Pfingsten 1993 fiel auf den 30./31. Mai, und angesichts dieser späten Lage war das Wetter entsprechend gut: Sonnenschein am Sonntag, etwas wolkiger, aber schön warm am Montag.
Wie bereits verschiedentlich in den Jahren zuvor, nutzten die „Eisenbahnfreunde Flügelrad Oberberg“ im Rahmen eines Frühlingsfestes die Strecke von Dieringhausen nach Bergneustadt für Pendelfahrten mit einem aus zwei B4y und einem B3y gebildeten Zug, an dessen beiden Ende je eine Lok der Karsdorfer Eisenbahn angekuppelt war, um das Kopfmachen an den Endpunkten zu beschleunigen.
Vorher: Am Pfingstsamstag 1993 bringt Werklok 2 der Karsdorfer Eisenbahn den Pendelzug von Bergneustadt nach Dieringhausen. Die Aufnahme entstand im Bahnhof Derschlag. Hinten am Zug läuft Werklok 3 mit.
Bereits am Pfingstsamstag waren einige Pendel angesagt, und ich nutzte diesen Tag, um davon Aufnahmen in Dieringhausen, Niederseßmar, Derschlag und Bergneustadt anzufertigen. Der Pfingstsonntag war einem Besuch bei meinen Eltern vorbehalten, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bahnhof Derschlag wohnten. Zum Kaffeetrinken wählten wir angesichts des schönen Wetters die Terrasse vor dem Haus, die auch einen knappen Blick auf die Gleise erlaubte. Mehrfach kam der Sonderzug vorbei, und ich entsinne mich genau, dass dies mit jeweils deutlich höherer Geschwindigkeit geschah, als dies zu „Planzeiten“ der Fall gewesen war. Die komplizierte Gleislage an der östlichen Bahnhofsausfahrt (DKW + Kreuzung in unmittelbarer Folge, dazu enger Radius mit BÜ und Spurschiene) war in früheren Zeiten häufiger Anlass zu Entgleisungen, weshalb stets mit besonderer Vorsicht gefahren wurde. Davon schien das Personal auf den Sonderzügen jedoch nichts zu wissen. Es passierte ja auch nichts – jedenfalls noch nicht...
Vorher: Ein Nachschuss auf den Zug. Am Schluss istz die Werklok 3 zu sehen. Die Zuglok am anderen Ende passiert soeben den westliche BÜ, an dem ihre Fahrt zwei Tage später jäh enden wird.
Der Pfingstmontag diente einem Ausflug nach Dillenburg und an die Lahntalbahn, wo 94 1292 mit einem Fotozug unterwegs war. Am Nachmittag fuhr ich von Weilburg aus zurück und kam auf diese Weise auch durch Derschlag, nachdem ich meinen Begleiter in Bergneustadt abgesetzt hatte. Seltsamerweise herrschte im Ort ein Verkehrsstau, und die Straßenränder waren durchweg zugeparkt. Nachdem ich mich im Kriechgang bis zum Bahnhof vorgearbeitet hatte, wurde die Bescherung erkennbar: Der lag ein Lok und ein Teil des Sonderzuges „im Dreck“, wie die Eisenbahner zu sagen pflegten, wenn ein Schienenfahrzeug unplanmäßig die Gleise verlassen hatte.
Nachher: Ende einer Pfingstfahrt nach der Entgleisung am westliche BÜ in Derschlag. Kranwagen sind bereits dabei, die Bergung vorzubereiten.
Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Die Kameraausrüstung war ja dabei, aber an einen Parkplatz war nicht zu denken. Also mußte ich das Grundstück meiner Eltern ansteuern, und den Wagen dort abstellen. Bewaffnet mit Kamera und Presseausweis drank ich durch alle möglichen Absperrungen und Unmengen Schaulustiger bis zum Unglücksort vor. Die bergseitig angespannte Lok war auf dem einzigen damaligen Durchfahrgleis (Gleis 2) vor dem westlichen BÜ mit dem ersten B4y entgleist und hatts sich in bedenklicher Schieflage in den Schotter gebohrt. Zwei Straßenkranwagen eines örtlichen Unternehmers waren inzwischen in Stellung gebracht, Feuerwehr Polizei und Rettungsdienst waren anwesend.
Ungewöhnliche Perspektiven ermöglicht die starke Schräglage der Lok.
Ich erkundigte mich nach Hergang und Schadensumfang und verschaffte mir mit meinem Ausweis Zugang hinter die Absperrungen, um das Malheur im Bild festzuhalten. Bereits gegen 10.40 Uhr war der Zug entgleist. Es gab einige Leichtverletzte und viele, denen vor Schreck die Knie weich geworden waren, aber keine Schwerverletzten oder Tote – glücklicherweise!
Die beiden anderen B4y und die Lok 2 waren bereits nach Dieringhausen abgefahren worden. Der entgleiste Wagen wird gerade wieder ins Gleis gesetzt. Dass Lok und Wagen nicht umstürzten ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass sich die Fahrzeuge beim Entgleisen ineinander verkeilten. Der Sachschaden war jedenfalls nicht unbeträchtlich.
In der Presse war das Ereignis einige Tage lang der Aufmacher im Lokalteil. Mutmaßungen über zu hohe Geschwindigkeiten wurden auch hier angestellt. Für die DB war auch ganz schnell alles klar: zu schnell! Erst viel später stellte sich heraus, dass nicht zu hohe Geschwindigkeit, sondern eine Spurerweiterung zum Entgleisen geführt hatte. Über die Regulierung des Schadens wurde nach meiner Erinnerung noch lange gestritten.
Das betroffene Gleis 2 im Bahnhof Derschlag ist nicht mehr instand gesetzt worden. Vielmehr wurde Gleis 1, das zwischenzeitlich als Ladegleis von der Raiffeisengenossenschaft genutzt worden war, wieder als Durchfahrgleis verwendet und Gleis 2 gesperrt. Wenig später endete aber auch der spärliche Rest-Güterbetrieb auf diesem Streckenast und die Gleise wurden von der Natur zurück erobert.
Es grüßt
Der Bergische!
Eintrag editiert (07.10.05 19:21)
Jeder Dritte, der nach Bildmaterial zu diesem Beitrags fragt, wird erschossen. Zwei waren schon da...