Lokfriedhöfe! – Da schieden sich die Geister: Die einen mieden sie, weil sie Friedhöfe mit toter Materie waren, so ganz anders als Lokomotiven im Betrieb. Auf andere strahlten sie dagegen eine merkwürdige Faszination aus.
Ich bekenne mich zu letzterer Spezie. Denn auf Lokfriedhöfen konnte man mit Glück noch Baureihen antreffen, die sonst schon längst verschwunden waren. Hier konnte man ungehindert herumstreunen - und es gab diese sonst an keinem Ort der Welt erlebbare, ganz eigenartige Atmosphäre: Diese Gerüche-Cocktails von harzigem Alt-Öl, blühenden Sommerpflanzen und üppig gedeihenden Kräutern; das gelegentliche Knacken sonnenerwärmter Eisenteile, das unregelmäßige Schlagen eines eingerissenen Führerstands-Vorhangs im Wind, das Krächzen eines aufgescheuchten Eichelhähers, das Rascheln der vom sonnigen Schienenkopf davonhuschenden Blindschleiche. Dazu das mühsame Vordringen durch unwegsames Dornengestrüpp von Lok zu Lok; die schweißtreibende Hitze zwischen den aufgeheizten Stahlrössern im Sommer oder der eisige Winterwind, der ungehindert über die Schrottgleise pfiff; das unverhoffte Wiedersehen „alter Bekannter“ oft aus weit entfernten Bws, die Erinnerungen an die Lok „damals“, vielleicht vor einem schweren Güterzug oder im Rangierdienst…
Vielfältig schillernd auch das Gemisch der eigenen Stimmungen: Entdeckungsfreude beim Aufspüren unbekannter Lokomotiven, Abenteuerlust beim Erklimmen verlassener Führerstände, dann oben, auf dem kippeligen, knarzenden alten Schemel sitzend, die Träume vom Lokführer schneller oder schwerer Züge. Aber auch Traurigkeit ob der zerfledderten Maschinen mit ihren kalten, oft schon aller Pumpen, Aggregate und Armaturen beraubten Kesseln, ihren Öl-blutenden Leitungen, trockenen Lagern und abgefahrenen, rostigen Radreifen. Dann wieder die erleichternd empfundene Ferne lästiger Obrigkeiten wie dienstbeflissenen Amtsmännern, besorgten Eltern oder lebensfremden Lehrern und das befreiende Gefühl, wie schwerelos in einem Raum ohne Vorschriften, Zwänge und schulische Leistungserwartungen zu schweben. Gleichzeitig aber auch die Beklommenheit, die die stille Abgeschiedenheit zwischen den langen Reihen der sterbenden Dinosaurier aufkommen ließ, bis hin zum Anflug von Ur-Ängsten vor wilden Tieren, bösen Hexen und unheimlichen Geistern, die da zwischen den toten Stahl-Kolossen verborgen ihr Unwesen treiben mögen... - Eine ganz eigene Welt für uns Buben, losgelöst vom normalen Leben: Voller Gerüche, Erinnerungen, Träume und Trauer, in fast lautloser Stille, unterbrochen nur vom Knirschen der eigenen Schritte auf dem Schotter, dem Reißen eines Brombeer-Schößlings an der Lederhose, dem plötzlichen Flügelschlag eines aufgeregt auffliegenden Vogels. Und dem gelegentlichen Rauschen eines drüben, auf der benachbarten Bahnstrecke vorbeifahrenden Zuges, der uns im Hintergrund dann doch immer wieder beruhigend Sicherheit gab, dass wir uns überhaupt noch in der Realität dieser Welt bewegten.
Natürlich – auch der Sammlertrieb war hellwach: Lok- und Bw-Schilder! Heute kann man ja darüber reden. Doch die Erfolge waren eher bescheiden: Entweder waren Ziffern abgebrochen oder gar nur aufgemalt, die Grundplatte verbogen oder der 17er-Schlüssel drehte an einer der vier festgerosteten Schrauben den Kopf rund… Überhaupt, mit den fortschreitenden Jahren fehlten sie ohnehin immer öfter und es prangte uns nur eine ungelenk mit Öl-Kreide aufgemalte Loknummer entgegen. Und manchmal nicht einmal das. Dann war die Lok nur über die an den Treibrädern und –stangen eingeschlagenen Loknummern zu identifizieren! Klar: Auch in den Bw’s und AW’s selbst wuchs ja die Beliebtheit der Lokschilder abgestellter Maschinen – und wenn man sie dort bloß ganz profan der Einnahmequelle wegen schätzte: Das Stück für eine Mark vierundachtzig, oder so ähnlich, der Materialpreis nach Kilo eben.
„Faszination Lokfriedhof“! War’s nicht so?! - Hohenbudberg, Frankfurt-Mainkur, München-Laim, Buchholz bei Harburg, Soest, Buchloe, Karthaus bei Trier… - das sind nur einige der Namen, die uns „alten Säcken“ bis heute solche Erinnerungen und Eindrücke wachrufen!
Am 12. Mai 1968, vor 40 Jahren, kam ich erstmals nach Trier. Zusammen mit meinen Freunden Bernward Glöckler aus Stuttgart und Werner Bischoff aus Ludwigshafen in dem kürzlich schon von Michael Fischbach und mir gezeigten Sonderzug, den die Mindener 18 316 aus Frankfurt brachte (siehe hier, mit weiteren Links: [
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). Die längere Pause in Trier, in der sich die vielen Sonderzug-Teilnehmer auf einer Lokschau oder an der Porta Nigra gegenseitig im Wege standen, nutzen Bernward und ich zum Besuch des Lokfriedhofs im nahen Karthaus, auf dem die im AW Trier ausgesonderten und ausgemusterten Loks in langen Reihen abgestellt und nach und nach zerlegt wurden. Dem oben geschilderten Buben-Alter waren wir zwar gerade entwachsen, doch unsere Jungenherzen und –gemüter lebten schnell wieder auf! Hier ein paar Bilder (alle Bw-Angaben lt. Anschrift):
Auf dem kleinen Bahnhof des Moselstädtchens war der Name Programm:
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Den Reigen der ausgemusterten „toten Pferde“ eröffnete gleich ein „dicker Fisch“: die ehemalige Kondenslok 52 2024 mit Bw-Anschrift „Worms/Außenstelle Alzey“ und (offenbar: ) noch Kondens-Ableitungen am Vorwärmer, zu denen sicherlich noch jemand Näheres ausführen wird (links 78 317 ex Bw Dillingen, rechts 55 3764):
(2)
Die Dürener 93 1043, die ich im Juli 1965 auf der Reise nach England noch in Horrem unter Dampf sah (links am Rand die Limburger 65 017):
(3)
78 321 hat die meisten Jahre ihres langen Lebens in meiner Heimatgegend, dem Bw Friedberg/Hessen, verbracht, von wo aus sie unzählige Berufsverkehrszüge von der Wetterau nach Ffm Hbf und zurück gebracht hat und 1964/65 oft in den Niddawiesen bei Ffm-Ginnheim an mir vorbeiklapperte. Zuletzt war sie aber in Aalen stationiert, bevor sie vom AW Trier hierher aufs Schrottgleis gebracht wurde:
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65 017 vom Bw Limburg, rechts daneben wieder 93 1043:
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Noch ein „dicker Fisch“: Die zuletzt offenbar im Bw Homburg/Saar eingesetzte Heizlok 7005, eine 42er (von der vielleicht einer der üblichen Verdächtigen die Loknummer mitteilen kann?):
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Rechts hinter der 42 die Rottweiler 38 2729, links 50 041 Bw Dillingen (Bild 4).
Die Lok trägt sogar noch die typischerweise bei dieser BR am Zylinderträger angebrachte Lampe (mit intakten Zuleitungen!):
(7)
(8)
Da rosten sie hin in langen Reihen… Von links: Tender von 50 1711 Ehrang, 50 041 Dillingen, 42 / HL 7005 Homburg/Saar, 38 2729 Rottweil, 78 321 Aalen, 65 017 Limburg, 93 1043 Düren, 38 3540 Düren, 55 3764 Bw?, 52 2024 Worms, 78 317 Dillingen, 78 101 Bw?, 38 3084 Crailsheim:
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Schon das damals war das so: „Aufgemalte“ Schilder wurden verschmäht und blieben hängen…
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Warten auf das Ende in der Botanik – die ex Nürnberger Mischvorwärmer-01 112, ab 28.05.1967 noch in Trier stationiert (so auch beschildert!), aber schon nach wenigen Tagen am 01.06.1967 z-gestellt, Ausmusterung 14.11.1967 (danke, Hartmut Riedemann, für die Info!):
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Hier steht die Trierer 38 3885 im hohen Gras, die ich 1966 einmal vor einem Eilzug bei Koblenz an der Gülser Moselbrücke erlebt hatte. Rechts 38 3634 Trier, links 50 1317 Saarbrücken-Rbf):
(12)
03 014 ex Bw Trier (?!):
(13)
Kann jemand das Bw für 1967/68 bestätigen? Für 1963-65 hat „Renfefan“ vorgestern 03er in Trier bestätigt, mit einem sehr schönen Bild übrigens: [
drehscheibe-online.ist-im-web.de] )
„Nur eine 50er“, doch für mich eine schmerzliche Entdeckung auf den Sterbegleisen von Karthaus: 50 1246, eine alte Bekannte aus meinem „Heimat-Bw“ Frankfurt 2!
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Wie oft bin ich als Bub und Bengel an Wochenenden im „Be-Weh Zwo“ um diese Lok herumgeschlichen…?!
Zu meinem Erstaunen standen hier sogar schon Kabinentender-50er und NK-41er: 50 250 Bw Hohenbudberg und eine leider nicht zum Foto notierte 41:
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Noch eine Limburger 65: 65 012, dahinter 78 271 (Bw?), rechts auf dem Flachwagen der Kessel ex 23 013:
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Von rechts – 50 2306 Neuß, 38 2636 Tübingen, 50 242 Hohenbudberg, 03 074 Mönchengladbach, 55 4769 Bw?, 38 2138 Rottweil, 38 3796 Radolfzell (!), 44 438 Schweinfurt, - könnt Ihr die jetzt noch ausmachen auf dem Bild?? Trotzdem weiter, weil so notiert, die Mühe soll ja nicht umsonst gewesen sein! - 78 209 Bw?, 86 794 Löhne, 50 2364 Löhne, 50 1389 Ehrang, 78 147 St. Wendel, 50 505 Dortmund Rbf, 38 2253 Mühldorf (?), 38 3441 Limburg (Heizlok 114), 55 5332 Bw?, 55 3897 Bw?, 55 3160 Köln-Eifeltor:
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Diese 93.5 war nicht zu identifizieren, auch nicht über auf Rädern oder Treibstangen eingeschlagene Loknummern:
(18)
55 5414 nach einer unsanften Begegnung (links 41 301 Köln-Eifeltor):
(19)
01 052 ex Trier war Werner Bischoff und mir schon einmal im August 1965 in München Hbf über den Weg gelaufen (Bw Mühldorf); rechts 01 047, links 78 324 Dillingen:
(20)
Blick vom Stellwerk auf den mit Bild 7 bereits von der anderen Seite gezeigten Lokzug bestehend aus (von vorn nach hinten:) 38 3084 Crailsheim, die ich schon in Bad Mergentheim erlebt hatte, 78 101 Bw?, 78 317 Dillingen, 52 2024 Worms, 55 3764 Bw? … usw. (siehe oben):
(21)
Bei meinem Besuch drei Jahre später, am 06.04.1971, waren die Lokzüge in Karthaus immer noch gewaltig:
(22)
Links vorne 086 179 Bw Goslar, rechts vorne 052 865 Bw Mannheim (06.04.1971).
Dampflok-Ende in der Wildnis – 023 084 ex Bw Crailsheim (Karthaus, 06.04.1971):
(23)
Frühlingsabend – Lebensabend:
(24)
(086 178 ex Bw Saarbrücken, Karthaus 06.04.1971)
Für Detailisten und Statistiker hier die vollständige Liste der am 12.05.1968 dort abgestellten Loks (Bw-Abkürzungen: Großbuchstaben = Auto-Kennz., andere nach meinem eigenen System; korrigiere 55 5415 -> richtig: 5414). Die handgeschriebene Liste ging dann, wie immer nach Exkursionen, in Kopie (Kohlepapier!) an den EK und meine Brieffreunde (von denen mindestens einer hier mitliest. Gell, Herr H.F. aus Emden!?).
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Nun wünsche ich Euch allen ein schnelles Wieder-Aufmuntern nach diesen etwas tristen, zum heutigen Totensonntag passenden Bildern, ab morgen dann eine angemessen vor-adventliche Woche und grüße, wie immer, recht schön aus Aachen, wo’s seit 2 Stunden herrlich schneit –
Reinhard Gumbert
PS – Für nächsten Sonntag mal was Neues, „Rache“-Jürgen hat mich im Zusammenhang mit seinem hervorragenden „Muntermacher“ von heute morgen auf die Idee gebracht: Ihr dürft über das Thema abstimmen! – Folgende Themen stehen zur Auswahl, zu denen Ihr mich verpflichtet habt:
a) „Die Wahrheit vom PC Laudaland – und andere Lokomotiv-Beschriftungen“ (das Thema hat Gerd Tierbach dieser Tage aufgebracht, hier: [
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b) „Emsland – ein Bilderbogen“ (Nachsitzen aus meiner mit der Verwechslung
Haren/Hembsen verkorksten Strafarbeit, siehe hier und die Vorredner: [
drehscheibe-online.ist-im-web.de]
Also: einfach den nachfolgenden Eintrag Eurer Wahl anklicken. Bin gespannt, ob’s funktioniert und was dabei herauskommt! - Doch nichts geht verloren: Der „unterliegende“ Beitrag kommt dann irgendwann Anfang 2009.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2008:11:23:20:45:10.