Hinweis und kleine Bitte vorab:
Meine Erzählung lehnt sich an reale Ereignisse und Erlebnisse an, ist aber zum Schutz der handelnden Personen verfremdet. Orte, Namen und alle Details, die Rückschlüsse auf die Personen zulassen könnten, sind hier nicht dargelegt.
Möglicherweise wird die beschriebene Situation jedoch trotzdem wieder erkannt.
Für diesen Fall möchte ich die Foren-Teilnehmer höflichst bitten, auch hier den Persönlichkeits-Schutz zu wahren und sich in einer nachfolgenden Diskussion nicht öffentlich zu Namen, Orten und Real-Personen zu äußern. Ggf. kann man per Privat-Nachricht Fragen klären, die nicht in die Öffentlichkeit passen. – Danke!
Erinnerungs-Splitter aus DDR-Reise-Erlebnissen
Teil 3: Die Familie vom Bahnwärterhaus | |
Geschichte und Geschichten liegen manchmal sehr eng beieinander.
Nicht alle Episoden aus der DDR waren wirklich lustig. Eine eher bedrückende Erinnerung spielt in einer kleineren Stadt, wo in den 80er Jahren (nach der Biermann-Ausbürgerung) auch Opposition gegenüber der offiziellen Richtung zu spüren war.
Eigentlich könnte diese Geschichte traumhaft starten:
Junge Familie mit kleinen Kindern, engagierte Menschen mit wachem Blick, ein kleines Haus voller Bücher, traumhaft von der Hauptstraße abgelegen...
Unwillkürlich entstehen Bilder im Kopf, von Idylle und Sorgenfreiheit.
Genau diese Bilder trage ich bis heute in mir, sehr wohl wissend...
Zunächst hatten wir ihn kennengelernt. Er war Eisenbahner und wir sind uns hin und wieder über den Weg gelaufen. Hatte er Dienst, dann waren unter vorgehaltener Hand schon mal Fahrplan-Infos möglich oder es gab an der Strecke eine "vernünftige" Foto-Wolke...
Ich mochte seine zupackende und unkomplizierte Art. So kam es dann, dass wir ihn auch mal zu Hause besuchten und seine junge Frau und die Kinder kennenlernten.
Sehr positive Überraschung, da waren weit mehr Anknüpfungspunkte, Interessen und Gesprächs-Themen, als nur Eisenbahn. Die Beiden erzählten von studentischen Gruppen, kirchlichen Treffen, friedensbewegten Ideen und manchem mehr. Vermutlich war die Spannung auf beiden Seiten, denn diese Abende wurden nie langweilig. Sie gingen meist bis tief in die Nacht.
Aus allen Erzählungen sprach Zuversicht, Lebensmut und eine Kraft, die beflügeln konnte. Mich hatte mit Hoffnung erfüllt, dass vielleicht eine zukünftige Generation für eine "andere" DDR eintreten könnte.
Einige Monate später dann ein neuer Besuch.
Doch die Stimmung war gedrückt. Statt der erwarteten Fröhlichkeit wurden wir tuschelnd ins Haus gezogen. "Habt Ihr den Lada dort gesehen?" Ja, was bedeutet das? "Na, die stehen schon seit Tagen hier, gestern war's ein roter, heute ist er gelb..."
Sorgen über unsere Sicherheit brauchen wir uns jedenfalls nicht zu machen?! – Mein Scherz war wohl etwas verunglückt. Ich hatte jedoch tiefer ins Schwarze getroffen, als ich zu dieser Zeit ahnen konnte.
"Aber holt Eure Sachen besser rein!" Also gut, den Foto-Krempel und die Filme, der Rest ist unwichtig.
Endlich war nun Zeit zum Erzählen:
Im Rahmen der Studenten-Treffen waren die Beiden also bei der Stasi aufgefallen. Beide waren eigentlich von einem Temperament, das eine Einmischung in die Lebensplanung von Seiten der Obrigkeit eher nicht zulassen würde.
"Aber über Monate unter Beobachtung stehen?"
Ich konnte mir auch ohne alle Details ausmalen, welchem Druck die Beiden wohl ausgesetzt waren. Alle diese Hoffnungen, dieses Lebensgefühl, diese Zuversicht war wie weggeblasen.
"Und die Kinder! – Unter solchen Bedingungen kann man doch keine Kinder großziehen."
Ein Argument, dem nichts entgegenzusetzen war.
Dürfte ich mich als Gast aus'm Westen überhaupt einmischen? Ich war eher ratlos.
Bevor ich noch herumdrucksen konnte kam dann der entscheidende Satz:
"Wir haben den Ausreise-Antrag gestellt."
Der Erste war schon abgelehnt worden. Das wäre aber immer so. Nun wolle man sich bei den Behörden durchsetzen. "Mit den Schwierigkeiten, die daraufhin entstehen werden, haben wir uns schon abgefunden."
Da klang viel Trotz und zugleich Resignation durch.
Der Begriff "Schwierigkeiten" war ziemlich untertrieben.
Sie hatte ihre Ausbildung abbrechen müssen. Nun fehlen nicht nur ein paar Mark in der Haushaltskasse, vor allem das Lebensziel, die Perspektive schwand.
Aus Angst, dass die Kinder beeinflusst oder gar klammheimlich entzogen werden könnten, wollte sie nun zu Hause bleiben und die Kinder alleine, ohne Kindergarten betreuen.
Er war bei der Reichsbahn zwar relativ sicher, aber auf wundersame Weise waren seine Dienste mehr und mehr mit Heizer-Schichten durchsetzt.
Kurz, die Probleme waren massiv. Die Stasi hatte auch ohne konkreten Verdacht subtile Möglichkeiten, den Leuten das Leben schwer zu machen. Die Tatsachen waren mir im Prinzip vertraut, aber so hautnah damit konfrontiert zu sein, war doch eine andere Qualität.
Vor dem Schlafengehen haben wir noch mal vorsichtig nach unseren persönlichen Aufpassern gesehen. Die saßen gegen Mitternacht immer noch in ihrem Lada. – Was war das nur für ein @#$%&-Job...
Unser Abschied am nächsten Morgen war bedrückt. Die Stimmung ließ sich mit ein paar zusätzlichen Umarmungen besser ausdrücken, als mit Worten.
Ein letzter Wink, dann Abfahrt.
Unsere Beobachter waren inzwischen weg.
Ich ahnte schon, dass ich das idyllische Bahnwärterhäuschen nicht mehr wieder sehen würde.
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Zeitsprung
Einige Zeit nach der Wende meldete sich unerwartet jemand. Der Mann vom Bahnwärterhaus.
Wir haben uns getroffen und eine kurze Weile geredet, aber nichts wirklich Persönliches gesagt. Es wollten nur Floskeln gelingen.
"Geht so" Und den Kindern? "Auch..."
Seltsam, wie sich doch die Zeiten ändern können!
Wie so viele Umsiedler in den Wende-Wirren war auch diese kleine Familie entwurzelt worden. Im Westen angekommen, aber fremd und nicht wirklich zu Hause.
Die DDR-Geschichte ist eben nicht durch glänzenden Chrome, Hochglanz-Prospekte oder das anonyme Reihenhäuschen zu kitten.
Da war weit mehr an Identität, als man für Westgeld kaufen kann...
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Dieser Beitrag ist bereits vor einiger Zeit in ähnlicher Form hier [w311.info] veröffentlich worden.
Zur Bedeutung des im Artikel abgebildeten Symbol der Link:
[
de.wikipedia.org]
Sorry:
Von mir kommen keine Beiträge und Bilder für die DSO-Foren, bis die Umleitungen rückstandsfrei weg sind!
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2009:12:28:19:47:09.