Detlef Schikorr hat hier im Rahmen seiner "Portugal-Wochen" in diesem Beitrag gezeigt, dass "Boavista" für Schmalspurfreunde sicher zu den "magischen Orten" zählt.

Boavista klingt aber auch für Strassenbahnfreunde gut - und hat bei mir schöne Erinnerungen geweckt. 1986 konnte ich in Portugal immer noch auf Zeitreisen gehen - allerdings kam ich nicht so weit zurück wie Detlef Schikorr im Jahr 1971. Ich hatte mich in Porto vor allem für Strassenbahnen begeistert: Die Fahrzeuge stammten aus den Jahren 1923-1929 und liefen nahezu unverändert im täglichen Betrieb. Modern war nur die Werbung geworden, die gut in die 1980er Jahre paßte - aber der Rest ... Die Bilder zeigen euch, wie ich 1986 nach Boavista gekommen bin. Wenn ihr es etwas "portugiesischer" mögt, könnt ihr im Hintergrund die passende Musik zu den Bildern hören. Mein Tip: Teresa Salgueiro von Madredeus [www.youtube.com]

Na dann - bitte einsteigen!



Bild 1: An der Endstelle Infante steht Tw 284 zur Rückfahrt nach Matosinhos bereit (13.10.1986). Die Endstelle lag direkt am Flussufer des Rio Douro, auf der anderen Flusseite sind die Portweinkellereien zu sehen - natürlich haben wir dort die obligatorische Portweinprobe mitgemacht. Die akute Schieflage des Bildes hat jedoch nichts mit den Auswirkungen des guten Portweines zu tun - an der Endstelle war wirklich alles krumm! Rechts am Geländer steht übrigens mein Rad - wir waren ganz umweltfreundlich mit Bahn und Rad angereist.




Bild 2: Noch einmal Endstelle Infante, nun von der Seite gesehen. Wagen 274 (links) fährt gerade ab, während rechts Wagen 272 auf Einfahrt in die Endstelle wartet. Dieser Streckenabschnitt ist noch als Touristentram in Betrieb, die aktuelle Endstelle befindet sich etwa da, wo 1986 der schmucke R4 über das Pflaster düste (Rua Nova da Alfandega, 15.10.1986)




Bild 3: Endstelle Infante: Aus Wagen 272 geht der Blick auf Wagen 270, der soeben aus Matosinhos angekommen ist (15.10.1986).




Bild 4: Der Arbeitsplatz des Fahrers auf Wagen 272: In der Mitte der Fahrschalter (links der Schalter für die Fahrtrichtung - Rechts die Kurbel zum Fahren) mit Putzwolle: Die Fahrzeuge waren alt - aber liebevoll gepflegt. Rechts daneben das Handrad für die Handbremse - und darüber das Ventil für die Druckluftbremse. Einer der Schalter im Boden ist für die Glocke (ich weiss aus dem Kopf aber nicht mehr, welcher). Rechts steckt in dem Rohr neben der Handbremse der Stellhebel für die Weichen, die natürlich von Hand gestellt wurden ... Dahinter ist ein Blechschild mit dem Linienziel „BOAVISTA" geklemmt - für die Einrückfahrt ins Depot am Abend. (15.10.1986).




Bild 5: Der Fahrgastraum im Wagen 272: Die Rückenlehnen wurden an den Endstellen umgeklappt, so dass alle Fahrgäste immer in Fahrtrichtung sitzen konnten. Die Lederleine läuft an der Decke durch den ganzen Wagen - damit wurde vom Schaffner der Abfahrtsauftrag gegeben. Bemerkenswert ist sicher die Beleuchtung, es gab Fenster zum öffnen - und natürlich: Sonnenrollos!




Bild 6: Von Infante aus folgte die Strecke immer dem Ufer des Rio Douro bis zum Seehafen in Matosinhos. In der Rua Nova da Alfandega hat für Wagen 285 die Fahrt gerade erst begonnen (13.10.1986). Direkt neben der Hauptstrasse wurde die Wäsche getrocknet, auf der rechten Strassenseite befand sich ein Hafenbahnhof der Staatsbahn CP. Das ganze Areal ist mittlerweile komplett durchgestylt, wie ein Blick bei google verrät [maps.google.de].




Bild 7: Die Strecke folgt dem Rio Douro flussabwärts. Wagen 273 auf dem Weg stadtauswärts, an der hinteren Tür hat sich ein Trittbrettfahrer bequem angesetzt. Gezahlt wurde nur im Wagen - aussen fuhren alle (auf eigenes Risiko) umsonst mit. Hier verkehrt heute die Touristenlinie eingleisig, das Kopfsteinpflaster ist weg und die Strasse verkehrsberuhigt. Wie das geht? So: [maps.google.de].




Bild 8: Ähnlich entspannt wie der Trittbrettfahrer auf dem vorigen Bild liegt der Jeans-Cowboy auf der Reklame an Wagen 285 (15.10.1986). Der Wagen befindet sich in der Rua do Ouro auf der Höhe des Btf. Massarelos, heute Nahverkehrsmuseum [maps.google.de].




Bild 9: Die Hallen des Btf Massarelos wurden zum Abstellen von Reservefahrzeugen und von der Gleisbauabteilung genutzt. Hier Tw 65 (ein ehemaliger Gütertriebwagen für den Kohletransport) mit einem Drehschemelwagen, auf dem eine lang gebogene Schiene liegt (15.10.1986).




Bild 10: Im Bereich des Btf. zweigte eine Stichstrecke in die Innenstadt ab, die nach einer starken Steigung in „Carmo" endete. Dort fährt Wagen 160 gerade durch die Wendeschleife, die durch mehrere Strassen führte (Vor dem Uni-Gebäude in der Rua Dr. Ferreira da Silva am Clérigos - Platz).




Bild 11: Die Strecke verlief weiter am Rio Douro entlang, ab dem Stadtteil Foz dann an der Atlantik-Küste: Zu sehen gab es direkt nebeneinander: Den Strand - einen Grünstreifen - die Avenida de Montevideu, durch die hier Wagen 214 fährt - und dahinter eine Siedlung mit eleganten Häusern. Da die Strassenbahn hier stillgelegt ist, ist der Mietwert der Gebäude in meinen Augen deutlich gesunken. Egal, was es in der Bar zu trinken gibt ... (15.10.1986).




Bild 12: Am großen Kreisverkehr am Castelo do Queijo zweigte dann die „Avenida Boavista" ab: Breit - gerade - langweilig. Am Ende dieser Einfallstrasse befindet sich der Kreisverkehr rund um den großen „Praça. de Mouzinho de Albuquerque", kurz Boavista genannt. Wagen 191 hat am 16.10.1986 den großen Platz bereits umrundet und steht wieder in der Avenida Boavista zur Rückfahrt zum Hafen in Matosinhos bereit. Das Steckschild am Wagen wird bald getauscht - die Fahrgäste warten so lange geduldig in der Schlange.




Bild 13: Wagen 213 unterwegs auf der großen Kreisfahrt rund um den „Praça. de Mouzinho de Albuquerque". Der Wagen pendelte im Berufsverkehr als Verstärkerwagen nur bis Castelo do Queijo - also nur die langweilige Avenida Boavista rauf und runter ... (16.10.1986).




Bild 14: Boavista war nicht nur der Ort eines beeindruckenden Bahnbetriebswerkes, wie uns Detlef Schikorr ja gezeigt hat - hier fand sich auch die große Wagenhalle der Strassenbahn Porto. Hier rangiert der „vagão de socorro" (Hilfswagen) 76 einen defekten Wagen in den Werkstattbereich. Hier habe ich zum ersten Mal gesehen, dass sich ein Stangenstrohmabnehmer auch vor sich her schieben läßt (13.10.1986).

In der aktuellen Übersicht läßt sich ganze Areal bei google gut überblicken: [maps.google.de]. In der Bildmitte der große Platz mit dem Kreisverkehr. Der Theaterneubau steht direkt auf dem Gelände des ehemaligen Strassenbahn-Btf. - und die Ödfläche nördlich des Kreisverkehrs ist das ehemalige Bw.




Bild 15: Vor der großen Halle mit 20 Gleisen herrschte in der Frühe geschäftiges Treiben: Bei Wagen 274 sind die Achslagerkappen von Hand abgeschraubt worden, nun wird mit der großen Kanne Öl nachgegossen. Rechts wird ein Zweiachser von Hand gewaschen. Beide Wagen sind nur knapp 20 Jahre jünger als die Henschel - Mallets, die Detlef Schikorr 1971 ein paar Meter weiter aufgenommen hatte (16.10.1986).




Bild 16: 1986 gab es noch ein umfangreiches O-Busnetz, von dem ich aber nur ein Fahrzeug aufgenommen hatte. Strassenbahn und Freundin hatten nun mal Vorrang. Hier steht Wagen 35 in der Avenida de D. Afonso Henriques auf Linie 36 nach Santo Ovidio (15.10.1986). Auf dem Weg dahin überquerte die Linie kurz darauf die geniale Doppelbrücke „Ponte Dom Luis I.", aber dieses Motiv habe ich 1986 einfach verpennt.

Mittlerweile verkehrt hier die moderne Stadtbahn, die den O-Bus ersetzt hat, ein Besuch in Porto ist also immer noch spannend!

Gruss, christoph beyer

Literatur: R.R. King, J.H. Price, The tramways of Portugal. A visitor´s guide, Broxbourne(?) England 1983, 3. Auflage

Edit bat darum, die google-Links zu korrigieren und ist nun auch zufrieden.





11-mal bearbeitet. Zuletzt am 2022:02:16:13:11:51.

Klasse, schon acht Jahre später sah das ganz anders aus. Vierachser habe ich auch nicht mehr gesehen, nur die Peckham-Zweiachser. Immerhin, die 18 als letzte erhaltene Strecke wurde da noch vlon den Einwohnern benutzt, auch die Fahrpreise habe ich als normal empfunden.
Hat(te) das alte Netz eigentlich Regel- oder iberische Breitspur?

Falk

Hallo Christph,

Dein Beitrag weckt Erinnerungen an das Straßenbahnnetz von Porto, auf dem wir auch herumgefahren sind. Aber wir mußten uns aus Sparsamkeitsgründen - als Student schwamm man damals wie heute nicht im Geld - entweder für die Eisen- oder die
Straßenbahn entscheiden. Beides ging nicht. So haben wir uns für die damals noch dampfbetriebene Eisenbahn im Norden entschieden.
Umsomehr freue ich mich über Deinen Beitrag über die Straßenbahn, die wir damals vernachlässigt haben.

Vielen Dank fürs Einstellen!

Gruß
Detlef

Danke, Christoph, für eine sehr interessante und lesefreudige Darstellung portugiesischer Verhältnisse.
Dazu sehr informative, gestochen scharfe Bilder.

PS.: Da suche ich schon lange den Essener Triebwagen 1601 mit der nur einmal in den 70er-Jahren vorhandenen legendären rot-weissen "WRANGLER"-Reklame.
Und weit weg in Porto war die Werbung direkt mehrfach zu finden.

Wolfgang

Mensch Christoph,

auch ich war 1986 auf Straba-Trip in Porto und Lissabon. Ich kann gar nicht genug Aufnahmen davon sehen !
Im HiFo hatte ich vor längerer Zeit ja bereits ein paar Lisboa-Fotos gezeigt - leider bin ich Ende 1986 mit dem Abziehen der SW-Bilder ins Stocken geraten und der Rest der Negative wartet seit nunmehr 22 (!) Jahren auf Weiterbearbeitung ...

Tausend Dank für diesen Superbeitrag !!!

... ist sicher Ansporn, nach 22 Jahren aktiv zu werden.

Und gleich hier mit dem besten Beispiel, wie man eine malerische Küstenstraße zur Rennstrecke umbauen kann. Schade, aber verständlich?

Wundervolle Aufnahmen aus einer mir gänzlich unbekannten Gegend.

Hallo Christoph,

Vielen Dank für die tollen Bilder ! Zu dem Massarelos-Bild : ein interessanter Vergleich 18 Jahre danach :






Bekanntlich wurde der Btf Massarelos zu einem Strassenbahn-Museum, wo die betriebsfähigen Twg der Museumslinien auch untergestellt werden. Wir sehen den 'Belgier' 283 fast an der gleichen Stelle wie auf deinem Bild 9. Der hässliche Anbau rechts wurde glücklicherweise abgebrochen. Das Ganze sieht noch fast wie in den 50er...

Grüss

Alex



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2008:11:20:13:40:33.

Das ist ja mal wieder HiFo at its best :) Dettlef setzt die ssp-Bahn-Bilder ein, Werner kontert mit Waggonporträts und dann kommst Du mit dien gei*** Staba-Bildern. Herrlich, ich kann mich gar nicht satt sehen!

Hallo,

toller Beitrag im schönen Black & White.

9 jahre später erlebte ich nur abgestellte O-Busse, die gerade mal nicht fuhren, nur noch eine Linie, deren Strecke noch nicht getsylt war, und einen vollen Betriebshof am Kreisverkehr mit verrammelten Türen.

Dieser Beitragsserie über Nordportugal frischen meinen Erinnerungen noch mal richtig auf.

Dank an Allen

Gruß

Ingo

... und ebenso interessant wie Detlefs Eisenbahnvarianten! Gerade auch Porto mit seinen alten Straßenbahnen, die ja heute noch auf drei Linien fahren: Nr. 1 entlang dem Flußufer Infante-Passeio Alegra, Nr. 18 Massarelos-Carmo und 22 auf einem Rundkurs ab/bis Carmo durch die (Ober-) Stadt. Habe das vor gut 2 Monaten erst gesehen und erlebt - gelegentlich gibt's mal Bilder dazu (hier im HiFo aber frühenstens 2018...)

Vielen Dank fürs Zeigen, Christoph, und schöne Abendgrüße aus Aachen -
Reinhard

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)

Reinhard, Dir ist bei der Jahreszahl ein Tippfehler unterlaufen:

> Bilder dazu (hier im HiFo aber frühenstens 2018...)

Du wolltest "natürlich" statt der Ziffer "1" eine "0", also = 2008 tippen. Und als Monat den Dezember -)))


Wir freuen uns schon .....

Okay, M's Heizer, ich kann ja mal mit der Administration reden... :-))

Grüße - Reinhard

Ein toller Beitrag! Leider war ich erst 2004 zum erstenmal in Porto, um die erste Linie der neuen Stadtbahn und die heutige Museumsstrecke am Rio Douro entlang zu besuchen.
Anbei ein Foto von der stadtauswärtigen Endstelle der Museumslinie 1, kurz vor dem Stadtteil Foz, entstanden am 12. März 2004. Trotz modernisierter Straßenbahntrasse ergab sich dort mit den etwas verwitterten Häusern im Hintergrund noch ein einigermaßen stimmungsvolles Motiv. Bom Dia!


Grüße aus dem Tal,
Joachim