Radtouren sind eine schöne Angelegenheit – ich selber verbringe im Urlaub und bei anderen Gelegenheiten jedes Jahr viele Stunden auf meinem Drahtesel. Vor einigen Wochen geriet mir jedoch eine solcher Ausflug zum schieren Horrortrip!
Einen Gutteil ihres Weges verlief die Bahnstrecke Olpe – Kirchen/Sieg im Tal des Asdorfer Bachs. Große Abschnitte der einstmals sehr interessanten Bahnstrecke sind inzwischen abgebaut, nur an wenigen Stellen kann man heute noch die Vergangenheit halbwegs nachvollziehen.
Ich bin in den 70er und 80er Jahren häufig an dieser Strecke gewesen, insbesondere am Abschnitt Freudenberg – Kirchen/Sieg, weil dort regelmäßig der Güterverkehr mit 50ern vom Bw Betzdorf abgewickelt wurde. Den Personenverkehr hatten damals bereits die 795 und 798 vom Bw Betzdorf im Griff. Aber immerhin, nur wenige Jahre nach dem Ende der 50er boten die „Schomse“ Anlass, die Strecke erneut abzumetern.
Ich bin lange nicht im Asdorftal gewesen, aber, wie gesagt, vor ein paar Wochen verschlug es mich mit dem Rad dorthin, weil mir mein ebenfalls radfahr-begeisterter Schwager von dem sehr schönen Radweg berichtet hatte, der auf dem Bahndamm inzwischen Freudenberg und Kirchen inzwischen eingerichtet worden ist. Schnell noch ein paar historische Fotos von 50ern und Schomsen eingepackt – und los ging’s an einem der bislang wenigen trockenen Samstage dieses Sommers.
Ohne mich um das gerümpelhafte Umfeld des ehemaligen Freudenberger Bahnhofs zu kümmern, „gleiste“ ich mit dem Rad am Oberasdorfer Weiher ein. Nachdem der anfängliche Ärger über die defekte Schaltung angesichts der zu erwartenden, nur geringfügigen Steigungen schnell verrauscht war, passierte ich in flotter Fahrt eine Reihe mir noch gut erinnerlicher Fotostellen und erreicht alsbald das Bahnhofsgelände von Niederfischbach. Vom Bahnhof und dessen ursprünglich sehr modernem Bahnhofsgebäude ist heute nichts zu sehen. Eine kleine Sammlung eisenbahntechnischer Devotionalien, von privater Hand zusammengetragen, hält einzig die Erinnerung an den einst durchaus lebhaften Bahnverkehr heute noch wach.
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In den frühen Morgenstunden des 21. Juli 1975 steht 052 908 vom Bw Betzdorf im Bahnhof Niederfischbach und wartet darauf, eine Übergabeleistung zu fahren. Man beachte bitte die kleine Fichte vor dem Bahnhofsschild. Dieser Baum ist in der nächsten Aufnahme dann nicht mehr zu übersehen!. Im Hintergrund rechts von der Lok ist eine Art Güterschuppen zu erkennen. An diesem Gebäude befindet sich heute das örtliche Eisenbahnmuseum. Damals freilich war davon noch nichts zu erahnen.
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So sieht es heute (Mai 2005, wie alle folgenden aktuellen Aufnahmen) in Niederfischbach aus. Hinten rechts ist die Museumssammlung mit dem erwähnten Gebäude zu sehen. Die Aufnahme muss von dort aufgenommen sein, wo sich früher der Bahnsteig befand, wie die Position der Fichte erkennen läßt. Das Empfangsgebäude befand sich rechts vom Standpunkt. Nicht einmal spuren sind heute noch davon zu sehen. Ob sich die Radfahrer eine Vorstellung davon machen, wie es auf ihrem Weg vor 30 Jahren aussah?
Da muss es einen angesichts der hier erstmals zum Vergleich ausgepackten Fotos schaudern. Immerhin ist noch auszumachen, aus welcher Perspektive die „Altertümchen“ – sie wurden 1974/75 aufgenommen – gemacht wurden.
Weiter geht es mit dem Rad – die Frau hat wenige Verständnis für die nostalgischen Schwärmereien, sie will endlich die versprochenen Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke „erradeln“ (habe ich ihr etwa zuviel angekündigt? Nein, das ist doch alles sehenswert hier...) – nun für einen längeren Abschnitt neben der Straße. Auch hier wieder allenthalben bekannte Örtlichkeiten, ausgeführte und verpasste Motive.
Man erreicht den ehemaligen Gleisanschluss Büdenbender am Ortsausgang von Eicherhof. Da ist inzwischen längst ein anderer Betrieb drin. Von der einstigen Verladerampe ist kaum noch was zu erkennen, nur das eigentliche Firmengebäude ist noch zu identifizieren. Wo mag der Zweiwege-Unimog hin gekommen sein nach dem Ende des Bahnbetriebs, geht es mir durch den Kopf. Denn hätte man damals auch eines Bildes und nicht nur eines Blickes würdigen müssen – aber Dias waren halt teuer...
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Unsere 052 908 hat sich vom Bahnhof Niederfischbach nach Eicherhof begeben, etwa 1 km weiter in Richtung Kirchen/Sieg gelegen. Hier bedient die Lok den Anschluss Büdenbender. Einst rangierte hier eine kleine Diesellok, bevor diese Dienste von einem Zweiwege-Unimog übernommen wurden. Die eigentliche Bahnstrecke verläuft links etwas erhöht, neben der Landstraße. Der Kilometerstein markiert die Lage der Gleise.
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Und so sieht diese Stelle heute aus. Nichts als geteerte Flächen, wo einst die Gleise lagen. Von der Firma Büdenbender, die Fässer und ähnliches Dinge herstellte, ist nichts mehr zu sehen. Längst ist ein anderer Betrieb in deren Hallen eingezogen.
Wenige hundert Meter weiter bietet Schloss Junkernthal (da gab es mal einen Haltepunkt) mit der alten Brücke und dem Stauwehr nun auch der Gattin den bereits angemahnten kulturellen Genuss.
Danach wird’s hart, ich ahne es – nicht nur für sie, auch für mich. Denn eigentlich müsste jetzt der große Industriekomplex der Friedrichshütte zu Wehbach kommen. Aber denkste, nix da! Was sich nun auftut, hat mit einem Hüttenwerk von einstmals beachtlichem Umfang und von der früher für den Bahnhof Wehbach so prägenden Atmosphäre nichts, aber auch gar nichts mehr gemeinsam. Was wir sehen ist nur noch eine einzige ältere Halle, ansonsten passieren wir ein typisches, nicht sonderlich gepflegtes Gewerbegebiet mit seinen jegliche Architekturansätze verneinenden Gebäuden. Halt, das muss das frühere Bahnhofsgebäude sein. Die Substanz mit den verschieferten Fassaden, dem Vorbau und anderen Zutaten mutet nach Bahnhofsbau an, wenn die Fensterrahmen einst nicht so farbenfroh lackiert waren. Der ehemalige Bahnhofsvorplatz ist völlig umgestaltet. Wo einst die Droschken hielten stehen jetzt Bierzeltgarnituren, und im Bahnhof selbst hat sich eine Biker-Kneipe eingerichtet. Das versöhnt ein wenig, denn immerhin ist diese Art Nutzung besser als eine bauliche Totaloperation, wie sie in Niederfischbach „gepflegt“ wurde. Aber dass die ganze Hütte inzwischen platt ist, nimmt mich doch so mit, dass ich mir im Schatten der baulichen Nachfolger keine Apfelschorle gönne. Nach wehmütigen Blicken auf die alten Fotos und ein paar schnellen Vergleichsfotos gibt’s nur eins: weg hier!
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Was für ein Anblick: Zugkreuzung im Bahnhof Wehbach anno 1980. Links eine Einheit 798/998 in Richtung Freudenberg, rechts ein 795/995 nach Betzdorf. Absolut dominant die Friedrichshütte mit ihren gigantischen Hallen. Linkerhand das Bahnhofsgebäude mit dem Vorbau für den Fahrdienstleiter. Eine Bilderbuch-Eisenbahnatmosphäre herrschte hier, auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Hütte bereits nicht mehr als solche in Betrieb war und nur noch Schienenbusse fuhren.
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Ist es heute nicht schön hier? Das links zu erkennende Biergarten-Idyll hilft dem eisenbahnkundigen Gast auch nicht über die Trostlosigkeit auf dem ehemaligen Hüttengelände hinweg.
Auch im folgenden Abschnitt halte ich verschiedentlich an, vergleiche und fotografieren. Sicher, überall fehlen Gleise und Schotter, ab insgesamt hat sich nicht so viel verändert. Nach dem Überqueren einer (für mich) völlig neuen, wahrscheinlich aber auch schon 15 Jahre alten Ortsumgehung nähert sich der Haltepunkt Jungenthal und mit ihm die Lokomotivfabrik Jung in Jungenthal bei Kirchen an der Sieg. Schon an der einstige Engstelle nahe dem Parkplatz der Spedition Hermanns (alles völlig anders, da wird die alte Straße jetzt als Parkplatz und Firmengelände genutzt, und von den Krupp-Sattelzügen ist erwartungsgemäß auch nix mehr übrig) droht neues Ungemach. Häuser sind verschwunden, die Kneipe und der knuffige Tante-Emma-Laden existieren nicht mehr, die Verbindung der Dorfstraße zu neuen Umgehung hat alles verändert.
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Besonders prägnant war für die Strecke Kirchen – Freudenberg immer die Engstelle beim Haltepunkt Jungenthal, der unmittelbar an der Lokfabrik lag. Vor allem der Steilhang links sorgte gelegentlich für „schraddelnde Geräusche“ und bleiche Fahrgäste, wenn nämlich ein vierachsiger Reisezugwagen – wie beim Sonderzug mit 065 013 an Karsamstag 1969 geschehen – die felsige Böschung streift. Eng war es aber nicht nur für die Schienenfahrzeuge, auch für den Straßenverkehr; die zahlreichen Bremsspuren zeugen von diversen unliebsamen Begegnungen. In Höhe der Lok befand sich ein mit Blinklicht gesicherter BÜ. Rechterhand befindet sich mehr oder weniger „auf der Straße“ eine Gaststätte, über deren Eingang noch die alte Werbung der Siegtal-Brauerei (heute Erzquell) zu Niederschelden hängt. Im rechten Teil des Gebäudes war der Tante-Emma-Laden.
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Nicht nur die Gaststätte rechts macht heute einen traurigen Eindruck. Sie ist auch längst nicht mehr geöffnet, und die Fenster rechts zeigen auch keine Lebensmittel-Auslage mehr. Eher noch trauriger sieht es auf dem früheren Gleisplanum aus. Immerhin ist der Durchgangsverkehr heute weg: Die Umgehungsstraße hat Autofahrer umgeleitet, aber auch die Kneipengäste...
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Genau aus der entgegengesetzten Perspektive der vorigen beiden Aufnahmen entstand dieses Bild, das eine 50er mit einer kurzen Übergabe in Richtung Freudenberg im Gegenlicht zeigt. Wieder befindet sich die Lok genau auf dem bereits erwähnten BÜ, gegenüber sieht man die in die Straße hineinragende Kneipe. Nicht nur das hochgelegte BÜ-Blinklicht ist hier interessant, auch der VW 1600 TL ist heute ein Fall für Liebhaber (damals wahrscheinlich auch schon). Wer kennt noch den langen Aufkleber, der so schön die hinten liegende Motorhaube ziert? „Stubaitaler Gletscherbahn“...
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Man muss schon wissen, dass es sich bei diesem Bild um eine Aufnahme von nahezu identischen Standort wie das vorige Bild handelt. Braucht es da noch Erläuterungen, was sich alles verändert hat?
Und die Lokfabrik? Die Hallen sind noch da, aber sie stehen teilweise leer oder sind an kleiner Unternehmen vermietet. Jung selber gibt es bekanntlich nicht mehr. Die Freifläche, auf der einst Stahlprofile lagerten, ist bebaut. Und an der Stelle, wo früher die Dampfloks an die Bundesbahn übergeben wurden, dient inzwischen als Parkplatz für den unvermeidlichen Lidlmarkt.
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050 904 kommt von im Sommer 1975 von einer Übergabe aus Wehbach zurück. rechts ist eine Halle der Lokomotivfabrik Jung zu sehen. Unmittelbar neben der Lok befindet sich das Übergabegleis zu Jung. Hinter dem Lattenzaun standen einst die nagelneuen Dampfloks und warteten auf ihre Übergabe an die DR bzw. DB. Auch 23 105 ist als letztgebaute DB-Dampflok einst durch dieses Tor gefahren, am 6. Dezember 1959.
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Heute: Nix mehr mit Lok, jetzt nur noch Lidl, und Kik! Da kommt einem das kalte Grausen!!! Nahezu der einzige offensichtliche „Festpunkt“ zur vorherigen Aufnahme ist die Kik-Halle. Die Straße hat einen völlig neuen Verlauf bekommen (nach links abzweigend). Ist doch schön hier, oder???
Fassungslos suche ich nach im Meer der Reklameschilder, Fahnen und Wellblechverkleidungen nach „Festpunkten“, die auf den alten Fotos auch schon zu sehen waren. Es gibt sie noch, aber man muss schon genau hinschauen.
Von derart grober Verschandelung geschockt trete ich die Heimfahrt an, schaue kaum noch nach links oder rechts, sondern erfreue mich am wunderbar glatten Fahrbahnbelag, der das Treten so schön leicht macht. Hätte ich nicht die vielen angenehmen Erinnerungen daran, wie es früher im Asdorftal ausgesehen hat, man könnte glatt den Eindruck gewinnen, dass es sich um eine immer schon fürchterliche Gegend handele. Aber damit würde man der Landschaft und den Menschen, die dort leben, sicher Unrecht tun. Nein, die Landschaft kann schließlich nichts für die Lidls und all’ die anderen famosen Unternehmen mit ihren ach so hübsch und anmutig gestalteten Gebäuden. Trotz des Drecks und des Lärms und der sicher sehr schweren Arbeit in der Wehbacher Hütte, der Lokomotivfabrik oder in den umliegenden Betrieben, früher muss das Leben hier doch schöner hier gewesen sein, oder? Wenigstens für jemanden, der sich für die Eisenbahn interessiert, oder? Lok oder Lidl – ich wüsste schon, wofür ich mich entscheiden würde...
Eine Bemerkung zum Abschluss: Ich hatte leichtfertigerweise in grauer Vorzeit einmal eine umfangreiche Abhandlung über die Asdorftalbahn angekündigt. Das Projekt ist auch nicht in Vergessenheit geraten, aber mir fehlt einfach die liebe Zeit dazu. Dieser „kurze Fetzer“ soll kein Ersatz für das große Projekt sein, aber alle, die schon sehnsüchtig darauf warten, ein wenig freundlich einstimmen und noch eine Weile vertrösten. In diesem Sinne wünscht trotz der schlimmen Fotos ein angenehmes Verweilen bei diesem Beitrag
Der Bergische!