viele Grüße aus HH
Stefan

Hier geht es zu meiner Homepage https://www.stefancarstens.de/wp-content/uploads/2021/08/052180_Ng16825_Banner.jpg

Re: Ottbergen bei Nacht ... toll geschildert

geschrieben von: ehemaliger Nutzer

Datum: 23.12.09 20:11

Hallo,
einfach traumhaft und als ob es gestern wäre.. Da fehlen mir die Worte!
Was würde ich alles geben um so was noch mal erleben zu dürfen, auch wenn ich leider damals nicht dabei sein konnte.
Mein Traum ist ja immer noch ein Fotogüterzug mit einer 044 von Altenbeken nach Northeim, glaube aber kaum, das sich so was noch umsetzen lässt wegen dem tollen ESTW..

Nachdenkliche Grüße vom Waldkappler

Re: Ottbergen bei Nacht (m8B)- Vorsicht viel Text

geschrieben von: 38 1001

Datum: 25.12.09 13:03

Hallo!

Das sind wirklich sehr stimmungsvolle Aufnahmen aus Ottbergen,vielen Dank für`s Zeigen!
Diesen lebhaften Betrieb dort,besonders auch spät abends bzw. nachts,kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.Zwar konnte ich die Zeit der 44er in Ottbergen noch gar nicht bewußt erleben,jedoch faszinieren mich Bildberichte aus der Zeit von dort immer besonders.
Als wir vor gut 14 Tagen mit dem von V320 001 gezogenen Sonderzug nach Erfurt durch Ottbergen fuhren,konnte man mal wieder sehen,wie trostlos es dort (und eigentlich auf der ganzen Streche ab Altenbeken)heute aussieht.Nur der noch stehende Ringlokschuppen,natürlich ohne Drehscheibe,erinnert an den einst so regen Betrieb.

Viele Grüße
Klaus