Hallo ins Land!
Bereits Geschichte ist die Kernkraft im Bereich der damaligen Deutschen Demokratische Republik. Drei Kraftwerke zzgl. eines Forschungsreaktors in Rossendorf bei Dresden entstanden zwischen Harz und Oder, darunter eine der ältesten deutschen Anlage für die Energiegewinnung aus Kernkraft überhaupt. Zwei von ihnen gingen zwar tatsächlich in Betrieb, doch sind sie allesamt unmittelbar nach der Wende abgeschaltet worden - Tschernobyl mit seinem sowjetischen Reaktor war gerade erst vier Jahre Vergangenheit. Die Fragmente einer strahlenden Zukunft des Sozialismus wurden und werden in den Folgejahren nach und nach wieder abgetragen.
Für den Transport von Baumaterialien und natürlich der am Bau beschäftigten Arbeitermassen wurden alle drei Atomkraftwerke an das Netz der Deutschen Reichsbahn angeschlossen. Diese "Atombahnen" zeichneten durch einige Besonderheiten aus. So war der recht eigentümlich erscheinende Fahrplan - sofern überhaupt veröffentlicht - zumeist vollumfänglich auf die Bedürfnisse des Arbeiterverkehrs ausgerichtet. Daneben wurden mitunter mächtige Gefäßgrößen eingesetzt, um die Menschen auf die Baustelle zu transprotieren. Außerdem wurden alle Strecken mit Diesel betrieben - vertraute man der Versorgungssicherheit der eigenen Kraftwerke nicht? Und noch etwas vereint das Schicksal der drei "Atombahnen": Sie alle sind inzwischen längst vom Reisezugverkehr befreit.
Greifswald - Lubmin:
Beginnen wir im Norden: Unweit der ehrwürdigen Hansestadt Greifswald liegt Lubmin. 1968 wurde von Greifswald aus eine rund 20 km lange, eingleisige Hauptbahn rund 20 km durch Vorpommern gebaut, um in Lubmin. Drei Mal hielt der Zug in Lubmin: Zunächst in "Seebad Lubmin", von wo aus man in etwa 20-30 min den Strand erreichte, dann im nicht in den Fahrplänen stehenden Hp. "Lubmin Mitte" und schließlich in "Lubmin Werkbahnhof", welcher zu DB AG-Zeiten in das unverfänglichere "Lubmin Personenbahnhof" umgenannt wurde. Die Strecke wird heute als nichtbundeseigene Anschlussbahn betrieben.
Außer im Chemieverkehr um Halle kamen die fünfteiligen Gliederzüge der DR zuletzt auf der ex.-KBS 196 zum Einsatz - Indikator dafür, welche Menschenmassen es hier einstmals zu transportieren gab. Am 11. August 1993 war ich im Vormittagszug nach Lubmin jedoch fast der einzige Fahrgast. Im letzten Jahr des Reisezugverkehrs, 1999, reichte dann ein Schienenbus. Unmittelbar an den Bahnhof schloss sich linkerhand das ausgedehnte Werksgelände an. Flens-Reklame und Mercedes künden von der neuen Zeit.
Der Zug von der anderen Seite. Vor dem riesigen Gliederzug mit rund 600 Sitzplätzen wirkt die 202 fast verloren. Fotograf und Schaffner verkürzen sich die Wendezeit in Lubmin mit einem Spaziergang durch´s Grüne.
Eine Art Abfallprodukt des Kernkraftwerkes war die Fernwärme. Die für die DDR vielerorts typischen Leitungsrohre begleiteten die "Atom-Züge" bis kurz vor Greifswald Süd, wo eine Neubausiedlung mit Wärme versorgt wurde. N 8206 kehrt gerade nach Greifswald zurück und befährt auf den letzten Kilometern die Hauptstrecke Berlin - Stralsund.
Rheinsberg - Stechlinsee:
Wenn das Theodor Fontane gewusst hätte, der bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg immer wieder im malerischen Rheinsberg Station machte: Östlich des beschaulichen Städtchens errichtete die DDR in den 1960-er Jahren inmitten der Waldeinsamkeit ein Versuchs-Atomkraftwerk. Die Inbetriebnahme
(der Strecke / Edit, Dank an Grypsi2) erfolgte 1958, schon wenige Jahre später bekann man im KKW mit der Energieproduktion. Der nahe Stechlinsee diente als Kühlwasserspeicher. Verkehrlich angebunden wurde das Werk mittels einer 10 km langen, hoch aufgeschüttet durch die Wälder verlaufenden Bahnstrecke, welche in den Rheinsberger Bahnhof einmündete. Einziger Zwischenhalt war Beerenbusch nahe einer gleichnamigen Waldsiedlung, nicht mehr als eine namenlose Bahnsteigkante an einem Bahnübergang.
Unmittelbar nach der Wende wurde das Kraftwerk abgeschaltet und der Rückbau begann. Der stets nichtöffentliche Reisezugverkehr, in welchem interessierte Eisenbahnfreunde erst in den letzten Betriebsmonaten auf Anmeldung bei der KKW-Sicherheit mitfahren konnten, endete 1996. Kurz vor der Einstellung rollt 202 606 am 31. Mai 1996 mit zwei Schnellzugwagen bei Beerenbusch gen Rheinsberg.
Der Endbahnhof Stechlinsee lag unmittelbar vor dem Eingang zum Kraftwerk. 202 606 ist umgelaufen, Lokführer und Schaffnerin warten auf die Rückfahrt nach Rheinsberg. Der Schornstein stammt nicht von einem Architekten aus Pisa, denn leider habe ich die Kamera nicht ganz waagerecht gehalten.
Stendal - Niedergörne:
Da sich das Gelände um das ehemalige AKW Stendal zu einem erfolgreichen Industriegebiet entwickelte, sind auf der ehemaligen KBS 268 nach wie vor zahlreiche Güterzüge verschiedener Bahnunternehmen unterwegs. Insbesondere ein Zellstoffwerk sorgt für mächtiges Aufkommen. Der Reisezugverkehr endete jedoch bereits 1995 auf der 1977 eröffneten Atombahn, bei deren Bau man teilweise eine ehemalige Kleinbahntrasse nutzte. Zu DDR-Zeiten gab es nahe der Ortschaft Hassel zudem noch einen "strategischen Abzweig" an die Elbe, wo eine Pontonbrücke eingeschwommen werden konnte, welche am Ostufer wiederum Anschluss an die Strecke Sandau - Schönhausen vermittelte. Dieses diente der möglichen Umfahrung bei einer Zerstörung der Elbbrücke zwischen Standal und Berlin.
Von Stendal aus verkehrten die Züge zunächst auf der Hauptbahn 305 Richtung Wittenberge. Der Halt am Hp. Stendal Stadtsee erschloss eine DDR-Neubausiedlung, im welcher Großteile der mehreren Tausend Arbeiter des Kraftwerksbaus lebten.
Am 20. September 1993 steht N 6724, eines von zuletzt noch zwei Reisezugpaaren, am Bahnsteig von Niedergörne. Statt Dosto-Einheiten sind schon drei Bmh-Wagen für die paar verbliebenen Fahrgäste mehr als überdimensioniert, an diesem Tage sogar alle in dunkelgrün. Zugegeben - die Bildqualität ist nicht so berauschend, dafür sieht man über dem ersten Wagen sogar etwas Kernkraftwerk. Dabei handelt es sich um einen im Abbruch begriffenen Kühlturm.
Fazit: In Ostdeutschland ist der Atomausstieg schon zu CDU-Zeiten gelungen - der Ausstieg aus dem Schienenverkehr dorthin allerdings gleich mit.
Viele Grüße
Heiko
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2008:12:11:20:56:01.