Das dritte Rätsel, das bis zum Erscheinen des neuen WLE-Buches nicht geklärt werden konnte, betrifft die Versuchsanlage zur Fernsteuerung von Weichen und Fahrstraßen im Möhnetal in den späten 1950er-Jahren.
Die Westfälische Landes-Eisenbahn plagten in den 1950er-Jahren ganz ähnliche Probleme wie die Bundesbahn: Die Kosten insbesondere im Bereich der Löhne nahmen dramatisch zu, während die Einnahmen bestenfalls stagnierten. Da ein dauerhafter Defizitausgleich durch die öffentliche Hand, so wie er heute in der einen oder anderen Form üblich ist, damals noch undenkbar war, mussten die Bahnen durch bessere Leistungen neue Kunden gewinnen (bei der WLE kamen 1950 die neuen Kalksteinwagen und 1953 die neuen Triebwagen), vor allem aber Personal einsparen. Eines der Projekte war die Einsparung des Bahnhofspersonals, das insbesondere bei schwach frequentierten Strecken wie der Möhnetalbahn in keinem Verhältnis zum Verkehrsaufkommen stand. 1956 konnte auf der Möhnetalbahn von Soest nach Brilon der Zugleitbetrieb eingeführt werden, in Belecke wurde eine entsprechende Zugleitstelle eingerichtet.
Doch damit nicht genug: WLE-Direktor Werner Adams und Prof. Hermann Lagershausen von der Universität Braunschweig entwickelten ein Verfahren, mit dem die Steuerung der Weichen und die Prüfung der Fahrstraßen von der Lok aus erfolgen sollte. Leider ist über diese Versuche nur wenig bekannt. Den genauesten Aufschluss gibt eine undatierte Fotoserie, die mit einigen Erläuterungen versehen ist. Bevor diese Serie gezeigt werden soll, hier zunächst ein Bild von den Vorbereitungen zum Versuchsbetrieb. Es zeigt die 1962 ausgemusterte Lok 0096 auf dem Hof der Hauptwerkstatt in Lippstadt (© für alle Fotos: WLE-Archiv). Ganz schwach sind im Hintergrund noch die Kühleraufbauten von VT 1001 oder 1002 zu erkennen, das Bild muss demnach vor 1957 entstanden sein. Auf dem Dampfdom der Lok ist provisorisch ein Schleifer befestigt, der sich in eine Kontaktbahn über dem Gleis einfädelt.
Die undatierte Bildfolge beginnt mit einem Bild des Stelltisches in Belecke:
Der Erläuterungstext dazu: „Bild 1: Zugleittisch auf Bahnhof Belecke für den Zugleitbezirk Soest–Brilon und Lippstadt–Warstein“.
Da der Zugleitbetrieb auf der Strecke nach Lippstadt 1958, zwei Jahre nach der Möhnetalbahn, eingeführt wurde, müssen die Bilder also 1958 oder später entstanden sein. Zu sehen ist in der Mitte das Belegblatt, darüber das Mikrofon der Funkanlage. Das Streckenband ist in Metallleisten auf einer Holzgrundlage dargestellt. Vermutlich diente es nur der Orientierung und für das Ablegen von Symbolen, Schalter scheinen nicht eingebaut gewesen zu sein.
Das nächste Bild zeigt die Kommunikationseinrichtungen auf der Strecke:
Die Erläuterungen: „Bild 2: Schaltkästen auf einem Bahnhof für Zugführerbedienung bei Zugkreuzungen, Rangierarbeiten usw., zugleich Fernsprechstelle (der Zugführer im Bild gibt eine Meldung an den Zugleiter in Belecke).“
Auch hier handelt es sich, wie beim Stelltisch, um eine dauerhafte und flächendeckend eingeführte Einrichtung. Da es auf den Bahnhöfen noch keine Rückfallweichen für Kreuzungen und auf den Loks keine Funkgeräte gab, war das Verfahren alles andere als einfach und sicherlich oft sehr zeitraubend.
Nun kommen wir vom Regelbetrieb zum Versuchsbetrieb:
Dazu heißt es: „Die Einfahrweichen der Bahnhöfe werden vom fahrenden Zug aus gesteuert und die Fahrstraßen überprüft. Die Einrichtungen dazu:
Bild 3a: Kontaktbahn vor einem Bahnhof und Kontaktarm auf einer Lok.
Bild 3b: Schaltkasten auf einem Lokführerstand mit Weichenstelltasten und Signalleuchten.“
Da sich dieses Verfahren nicht durchsetzen konnte, können nun die Spekulationen über die Funktionsweise beginnen. Nach meiner Vorstellung kann es nur so gedacht gewesen sein, dass die Lok vor dem Bahnhof in der Kontaktstrecke hielt, per Knopfdruck die Weichen stellte und dann die Freigabe der Fahrstraße rückgemeldet bekam. Vielleicht kann die Ausschnittvergrößerung dazu noch etwas beitragen:
An den mittleren Knöpfen ist „RT“ und „LT“ zu lesen, an den unteren „WT“; oben sind Kontrolllampen und ein Zählwerk zu erkennen.
Nun meine Fragen:
1. Kann jemand den Standort der Kontaktbahn auf Bild 3a lokalisieren?
2. Gibt es weitere plausible Erklärungen zur Funktionsweise des Verfahrens?
3. Gibt es weitere Anhaltspunkte zur Datierung der Aufnahmen?
4. Kennt jemand eine zeitgenössische Veröffentlichung zum Thema? Sicherlich hat Professor Lagershausen seine Ergebnisse in einer der einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlicht - nur in welcher und wann?
Für sachdienliche Hinweise herzlichen Dank!
Burkhard Beyer
Die bisherigen Rätsel:
1. Verbleib der Lok 13 „Rühten“ (Hohnzollern 1004/1898) – noch ungelöst!
[
drehscheibe-online.ist-im-web.de]
2. Einsatzende der letzten WLE-Dampflok 0122 im Frühjahr 1971 – Datum sehr eng eingegrenzt!
[
drehscheibe-online.ist-im-web.de]
Weitere Informationen zur WLE: