Den grässlichsten Tag im Waldviertel erlebte ich Ende Juli 1983. Das eintönige Geräusch von draussen machte mir schon vor dem Frühstück klar, dass es regnete, was das Zeug hielt. Ich liess mir im Hotel in Gmünd reichlich Zeit, las die herumliegenden Zeitungen und überlegte mir ein gewinnbringendes Tagesprogramm. Einfach nichts tun und warten, bis der Regen aufhörte, kam sicher nicht in Frage. Also rekognoszierte ich die mir damals noch nicht gut bekannte Strecke nach Gross Gerungs. Jenseits des "Berges", in Langschlag, rangierte 399.05 mit ihrem Güterzug. Ohne grosse Begeisterung legte ich einen grobkörnigen Fuji400-Film ein und dokumentierte den Bahnhofsverschub. Immerhin zwei zusätzliche aufgeschemelte Normalspurwagen wurden angekuppelt:
Nun reizte es mich, trotz des schlechten Wetters ein paar Streckenbilder zu machen. Kurz vor Obermühl hatte die Fuhre auf den regennassen Schienen erst Schrittempo erreicht.
Bei diesem Tempo war die Zugsverfolgung kein Problem. Den nächsten Standort erreichte ich zu Fuss, im Laufschritt. Ich genoss das akustische Spektakel der voll arbeitenden und immer wieder durchdrehenden Stütztender-Dampflok, schützte die Kamera vor dem Nieselregen, zückte sie im (hoffentlich) rechten Moment aus der Jacke und drückte rasch ab: 1/125 bei Blende 2.8, und das mit 400 ASA!
Nun fuhr ich lediglich ein paar hundert Meter weiter, bog auf den nächsten Feldweg ein und überquerte die Strecke. Lange Zeit waren nur eindrückliche Geräusche zu hören, hinter dem Hang wuchs eine Rauchsäule in die Höhe, und dann kam der Zug endlich, Meter für Meter sich bergauf kämpfend:
Fast unbemerkt hatte in der Zwischenzeit die gelbe Bahnmeister-Draisine den Güterzug eingeholt, der Bahnmeister selber hatte den Zug zu Fuss überholt und unterhielt sich nun mit dem Dampflokführer ausführlich über die Lage. Zu diesem Zeitpunkt bewegte sich der Güterzug immer noch vorwärts, wenn auch nur wenige Meter pro Minute.
Der gelbe Ölzeug-Mann wollte sich einfach nicht mehr entfernen, das störte mein ästhetisches Empfinden. Ich entschloss mich deshalb, ein Stück weiter zu fahren und einen anderen Fotopunkt aufzusuchen, den Bahnübergang zwischen Abschlag und Grosspertholz, unverkennbar nach dem Strecken-Scheitelpunkt gelegen.
399.05 mit Güterzug von Gross Gerungs nach Gmünd im Maisfeld.
Der Schlechtwetter-Alltag der Stütztenderloks im Waldviertel konnte akustisch und optisch unvergessliche Eindrücke erzeugen. Dank Photoshop können die unsäglichen Fuji400-Negativfilm-Originale heute einigermassen geniessbar aufbereitet werden.
Gruss Werner
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