Hallo Leute,
heute mal wieder ein paar Zeilen und Bilder von mir. Bekanntlich wurde die zuletzt im Bw Weiden beheimatete Lok 1974/75 nach Großbritannien verkauft, wo sie sich noch immer befindet.
Die 64 305 war ja schon einige Male Thema in diesem Forum. Nachdem mir inzwischen die Dias aus dem Archiv eines der am Kauf beteiligten Eisenbahnfreunde zur Verfügung stehen, habe ich mir gedacht, dass ich Euch mal das Kapitel der Überführung nach England mit einigen Bildern vorstelle.
Mir ist die 064 305 in ihrem ersten Leben leider nur zweimal begegnet. Das erste Mal war es im Oktober 1972, als ich sie aus einem Schnellzug nach München bei der Durchfahrt durch den Aschaffenburger Hbf sah, sie stand mit einem Nahverkehrszug nach Miltenberg abfahrbereit einige Bahnsteige weiter.
Die zweite Begegnung fand am 16.04.1974 im Bw Weiden statt. Leider war die Lok zu diesem Zeitpunkt schon abgestellt. Die Planeinsätze der Weidener 64er waren bereits beendet, und nur noch die 064 415 war mit Ruhefeuer als Bereitschaftslok im Schuppen abgestellt.
Seit 1973 bin ich Mitglied der englischen Museumsbahn Severn Valley Railway. Drei Jahre zuvor hatte ein Verein zwischen Bridgnorth und Hampton Loade das erste Teilstück der südwestlich von Birmingham gelegenen Museumsbahn wiedereröffnet. Zu dem damaligen Zeitpunkt arbeiteten die Mitglieder gerade an der Wiedereröffnung des zweiten Abschnitts von Hampton Loade nach Bewdley sowie an der Wiederinbetriebnahme mehrerer vom Schrottplatz Barry erworbener Dampfloks. Deshalb fand ich es schon überraschend, dass in der Mitgliederzeitschrift „Severn Valley Railway News“ Nr. 30 vom Winter 1973/74 folgender Artikel eingestellt war:
Wie zu lesen beabsichtigte eine Gruppe von SVR-Mitgliedern, eine DB-64er zu erwerben und zur Severn Valley Railway zu überführen. Auf eine Anfrage wurde der Gruppe die Crailsheimer 064 289 angeboten, wie die Geschichte gezeigt hat, ging diese Lok dann aber an die Eisenbahnfreunde Zollernbahn Die SVR erhielt stattdessen für 15.000 DM den Zuschlag für die 064 305.
Interessant ist, dass die beiden in dem Artikel abgebildeten Loks 064 006 und 064 355 ebenfalls erhalten geblieben sind.
Nachdem der Kaufpreis überwiesen war, stand die Lok dann im Mai 1974 im Eigentum der Engländer, die allerdings noch die den Kaufpreis bei weitem übersteigenden Transportkosten aufbringen mussten. Im Kaufpreis eingeschlossen war die kostenlose Überführung der Lok bis zur deutschen Grenze.
Deshalb hängte man die 064 305 im September 1974 an eine Weidener 44er, die das AW Braunschweig aufsuchen musste und brachte sie zunächst einmal nach Niedersachsen. Dort war eine Stolberger 50er fertig für die Rücküberführung in ihr Heimat-Bw und nahm unsere 064 305 mit nach Stolberg, wo sie am 20.09.1974 eintraf. Im Bw Stolberg war man der Meinung, die Lok in dem Zustand nicht abgeben zu können und erneuerte mehrere Lager und ersetzte verschlissene Teile. Auch eine farbliche Überarbeitung wurde der Lok spendiert, so dass die Lok zu Präsentationszwecken mehrmals aus dem Schuppen geholt werden konnte.
So auch im Februar 1975, als einige Mitglieder der SVR die Lok besichtigten. Es muss wohl an dem Tag sehr kalt gewesen sein, denn der Verschluss von Rogers Yashica war eingefroren, was in dunklen Ecken auf den Dias resultierte.
Hier präsentiert sich die Lok neben der Stolberger 051 791 vor dem Lokschuppen.
Im Frühjahr 1975 war dann das Geld für die Überführung aufgebracht und am 26.06.1975 konnte die Reise der 064 305 beginnen.
Ein letztes Mal wurde die Lok auf einer Drehscheibe in ihrem Heimatland gedreht, um 07.33 Uhr begann dann ihre letzte Fernreise.
Vor der Abfahrt aus Stolberg entstand noch dieses Bild.
Standesgemäß im Schlepp einer dampfenden Schwester in Form der 052 928 ging es auf die erste Etappe zum belgischen Grenzbahnhof Raeren. Die Aufnahme vom Führerstand des Bubikopfes entstand noch im Stadtgebiet von Stolberg.
Hier sind beide Loks in Raeren angekommen. Die 052 928 hat bereits umgesetzt und bereitet sich auf die Rückfahrt in ihren Heimatbahnhof vor.
In Raeren war zunächst einmal eine Pause bis zum nächsten Morgen, da der Lok von der SNCB zunächst noch die Lauffähigkeit zu bescheinigen war.
Deshalb konnte dieses Foto im besten Abendlicht aufgenommen werden. Damit alle Passanten erfahren, wohin die Reise geht, hat man den Wasserkasten beschriftet.
Am 27.06.1975 erschien dann die „Lili“ getaufte SNCB-Diesellok mit der Nummer 8411 und setzte die Überführungsfahrt der 64er fort. In Mechelen entstand dieses Bild beim Überholungs- und Abschmieraufenthalt. Lili war die Zuglok bis Hasselt, wo ein Lokwechsel stattfand.
Von Hasselt bis Zeebrugge wurde 064 305 von der 5160 bewegt. Dieses Bild entstand in Tongern. Um 22.10 Uhr wurde dann der Hafen von Zeebrugge erreicht, wo die 64er das Wochenende verbringen sollte.
Am folgenden Montagmorgen wurde die Lok schließlich auf eine Eisenbahnfähre geschoben und für die wohl erste Seereise ihres Lebens festgezurrt. Um 16.30 Uhr desselben Tages lief die „Essex Ferry“ dann in Harwich ein. Unsere 64er ist schwach hinter dem Tankauflieger zu erkennen.
Eine Rangierlok der Class 08 mit mehreren brakevans als Schutzwagen zog dann die Lok von Bord in ein Abstellgleis, wo sie sich im Abendlicht präsentierte. Es ist überliefert, dass die Lok dort bis zum Weitertransport für einiges Aufsehen sorgte.
Aus verschiedenen Gründen konnte die letzte Etappe auf dem Weg zu ihrem neuen Heimatbahnhof erst 14 Tage später, am 14.07.1975 angetreten werden. Die auf Schwertransporte spezialisiert Firma Wynns erschien am frühen Morgen und zog die Lok mit einer Seilwinde auf einen Tieflader.
Hier ist die Lok schon verladen.
Die Rampe wird entfernt und Lok verzurrt, dann kann es losgehen. Abfahrt von Harwich war schließlich am 15.07.1975, der Transport war für eine Geschwindigkeit von 25 mph (= 40 km/h) zugelassen. Wegen der Dimensionen der Lok musste über eine zuvor ausgearbeitete Route gefahren werden, die über Colchester und Bishops Stortford zunächst nach Bedford führte. Dort wurde übernachtet.
Am 16.07.1975 ging es dann weiter über Northampton, Atherstone und Cannock, wo nochmals übernachtet wurde.
Am Vormittag des 17.07.1975 erreichte der Transport schließlich Bridgnorth, wo die Lok nach einer guten Stunde zum ersten Mal die Schienen der Musemsbahn unter den Rädern hatte.
Sogleich gesellte sich eine britische Schwester in Form der 46443 hinzu um den Neuankömmling zu begrüßen.
Wer dem Bericht bis jetzt gefolgt ist, wird sicher auf die Frage stoßen, was die britischen Museumseisenbahner denn mit der deutschen Lok vorhatten, ist doch das dortige Lichtraumprofil bekanntlich merklich kleiner als das kontinentale. Natürlich haben die Leute von der SVR vor dem Kauf die Maße der Lok studiert und mit dem Lichtraumprofil der Museumsbahn verglichen. Dabei kam heraus, dass an der Lok einige Modifikationen notwendig werden würden. So wurden in den folgenden Monaten die Luftbehälter an die Rückseite des Kohlekastens verlegt, die Rangiertritte entfernt und die Aufstiegsleitern zum Führerstand um unteren Bereich nach innen gekrümmt. Damit sollte die Lok eigentlich die Strecke befahren können, und nach ersten problemlosen Fahrten im Bahnhof Bridgnorth ging es auf die Strecke. Dabei mussten die Museumsbahner feststellen, dass die Lok mit den vorgenommenen Modifikationen zwar sehr wohl auf die Strecke passte. Auch alle Bahnhöfe konnten befahren werden – mit Ausnahme des Bahnhofs Highley. Wie so oft stimmten hier die Zeichnungen nicht mit der Realität überein, beim Befahren des einzigen Bahnsteiggleises betrug der Abstand zwischen Zylinder und Bahnsteig nur 2 cm, zu wenig für einen sicheren Betrieb. Die Enttäuschung war groß, aber eine Verlegung des Gleises oder der Bahnsteigkante war nicht möglich. In der Folgezeit wurde die 064 305 dann nur noch zu Demonstrationsfahrten im Bereich des Bahnhofs Bridgnorth oder für einen Shuttlezug nach Hampton Loade eingesetzt.
Das war nicht der Sinn von Kauf und Überführung gewesen.
In der Nähe von Peterborough gibt es die Museumsbahn „Nene Valley Railway“, die eine abgebaute, ehemals zweigleisige Strecke eingleisig wieder aufgebaut hat. Der Wiederaufbau geschah nach kontinentalem Lichtraumprofil, so dass auf dieser Bahn überwiegend Loks ausländischer Bahnverwaltungen zum Einsatz kommen. Bekannt geworden ist diese Bahn durch die Eisenbahnszenen in dem James-Bond-Film „Octopussy“. An diese Bahn konnte die 064 305 schließlich 1978 verkauft werden. In der Werkstatt von Wansford wurden zunächst die von der SVR vorgenommenen Anpassungen an das Lichtraumprofil rückgängig gemacht.
So konnte die Lok zur Saison 1979 im Museumsdienst auf der Strecke nach Orton Mere eingesetzt werden, wo ich sie am 19.07.1979 beim Umsetzen aufgenommen habe.
Mit einer Garnituer aus dänischen (oder waren es norwegische?) Teakholzwagen verlässt die Lok hier den Bahnhof Orten Mere am Stadtrand von Peterborough zur Rückfahrt nach Wansford.
Leider war der Lok bei der NVR kein langer Einsatz beschieden. Kurz vor Fristablauf hatte die Lok einen Schaden am Überhitzer und fuhr während der letzten Monate als Nassdampflok. Im April 1980 stand sie im Lokschuppen und man sah, dass an ihr gearbeitet wurde.
Leider geriet die Bahn in dieser Zeit in gewisse Schwierigkeiten, so dass die Arbeiten an der 64er unterbrochen wurden. 1986 sah ich sie zum letzten Mal auf einem Abstellgleis neben dem Lokschuppen von Wansford. Viele Teile fehlten und wurden offenbar in andere Loks verbaut. So ist die Luftpumpe der 064 305 jetzt zwischen den Rahmenwangen des Tenders der „Flying Scotsman“ eingebaut, nachdem diese Lok Anfang dieses Jahrtausends eine Druckluftbremsanlage benötigte. Der Injektor fand einen Platz auf einer dänischen Tenderlok, die im Octopuusy-Film die Nummer "62 015" trug.
Wie ich Ende letzten Jahres erfuhr, will sich die Nene Valley Railway von der 064 305 trennen. Die VSM in Apeldoorn war wohl interessiert, wurde aber von einem Kauf wegen des angesichts der Transportkosten zu hohen Preises abgeschreckt.
Aber vielleicht findet sich doch noch ein Liebhaber, der den Bubikopf auf den Kontinent, vielleicht sogar in ihr früheres Heimatland, zurückholt.
Grüße aus der Pfalz
Hubert
Edit: Tippfehler berichtigt
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2009:04:10:19:02:24.