Klaus Wedde schrieb:
-------------------------------------------------------
> dieses Foto aus meiner Sammlung gibt uns einen Einblick in die erste Signal- und Weichenfernsteuerung der Bundesbahn in Nürnberg.
Hallo,
das Linienstellwerk habe ich einige Wochen vor der Außerbetriebnahme im letzten November noch besucht. Zum Schluß waren noch Ochenbruck, Postbauer-Heng, Neumarkt, Seubersdorf, Parsberg, Beratzhausen und Undorf als Bahnhöfe in Betrieb (und sind es heute auch im nachfolgenden ESTW).
Feucht war früher auch mit auf der Tafel, wurde dann aber im Zuge des Baues der S-Bahn (und dem damit verbundenen Umbau) aus dem Linienstellwerk rausgenommen und später mit auf das ESTW Fischbach aufgeschaltet. Die anderen Betriebsstellen, die früher noch Bahnhöfe waren, haben bis zum Schluß als Blockstellen weiter existiert.
In sofern ist mal interessant ein Bild aus den Eröffnungstagen zu sehen.
Die Anlage bestand nicht nur aus dem Linienstellwerk mit Fernsteuerung, sondern auch aus damals neuen Relaisstellwerken der Bauform Dr I vor Ort. Diese wurden im Regelfall nicht besetzt. Ausnahmen waren Parsberg und Neumarkt, welche meines Wissens fast immer besetzt waren.
Die ferngesteuerten Stellwerke ließen sich in mehreren Betriebsarten betreiben. Dies wurde durch Leuchtbuchstaben über/unter den entsprechenden Teilen der Tafel angezeigt.
D: Durchleitbetrieb, also im Prinzip Selbststellbetrieb immer über das durchgehende Hauptgleis, der Linien-Fdl schaut nur zu, was die Anlage macht.
F: Fernsteuerbetrieb, der Linien-Fdl kann komplett fernsteuern und z.B. auch eine Fahrstraße in die Überholung einstellen.
O: Ortsbetrieb, das Stellwerk ist örtlich besetzt und aus der Fernsteuerung heraus genommen.
Die beiden im Regelfall besetzten Stellwerke Parsberg und Neumarkt hatten nur die Betriebsarten O und B. B steht für Befehlsbetrieb. Hierbei konnte der Linien-Fdl über die Tafel nur vorgeben, ob die durch den Fdl vor Ort einzustellende Fahrstraße über die durchgehenden Hauptgleise oder in die Überholung als solche gehen sollte, jedoch nicht genau in welches Gleis. Auf dem Stelltisch in Parsberg/Neumarkt blinkte dann die Ausleuchtung entsprechend dem Befehl des Linien-Fdls auf. Nach Einstellen der entsprechenden Fahrstraße und Festlegung, ging das dann in Standlicht über und der Linien-Fdl sah dann, daß der Befehl ausgeführt wurde. Also ganz klassisch Befehlsabgabe -> Befehlsempfang -> Zustimmungsabgabe -> Zustimmungsempfang.
Rein technisch und konzeptionell war die Anlage als epochal zu bezeichnen, denn sie gab ein Konzept vor, daß damals in Europa wegweisend war, sich aber in Deutschland bis auf dieses eine Mal nicht durchsetzen konnte. Hier wurde nämlich eine Strecke zwischen zwei Knotenpunkten (Nürnberg Hbf und Regensburg Hbf) komplett durchrationalisiert, einheitlich ausgestattet und von einem Punkt aus bedient. So konnte man gegenüber der Alttechnik einen erheblichen Rationalsierungseffekt und Personaleinsparung vor Ort erreichen. Deshalb war im Rücken des Betrachters des Bildes ein weiterer Raum in gleicher Weise für die Fernsteuerung der Strecke nach Würzburg vorgesehen, die aber nie realisiert wurde.
Das Konzept, zuerst die Strecken zwischen den Knoten stellwerkstechnisch durchzurationalisieren und fernzusteuern, den Knoten aber erstmal auszulassen, ist in den Folgejahren (etwa ab 1954) von etlichen Bahnverwaltungen Europas (insbesondere Skandinavien) konsequent durchgezogen worden, weshalb dort die mechanischen Stellwerke heute nur noch ganz vereinzelt anzutreffen sind. Bei der DB konnte man sich dazu nie durchringen und hat solche Komplettaktionen erst so richtig zur ESTW-Zeit gemacht, aber auch da nicht überall. Stattdessen konzentrierte man sich auf die Knotenrationalisierung.
Deshalb (und aus anderen Gründen) ist diese Anlage technisch in der LST-Landschaft der DB Zeit Lebens ein Exot geblieben. Man konnte sich später leider nicht mehr zu einer so durchgreifenden und konsequenten Durchrationalisierung einer Strecke durchringen. Die Auswirkungen davon spüren wir bis heute in Form eines immensen Investitionsrückstaus und bunt gemixten Zoo an Stellwerkstechniken.
Schöne Grüße
Gruppentaste
"Vor meiner Black Mamba geht jeder Schaffner in die Knie."
Harald Schmidt in mobil 04/2009 über seine BahnCard100