Vor ein paar Wochen hatten wir hier die eher unerquickliche Diskussion um eine weitere Wannentendervariante für die Loks der BR 52, bezeichnet als K2’2’T32.
Nach einem Hinweis von Matthias Muschke auf zwei Bilder, die meiner Aufmerksamkeit bisher entgangen waren, habe ich mit dem Urheber der damaligen Diskussion, Michael Ziegler alias BwRoßlau, Kontakt aufgenommen. Dieser war zunächst nur per Mail, aber dann auch telefonisch und brachte mir in der Folge neue Erkenntnisse aber noch mehr Fragen.
Die beiden Bilder, auf die mich Matthias (herzlichen Dank!) hinwies, finden sich in
D. Wünschmann, Von der Kriegslok zum Arbeitstier, Die Baureihe 52 bei der DR, Eisenbahn-Bildarchiv Band 16, Freiburg 2005
auf den Seiten 8 und 9. Hier wird die im Februar 1943 bei Henschel gebaute 52 2130 bei oder kurz nach der Ablieferung gezeigt. Auf jeden Fall sind die Tenderanschriften noch nicht vollständig, die Bremsgewichte fehlen. Was nicht fehlt, ist die Angabe der Vorräte, völlig eindeutig zu erkennen: Wasser 34 m³, Kohle 10 t!
Eine schlampige Beschriftung? Das kann ich nicht glauben. Der Tender sieht doch wie jeder andere Wannentender aus, eindeutig nach den gleichen Grundsätzen gebaut - aber nur auf den ersten und zweiten Blick. Man muss schon ein Bild eines K2’2’T30 daneben legen, um Unterschiede im Detail auszumachen. Drei Stück fallen auf, wobei zwei davon nur auf der Heizerseite erkennbar sind:
- Der Kohlenkasten hat nur drei Stützen (fällt nicht gleich auf, da bei Lokfotos mit dem K2’2’T30 die erste Stütze (von
vier)häufig durch das Führerhaus verdeckt wird;
- Die Heizleitung wird schon über dem hinteren Drehgestell unter den Wasserbehälter zur Pufferbohle hin verschwenkt (beim
K2’2’T30 wird sie in aller Regel außen an der Wanne bis zur Pufferbohle durchgeführt)
- Der Abstand des hinteren Endes des vorderen Drehgestells zur Vorderkante des Bremszylinders ist größer als beim K2’2’T30.
Das sah ja nun doch ein bisschen anders aus als gewohnt. Zweifel fingen an zu nagen. Sollte Michael doch Recht gehabt haben? Jetzt war es Zeit, sich mit ihm in Verbindung zu setzen.
Freundlicher Weise stellte Michael mir einen Auszug aus
J. Fijalkowski, W. Kowalewski, Charakterystyki Normalnotowych Pojazdow Trakcyjnych, Wydanie III rozszerzone i uzupelnione
zur Verfügung. Dort werden die polnischen Lokomotiven mit Maßen und Skizzen und auch die Tender vorgestellt. Interessant sind natürlich die beiden dort vorgestellten Wannentender mit der Bezeichnung „30D42“ und „32D43“. Ersterer entspricht dem bekannten K2’2’T30, während ich den zweiten zunächst als rätselhaft empfinde. Er weist folgende Maße auf:
Vorderkante bis erste Achse 1295 mm
Achsstand erstes Drehgestell 2000 mm
hintere Achse vorderes Drehgestell vordere Achse hinteres Drehgestell 2450 mm
Achsstand hinteres Drehgestell 2000 mm
letzte Achse bis Pufferende 1910 mm
Gesamtlänge also 9655 mm
Damit ist dieser Tender 455 mm länger als der K2’2’T30. Der Gesamtachsstand Lok und Tender mit diesem „32D43“ beträgt 19550 mm, also gerade noch für eine 20 m-Drehscheibe geeignet.
Merkwürdig nur, dass dieser Tender nur zur Kupplung mit den Reihen Ty2 und Ty42 angegeben wird und der 30D42 zur Kupplung mit der Reihe Ty43, dem polnischen Weiterbau der BR 42. Unangenehm auch, dass in der tabellarischen Auflistung der entsprechenden Maße die beiden Tender ganz offensichtlich vertauscht worden sind.
Meine Skepsis wuchs also wieder. Was tun?
Da die mir bekannte Literatur zu diesem Tender bisher nichts offenbart hat, musste eine andere Lösung her. Da das eine Foto die Lok sehr schön von der Seite zeigt und damit auch beim Tender nach hinten hin nur geringste Verzerrungen auftreten (im Bild am Achsstand nachgemessen), könnte man doch versuchen, eine durchsichtige Skizze des K2’2’T30 über das Bild zu legen. Wie aber die Skizze in den richtigen Maßstab bekommen? Und überhaupt, wozu hat man eigentlich das ganze Software-Gedöns auf dem Rechner.
Einige Fummelei in Photoshop war nötig, wobei ich wieder einige neue Funktionen kennen gelernt habe. Beim Ineinanderkopieren zweier Bilder bleibt das obere durchsichtig, genau das, was ich haben wollte, zudem lässt sich das obere Bild in der Größe anpassen. Denn natürlich waren beide Vorlagen nicht im selben Maßstab. Wie aber den richtigen Maßstab finden? Hierzu eine Überlegung: der Kohlenkasteninhalt des K2’2’T30 beträgt 10 t, der des fraglichen Tender lt. Aufschrift auch, beide Kohlenbehälter sehen weitgehend identisch aus, an der Breite lässt sich mit Sicherheit wegen der Sicht nach hinten nichts ändern, an der Höhe wohl auch eher nicht, wenn aber Breite und Höhe gleich sind, dann muss bei gleichem Inhalt auch die Länge gleich sein. Also habe ich durch Ziehen an den entsprechenden Bearbeitungspunkten der Skizze den Kohlenkasten der Skizze mit dem des Fotos in Deckung gebracht (zuvor musste ich die Skizze noch Spiegeln, weil sie die rechte Seite, das Foto aber die linke zeigt). Am unteren Rand musste ich noch etwas Ziehen, damit die Pufferbohlen beider in gleicher Höhe waren. Erstaunlicher Weise waren damit sofort wesentliche Linien von Foto und Skizze in Deckung geraten, Führerstandsfenster, obere Linie des Wasserkastens. Die Arbeit brachte das nachstehende Ergebnis:
Dabei fällt auf,
- dass ganz offensichtlich der Tender des Fotos länger ist als der der Skizze,
- die erste Achse der Tender exakt übereinander liegt,
- dass das Drehgestell länger ist als auf der Skizze und
- dass die Räder der Skizze nach unten überstehen, sich also nicht auf derselben Linie befinden wie diejenigen des Fotos;
bringe ich die Räder auf dieselbe Linie, steht die Pufferbohle höher als die des Fotos --> Schlussfolgerung: der Tender
besser die Wanne des Fotos ist etwas höher als die der Skizze.
Bei dem Bild oben habe ich eine recht grobe Skizze eines Merkbuches genommen, womit hier die Linien besser zu erkennen sind. Ich habe dasselbe Verfahren abermals mit einer genauen Zeichnung durchgeführt, die Linien sind dann aber so fein, dass sie hier nur noch schwach zu erkennen gewesen wären. Dann habe ich mein liebes altes Geodreieck gegriffen, Maße am Bildschirm abgenommen, verglichen und umgerechnet.
Als erstes habe ich mich dem vorderen Drehgestell gewidmet. Beim K2’2’T30 beträgt der Achsstand im Drehgestell 1800 mm. Dieses Maß entsprach rein zufällig auf meinem Bildschirm 45 mm. Die zweite Achse des Drehgestells vom Foto war aber von der der Skizze weitere 5 mm entfernt. 45/5 = 9, also muss der Achsstand des Tenders auf dem Foto 1/9 länger sein, als der der Skizze: 1800/9 = 200! Also 200 mm länger, das Drehgestell auf dem Foto hat also 2000 mm Achsstand.
Ich war schon etwas verblüfft! Wenn also 5 mm auf dem Bildschirm 200 mm der Realität betragen, dann mal schnell die Wanne auf dem Bildschirm nachgemessen: 10 mm mehr. Das sind dann 400 mm im Original. Die Wanne des Tenders auf dem Foto ist also 400 mm länger als diejenige aus der Skizze!
Nun zur Höhe, das ist am ersten Radsatz nur mit Mühe zu erkennen, aber es sieht nach etwa einer Radreifenbreite aus, also rund 50 mm, die der abgebildete Tender höher ist.
Wohin führt uns das jetzt mit dem Volumen, dem Wasserinhalt, der Wanne?
Wie war das noch – Grundfläche multipliziert mit der Höhe ergibt das Volumen, Grundfläche beim Kreis war doch irgendetwas mit Pi, genau:
V = Pi*r²*h - und da wir es hier nur mit einem halben Hohlzylinder zu tun haben, davon die Hälfte.
Es ist sicherlich sinnvoll, bei diesem Tender von gleichen Maßen wie beim K2’2’T30 auszugehen. Man wird wohl kaum neue Lehren für die Wanne gebaut haben. Der Innendurchmesser der Wanne beträgt dort 3000 mm, der Radius also 1500 mm. Die Wanne bildet zwar keinen vollen Halbkreis, dafür sind oben aber noch senkrechte Bleche mit einer Höhe von 290 mm angefügt.
Die größere Höhe von 50 mm will ich in der überschlägigen Berechnung auch nur für den hinteren Teil der Wanne ansetzen, da ich nicht weiß, welche sonstigen konstruktiven Änderungen noch zu einer Erweiterung oder Verringerung des Volumens geführt haben. Die Wanne des K2’2’T30 ist 7850 mm lang, für meine Überschlagsrechnung also abzüglich der Länge des Kohlenkasten von rund 4000 mm, verbleiben also 3850 mm, denen noch die 400 mm (siehe oben) zuzuschlagen sind, also 4250 mm.
1. Mehrvolumen durch Verlängern der Wanne:
V = Pi*r²*h/2 = 3,14*1,5m²*0,4m/2 = 1,4 m³
2. Mehrvolumen durch Erhöhung der Wanne um 5 cm:
V = Länge * Breite * Höhe = 4,25m * 3m * 0,05m = 0,6 m³
Das gesamte Mehrvolumen beträgt demnach mindestens 1,4 m³ + 0,6 m³ = 2,0 m³ !!!
Zum Ablieferungszeitpunkt der oben erwähnten 52 2130 war der K2’2’T30 noch nicht auf sein Fassungsvermögen hin überprüft worden und galt noch als K2’2’T32, also als Tender mit 32 m³ Wasserinhalt. Da aus diesem Tender die hier fragliche Variante entstanden ist, sind also den 32 m³ die 2 m³ zu addieren, es ergeben sich 34 m³ Wasserinhalt für den fraglichen Tender und daraus die Bezeichnung K2’2’T34!
An dieser Stelle kommt noch einmal dieser Beitrag von Michael Ziegler ins Spiel
[
drehscheibe-online.ist-im-web.de]
Dort findet sich ein Auszug aus der Beschreibung der BR 52 aus der 2. Ausgabe vom 15.03.1943, in der die Tender für die BR 52 aufgelistet werden, ich füge den Scan hier noch einmal ein:
Hier sind sie also traulich vereint, der von der BR 50 stammende, der Steifrahmentender und die beiden hier in Rede stehenden Wannentendervarianten.
Michael hält zwar in seinem Beitrag den aufgelisteten 34er-Tender für den Versuchstender der 52 001, dieser Meinung widerspreche ich aber, es muss sich um den hier vorgestellten Tender handeln. Zum Versuchstender der 52 001, also dem K2’2’T34 überleicht, heißt es doch, dass mit diesem Tender der Achsstand von Lok und Tender so groß geraten war, dass ein Drehen auf der 20 m-Drehscheibe nicht mehr möglich war. Wir sind aber hier bei rund 19,5 m, es ist zwar nicht komfortabel, aber ein Drehen der Lok auf der 20 m-Drehscheibe ist damit noch möglich.
Im Mai 1943 wurde das Fassungsvermögen der Tender überprüft, der K2’2’T32 musste danach zum K2’2’T30 herabgestuft bzw. umbenannt werden, ein gleiches Geschick traf wohl auch den K2’2’T34, der zum K2’2’T32 herabgestuft bzw. umbenannt werden musste. Dieses ist im gezeigten Dokument nachgetragen, beim K2’2’T32/30 noch nicht!
Im Ergebnis der ganzen Betrachtung ist es für mich gesichert, dass wir es hier mit einer weiteren Wannentendervariante zu tun haben, dem K2’2’T32!
Lob und Ehre für die Entdeckung und Bekanntmachung gebührt Michael Ziegler! Ich habe nur versucht, für seine Behauptungen und Hinweise einen Beweis zu liefern.
Ich habe mich bei Michael Ziegler bereits in unserem Telefongespräch bei ihm persönlich entschuldigt für die Art und Weise, mit der auch ich diskutiert habe. Ich wiederhole diese Entschuldigung hier gerne öffentlich!
Mir stellt sich die Frage, warum bisher dieser Tender übersehen werden konnte.
Nun überblicke ich recht gut die Eisenbahnliteratur der vergangenen 40 Jahre, ich kann mich an keinen Hinweis auf diesen Tender erinnern. Die Quellenlage scheint also eher bescheiden zu sein.
Und übersehen lässt sich dieser Tender leicht, selbst bei aufmerksamer Betrachtung von Bildern. Dazu tragen allein schon die großen gerundeten Flächen bei, die es erschweren, Längen und Höhen einigermaßen zutreffend abzuschätzen. Hinzu kommt, dass jeder Wannentender aus fast allen Betrachtungswinkeln ziemlich dominant wirkt.
Entscheidender ist aber wohl, dass durch den Einsatz von Drehgestellen mit einem Achsstand von 2000 mm nahezu die Proportionen des K2’2’T30 gewahrt bleiben.
Nun habe ich mich noch einmal auf die Suche nach Bildern gemacht und bin, vermutlich, hier fündig geworden:
- 52 7771 der DR, ebenfalls im EK Eisenbahn-Bildarchiv Band 16, Seite 28, eine soeben aus der SU in die DDR zurückgekehrte Lok;
- 52 360 der DR, auf Seite 81 in M. Reimer, Die Baureihe 52 bei der Deutschen Reichsbahn, Verlag Endisch 2008:
- 52 138 der DB, auf Seite 50 in Die Baureihe 52, Eisenbahn-Journal Sonderausgabe II/96;
- 50 3171 der DB, auf Seite 56, wie zuvor.
Dabei habe ich mich bei der Suche auf Bilder beschränkt, die bis maximal Mitte der 60er Jahre aufgenommen wurden, um nicht irgendwelchen Umbauten von DR und DB aufzusitzen.
Das ist nicht viel. Woran sich zwei wichtige Fragen anschließen:
Wie viele dieser Tender sind gebaut worden?
Wer hat diese Tender gebaut?
Michael Ziegler hat mich noch auf diesen Link aufmerksam gemacht:
[
drehscheibe-online.ist-im-web.de]
Nach seiner Einschätzung handelt es sich um den letzten originalen Wannentender dieser Variante. 52 8115 ist mit diesem Tender erhalten geblieben. Hat mal jemand das Betriebsbuch durchforstet und auch Einblick in das Tenderbuch gehabt? Was sagt es zum Hersteller aus? Und was sagen die weiteren technischen Daten? Und ist ein größerer Umbau vermerkt?
Wie ich eingangs schon sagte, viele neue Fragen . . .
Nun wünscht ein schönes Wochenende wie immer mit den
besten Grüßen
Hartmut
p.s.: Anzumerken bleibt noch, dass ich auch heute noch nicht die Art und Weise in Ordnung finde, wie Michael versucht hat, die Diskussion anzuschieben, uns auf diesen Tender aufmerksam zu machen. Nach unserem Telefongespräch verstehe ich seine Motivation etwas besser, dennoch.
Warum der Tender nur allzu leicht zu übersehen ist, siehe oben.
Und nein, schon lange vertrauen wir der uns dargebotenen Literatur nicht mehr blind, nicht einmal mehr den Originaldokumenten, siehe Lothars Fragen zu 55 3705 II.
Aber eines habe ich fast aufgegeben, mich über gedankenlos dahingepfuschte Bildunterschriften noch zu ärgern.
Vielleicht schaffe ich Anfang September den Weg zum Dampffest nach Salzwedel. Dort würde ich dann gerne Michaels Hand schütteln, ihn persönlich kennenlernen.
Bilder restauriert von Benutzer Riedemann Archiv am 12.12.2016; Bearbeitung: uk-old
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2016:12:12:18:45:05.