Hallo gizmo,
zu deinen Fragen:
> Die Muni-fabrik mit anschließender Beherbergung eines Schrottis ist
> mir beim lesen auch untergekommen. Interessant wäre ja, ob (alte)
> Bilder vom Gelände selbst existieren.
Schüller (der Schrotter) war zwar der letzte Anschließer in Hirschhagen, aber es gab davor noch weitere. Die Anlagen der Munitionsfabrik wurden nach Kriegsende entmilitarisiert und werden seitdem als Gewerbegebiet genutzt. Das Anschlußgleis begann an der Ausweichanschlußstelle Steinholz. Diese liegt in km 3,8 der Strecke Walburg - Großalmerode zwischen dem ehemaligen Bahnhof Velmeden und dem Haltepunkt Rommerode. An dieser Stelle soll sich der Übergabebahnhof der Munitionsfabrik befunden haben. Das Gelände wird schon seit vielen Jahren von der Firma Kanzler & Co genutzt, die Schlachtabfälle verarbeitet und eine Fettschmelze betreibt. Das Bürogebäude dieser Firma sieht sehr verdächtig wie ein Stellwerksgebäude aus den 40er Jahren aus. Laut einer Aufstellung von 1976 wurden per Bahn Schlachtabfälle empfangen.
Das Anschlußgleis überquerte auf einer Blechträgerbrücke das Wohratal und führte dann über ca. 8 km Länge zu einem Gleisdreieck, mit dem der Kohlenbunker des Werkes angeschlossen war. Der Bunker steht heute noch, die Kohle kam mit einer Seilbahn vom Hirschberg und wurde zu den Verwendungsstellen im Werk verteilt.
Westlich des Gleisdreiecks machte Anschlußgleis eine riesige Kehrschleife, die gegen den Uhrzeigersinn kilometriert war, und mündete nach etwa 14,6 km westlich des Gleisdreicks ein. Dort lag die Spaltsäureanlage, auf deren Gelände sich der Schrottbetrieb Trapp, später Schüller, ansiedelte. Das Gelände ist als abgeräumte bräunliche Fläche im Luftbild gut zu erkennen:
[
www.google.de]
Natürlich lohnt es sich, aus dem Ausschnitt mal rauszuzoomen und das Gleis abzuwandern.
Nach Westen lag auf dem nördlichen Strang ein Anschluß der Firma Reolit/agglo (Marmorwerk), später H. W. Natursteintechnik, mit Umfahrungsgleis und 2 Stumpfgleisen. Die Stumpfgleise führten in Bau 560, das war der Lokschuppen.
Das Gleis war lt. Bundesbahnplänen zwischen km 10,596 und km 11,858 unterbrochen. Am südlichen Stranges lagen, von Westen nach Osten, Fa. Anger's Söhne (Brunnenbau) am Gleisende, Okologische Bautechnik mit einem Umfahrgleis, ein weiteres Stumpfgleis des Marmorwerks und ein ca. 200 m langes, im Osten stumpf endendes Gleis zum Schrottplatz Trapp bzw. Schüller. Das Gleis müßte durch das rechteckige Gebäude mitten auf der braunen Fläche gegangen sein. Laut Kartenanlage zum Buch "Spengstoff aus Hirschhagen" handelte es sich dabei um Bau 051 - das Säurelager der Munitionsfabrik, die so unschuldig unter dem Namen "Werk Hess. Lichtenau der GmbH zur Verwertung chem. Erzeugnisse" firmierte.
Mit Fotos aus Hirschhagen ist es etwas schwierig. Einerseits war eisenbahntechnisch fast nix los, außer den Rangierarbeiten der täglichen Bedienungsfahrt ab Walburg, und das machte ab ca. 1968 bloß eine V 60, während es zwischen Kassel und Eschwege bis 1973 die letzten 50er zu sehen gab. Dann ist die Gegend ziemlich zugewachsen und unfotogen, und schließlich mußte man gerade bei Schüller damit rechnen, einen Hund an den Hals gehetzt zu bekommen. Ich bin einmal auf der Lok mit zu Schüller reingefahren, habe mich aber nicht erdreistet, die Kamera aus dem Führerstandsfenster zu halten.
Am 13. 11. 1984 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel von Hannes Krill: "Der schwarze Pilz von Hischhagen - Die Kasseler Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ein Unternehmen, das ausrangierte Eisenbahnwaggons unter freiem Himmel verbrennt." Demnach wurde der Schrottplatz seit 1971 vom Frankfuter Schrottgroßhändler Walter Trapp (der im Frankfurter Osthafen schon Lokomotiven zerlegte) mit ca. 15 Beschäftigten betrieben, Josef Schüller war Betriebsleiter. Dem Bericht nach übergoß man die Wagen sofort nach Zustellung von der Bundesbahn mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete sie an. Damit sollte alles Brennbare aus den Waggons entfernt sein, bevor sie mit Schneidbrennern zerlegt wurden.
Das Problem beim Ausbrennen ist nun, daß die moderneren Reisezugwagen eben nicht nur aus Holz bestehen, sondern zentner- bis tonnenweise Kunststoffe, Polyurethanlacke und Asbest enthalten. Deshalb war das Ausbrennen unter freiem Himmel nach Bundesimmissionschutzgesetz bereits verboten, und ein Mitbewerber Trapps aus Bayern wandte sich direkt an Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, aus Gründen des gerechten Wettbewerbs die Waggonverbrennung unter freiem Himmel in Hessen endlich zu unterbinden. Der bayerische Mitbewerber hatte eine geschlossene Verbrennungsanlage mit Filtern etc. in Betrieb. (Weiß jemand, welche Firma das gewesen ist? Layritz?)
Das Verbrennen von Waggons wurde im Dezember 1984 eingestellt.
> - Wie lange war denn die Verweildauer der Wagen, bis sie
> zerkleinert wurden? Sprechen wir hier von Tagen, Wochen, Monaten
> oder Jahren? Oder anders gefragt, wieviel Wagen dürften da pro
> Monat/Jahr über den Jordan gegangen sein?
Mir liegt ein Wagenkontrollbuch vor, das offenbar von Juli 1985 bis Juni 1986 geführt wurde.
An Reisezugwagen von 09. Juli 1985 bis 23. Oktober 1985 insgesamt 88 Stück eingegangen, im 1. Halbjahr 1986 keine. Die meisten gingen zwischen 07. Oktober 1985 und 13. Mai 1986 ab, 6 Stück wurden Juni/Juli 1986 ins neue Wagenkontrollbuch übernommen.
Bahndienstwagen gingen ebenfalls nur im 2. Halbjahr 1985 ein, insgesamt 50 Stück. Im Abgang sind 48 Wagen zwischen 07. Oktober 1985 und 13. Mai 1986 verbucht. Ein Wagen wurde ins neue Buch übertragen, und ein Wagen entkam der Verschrottung: 60 80 9927 177-7 wurde "am 09. April 1986 an Hessencourier Kassel abgesandt". Der von Rolf Köstner fotografierte Tender taucht in meinem Buch leider nicht auf, der gehört ins Vorjahr :-(
Güterwagen gingen in beiden Halbjahren ein, insgesamt 176 Stück. Im Gegensatz zu den Reisezugwagen, von denen jeder mehere Monate in Walburg stand, erscheinen Güterwagen teilweise schon nach 4 Wochen im Ausgang. Es gibt aber auch welche, die über ein Jahr standen. 52 Güterwagen wurden ins neue Buch übertragen. 10 Autotransportwagen "Gattung Le" entkamen der Verschrottung, am 14. Juli 1986 wurden 5 Stück nach Bad Schwalbach und 5 Stück nach Gladenbach abgesandt.
Gladenbach scheint als Abstellbahnhof für Laes beliebt gewesen zu sein: [
drehscheibe-online.ist-im-web.de]
Da es im Anschluß Trapp damals nur besagtes ca. 200 m langes Gleis gab, wurde täglich sofort nach Eingang der Wagen verschrottet. Demnach stimmen die Abgangsdaten ziemlich gut mit dem Verschrottungstag überein. Innerhalb des Jahres 1985/86 wurden demnach 82 Reisezugwagen, 48 Bahndienstwagen und 114 Güterwagen verschrottet, total 244 Wagen. Somit war es durchschnittlich arbeitstäglich ein Wagen, aber die Abgangsdaten sind meist dienstags und mittwochs. Somit ist anzunehmen, daß ab Dienstag morgen eine Tranche von ca. 5 Wagen "geschlachtet" wurde, um am folgenden Montag den fertigen Schrott und die wiederzugewinnenden Teile verladen wurden.
> - Hat der Schrotti die Wagen selbst in seinen Anschluß
> (wieviel km vom Bahnhof war dieser denn entfernt?) geholt
> oder kam da die DEE-BEE? Gab es also eine/mehrere Werkloks?
> Wenn ja, welche?
Entfernung 3,8 + 8 = 11,8 km ab Walburg. Bedienung des "Industriestammgleises Hischhagen" durch die DB mit Sperrfahrt von Walburg zur Awanst Hischhagen und dann als Rangierfahrt über die 8 km. (Vor 1973 als Zugfahrt nach Velmeden und erst ab Velmeden unter anderer Zugnummer als Sperrfahrt). Werksloks sind nicht bekannt. Innerhalb des Anschlusses wurde mit Baggern, Gabelstaplern u. ä. auf manchmal nicht ganz erlaubte Weise verschoben. (Bei den zu verschottenden Wagen ist da ja egal, aber den Eaos mit Schottladung nach "Differdanke" (stand so in mancher Wagenliste) sollte man nicht an den Puffertellern ziehen, wie ich es gesehen habe.)
> wurde da sortenrein verschrottet, also ne Reihe Güterwagen dann wieder
> ne Reihe Personenwagen dann ... oder kam da alles kreuz und quer rein?
Da kann ich keine einheitliche Tendenz erkennen - es gab reine Reisezugwagenwochen, reine Güterwagenwochen und auch gemischte Zustellungen am selben Tag.
> in welchem Zeitraum wurde denn dort Wagenmaterial verschrottet?
> Ich meine gelesen zu haben, daß in den 1980er-Jahren etliches los
> war. Kann das jemand präzisieren? Von wann bis wann gab es den
> Schrotti denn überhaupt?
s. o., dicht gemacht hat er irgendwann nach 2003 (?), jedenfalls nach der Stillegung der Kohlenverladung in Epterode.
> wurden dort auch Loks verschrottet? Das würde mich im übrigen mal
> ganz allgemein interessieren: gab es "immer" getrennte Verwerter
> für Loks und Wagen und wenn ja warum war das so?
Ja. Bei den Eisenbahnfreunden Walburg habe ich mal einen Schmalfilm gesehen, der anfangs, d. h. zwischen 1971 und 1973 entstanden sein muß und einige kalte Dampfloks im Schlepp einer, wenn ich mich recht erinnere, 043 (!) in Walburg einfahrend zeigte. Wa snach den Dampfloks kam, weiß ich nicht. Ende der 90er wurden jedenfalls einige Kleinloks bei Schüller zerlegt, aber keine "richtigen" Loks mehr.
Zum Ob und Warum der Trennung kann ich nichts Abgesichertes sagen. Heute dürfte das wegen der vielfältigen Entsorgungsvorschriften ein Spezialistengeschäft sein, aber bis in die 70er Jahre hätte da wohl jeder größere Schrotthändler mit der DB ins Geschäft kommen können.
Grüße,
Martin Balser.