Ein paar Anmerkungen zuvor:
Ich möchte dem „Philosophen“ nicht ins Handwerk pfuschen; dieser Beitrag ist mit Carsten abgesprochen.
Angeregt durch die Reihe Holzminden – Scherfede hatte ich vor einigen Wochen eine E-Mail mit der Frage an die Stadt Beverungen geschickt, ob eventuell im Heimatarchiv Unterlagen und Fotos über die dortige Drehscheibe vorhanden sind. Freundlicherweise machte mich Herr Sander von der Tourist Information Beverungen (www.beverungen.de) auf einen Artikel von Herrn Werner Borchert in Heft Nr. 90/1996 der Zeitschrift „Die Warte, Heimatzeitschrift für die Kreise Paderborn und Höxter“ ( [
www.die-warte.de] ) aufmerksam. Herr Grabe von der Zeitschrift „Die Warte“ und der Autor des Artikels, Herr Werner Borchert, erklärten sich dankenswerterweise mit der Wiedergabe in diesem Forum einverstanden. Zusätzlich stellte Herr Brochert noch zwei Originalfotos aus dem Artikel zur Verfügung. Allen Beteiligten sei an dieser Stelle für ihre Unterstützung herzlich gedankt.
Herr Bernard Huguenin machte dankenswerterweise diese detaillierte, von ihm erstellte Zeichnung zugänglich, die ich mit seiner Genehmigung hier zeigen darf:
Um den Artikel im Internet besser lesbar zu machen, habe ich ihn noch einmal abgeschrieben, wobei Herr Borchert den ursprünglichen Text freundlicherweise noch um zwei Absätze über die Hebelbänke in den Abzweigstellen ergänzt hat.
Nach dieser langen Vorrede nun zu dem eigentlichen Artikel:
Die Verbindungsbahn bei Amelunxen
Vor 50 Jahren in Betrieb genommen
Von Werner Borchert
Auf den zweigleisigen Hauptbahnstrecken Ruhrgebiet – Hamm – Altenbeken – Ottbergen – Northeim – Nordhausen und Ottbergen – Holzminden – Kreiensen – Braunschweig hatte der Zugverkehr im Zweiten Weltkrieg einen starken Umfang angenommen. Es verkehrten täglich 300 bis 400 Zugfahrten.
Die Deutsche Reichsbahn mußte damit rechnen, daß die strategisch wichtigen Eisenbahnbrücken über die Weser bei Meinbrexen, Fürstenberg und Corvey einem Luftangriff zum Opfer fallen könnten. Obwohl die Brücken mit einigen Sperrballons und Flugabwehrgeschützen gesichert waren, plante die Reichsbahn, 500 m östlich des Haltepunktes Amelunxen eine Verbindungsbahn von der zweigleisigen Hauptbahn Ottbergen – Northeim zur zweigleisigen Hauptbahn Scherfede – Holzminden – Kreiensen zu bauen. Bei einer Zerstörung der Brücke bei Meinbrexen oder Corvey hätte der Eisenbahnbetrieb ohne Kopfmachen in Wehrden weitergeführt werden können.
Aber erst im Spätherbst 1944 hat man mit dem Bau der Verbindungsbahn begonnen. Die neue Trasse war nur 1,1 km lang und wurde von der Organisation Todt (OT) und der Baufirma Trako-Speer vermessen, geplant und ausgeführt. Das dafür benötigte Land mußten die Eigentümer abgeben. Es ging in den Besitz der Reichsbahndirektion Kassel über, die auch die Entschädigung regelte.
Die Erdarbeiten erledigten etwa 30 Fremdarbeiter in Handarbeit. Für Erdbewegungen standen Kipploren auf Feldbahngleisen in geringer Zahl zur Verfügung. Als schweres Gerät war eine Kettenraupe im Einsatz. Über diese Bauvorhaben sind keine schriftlichen Berichte vorhanden, auch nicht in den Ortschroniken der Gemeinden Amelunxen und Wehrden, obwohl die Trasse 600 m durch die Gemarkung Amelunxen und 500 m durch die Gemarkung Wehrden führte. In den ersten Tagen des Monats April 1945 erging der Befehl, die Arbeiten einzustellen und die Baustelle zu räumen. Unter Zurücklassung der Kettenraupe, der Feldbahnloren und Gleise, einiger Pferde und Werkzeug mußte sich die Baukolonne über Beverungen und Lauenförde in den Solling zurückziehen, weil alle Brücken, die über die Weser führten, zur Sprengung vorbereitet wurden.
Bei der Eroberung durch amerikanische Einheiten am 6. April 1945 wurde das friedliche Nethedorf zum Schauplatz blutiger Häuser- und Straßenkämpfe. Beim Rückzug der deutschen Truppen sprengten diese auch Straßenbrücken bei Godelheim, Ottbergen und Wehrden. Das ehemals gesteckte Ziel, Bau einer Verbindungsbahn bei Amelunxen, konnte nicht vollendet werden.
Nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 8. Mai 1945 war die Reichsregierung entmachtet. Für Ruhe und Ordnung sorgte die Militärregierung. Der Eisenbahnverkehr kam fast völlig zum Erliegen. In den folgenden Monaten wurde ein lokaler Verkehr wieder aufgenommen, so von Ottbergen bis Altenbeken und Beverungen. „Der Aufbau der gesprengten Weserbrücken bei Meinbrexen, Fürstenberg und Corvey wird wohl noch auf sich warten lassen“, schrieb damals der Oberlehrer Josef Leßmann in die Amelunxer Schulchronik. Erst mit der allmählichen Herstellung von durchgehenden Verbindungen kam auch der Verkehr über weitere Eisenbahnstrecken wieder in Gang, bei dem die Transporte der Besatzungsmächte und die Verteilung der lebenswichtigen Güter den Vorrang hatten. In jeder Reichsbahndirektion war ein Railway Traffic Officer (RTO) eingesetzt, der die Belange der Militärregierung vertrat und koordinierte. Das galt für die englische Besatzungszone, aber auch für die Versorgung der Truppen und Einwohner des britischen Sektors in Berlin.
Deshalb entschied die britische Militärregierung, die Eisenbahnbrücke bei Fürstenberg als erste aufzubauen und den Weiterbau der Verbindungsbahn bei Amelunxen zu veranlassen, um damit einen durchgehenden Zugverkehr vom Ruhrgebiet nach Berlin über Altenbeken – Ottbergen – Braunschweig zu ermöglichen. Für die Ausführung der Bauarbeiten war jetzt die Reichsbahndirektion Hannover zuständig.
Schon im Herbst 1945 kamen die ersten britischen Pioniere und besichtigten die Trasse. Nach und nach richteten sie die Baustelle mit Arbeitsgeräten und Maschinen ein. Die Herstellung des Unterbaues erfolgte durch zwei Kettenraupen mit Selbstbeladewagen. Das Erdreich bestand aus Lehm, Ton und Mergel. Dieses schürften die Raupen an höhergelegenen Stellen ab, um es später in Bodensenkungen zu entladen. Eine starke Planierraupe besorgte die Verdichtung der Erde. Auf einer Entfernung von 600 m mußte ein Höhenunterschied von 7 m ausgeglichen werden.
Die Beschaffung der Oberbau- und sonstigen Stoffe, das waren Schienen, Stahlschwellen, Verbindungslaschen und Kleineisen, sowie Signal- und Fernmeldebaustoffe und Bauholz für die Errichtung der Gebäude für die zwei Abzweigstellen erfolgte durch die Bahnmeistereien in Ottbergen und Fürstenberg. Der Grundriß beider Stellwerke betrug 3,90 m x 5,25 m = 20,5 Quadratmeter. Auf einem Betonsockel errichteten Privatfirmen Holzfachwerke. Die Ausmauerung erfolgte mit Ziegelsteinen. Weil die Reichsbahn nach dem Aufbau der Meinbrexer und Corveyer Eisenbahnbrücken in acht bis zehn Jahren das Verbindungsgleis mit den Abzweigstellen zurückbauen wollte, wurden die Gebäude in Leichtbauweise errichtet.
Auf ein Basaltschotterbett von 50 cm Höhe verlegte der Bautrupp 1315 Ottbergen die Stahlschwellen und Schienen und führte ebenfalls die gesamten Stopfarbeiten aus. Der Oberbau mußte so gebaut werden, daß er Achslasten von 20 t und Meterlasten von 5,6 t aufnehmen konnte.
Danach errichteten Pioniersoldaten im Frühjahr 1946 einen Wasserdurchlaß aus Klinkersteinen für einen Bachlauf, an beiden Seiten des Gleises Entwässerungsgräben und die Rampe für eine Schranke. Wie die Tageszeitungen berichteten, wurde zugleich fleißig am Wiederaufbau der Fürstenberger Eisenbahnbrücke gearbeitet. Der von der Reichsbahndirektion Hannover festgesetzte Termin für die Inbetriebnahme der Verbindungsbahn zum Sommer 1946 sollte unbedingt eingehalten werden. Darum verstärkte die Bauleitung die Arbeiten an den Abzweigstellen. Nach Fertigstellung der Gebäude begann ein Signalbautrupp aus Hannover mit dem Einbau der erforderlichen Signalanlagen. Dabei wirkte der örtliche Signaldienst mit.
Rottenarbeiter bauten bei Steinberg in das Gleis Fürstenberg – Wehrden die einfachen Weichen 5 und 6 , in das Gleis Wehrden – Fürstenberg die Weiche 7 ein. Anschließend erfolgte im Bereich Wildberg der Einbau der Weichen 2 und 3 in das Gleis Wehrden – Ottbergen und in das Gleis Ottbergen – Wehrden der Einbau der Weiche 1. Bei Bedarf konnten Arbeitszüge von Steinberg her das Verbindungsgleis als Rangierfahrt befahren.
Der Einbau der mechanischen Signal- und Blockeinrichtungen erfolgte durch einen Stellwerksbautrupp aus Hannover unter Mitwirkung der örtlichen Signalwerkmeister. Auf die Hebelbank der Abzw Wildberg mußten die Weichenhebel der Weichen 1, 2, 3, die Riegelhebel I, II, III und die Signalhebel A hoch 1, A hoch 2, B und C hoch 2 eingebaut werden. Im Außenbereich, rechts an der Böschung des Gleises Ottbergen – Wehrden, 200 m vor der Abzw Wildberg, war der Standort des Blocksignals A, als A hoch 1 einflügelig zur Fahrt nach Wehrden, als A hoch 2 zweiflügelig zur Fahrt nach Steinberg. 200 m östlich von Wildberg, rechts am Gleis Wehrden – Ottbergen, der Standort des einflügeligen Blocksignals B zur Fahrt nach Ottbergen; und in der Verbindungsbahn, ebenfalls 200 m östlich von Wildberg, rechts am Gleis der Fahrtrichtung Steinberg – Wildberg, der Standort des zweiflügeligen Blocksignals C hoch 2 zur Fahrt nach Ottbergen. Der Streckenabschnitt von der Abzw Wildberg nach Ottbergen und von der Abzw Steinberg nach Fürstenberg wurde als Gemeinschaftsstrecke bezeichnet.
Auf die Hebelbank der Abzw Steinberg mußten die Weichenhebel, Weichennummern 5, 6, 7, die Riegelhebel I und II, daneben die Signalhebel D hoch 2, E, F hoch 1, F hoch 2, die Vorsignalhebel Vb und Vc eingebaut werden. Das Vorsignal Vb zum Hauptsignal B des Bahnhofs Wehrden (Weser) und das Vorsignal Vc der Abzw Wildberg wurden vom Fahrdienstleiter der Abzw auf Fahrt gestellt. Beide Signalhebel waren mit einer Signalhebelsperre ausgerüstet. Der Hebel konnte erst, nachdem ein Klingelzeichen ertönte, auf Fahrt gestellt werden. Das Klingelzeichen ertönte erst dann, wenn das Signal auf Fahrt stand. Erst danach wurde die Hebelsperre freigegeben.
Die Beamten, die später den Betriebsdienst übernehmen sollten, hatten dafür rechtzeitig an Ort und Stelle Einweisungen erhalten. Der Grundbedarf erforderte sechs Fahrdienstleiter und einen Umaufablöser mit bestandener Telegraphenprüfung, denn die Zugmeldungen mit lesbaren Morsezeichen wurden von Fahrdienstleiter zu Fahrdienstleiter telegraphisch gegeben.
Schon ab 2. Mai 1946 konnte der im Februar 1945 durch einen Luftangriff teilweise zerstörte Eisenbahnviadukt bei Altenbeken eingleisig, mit 10 km/h befahren werden.
Wenige Wochen später war der Wiederaufbau der Fürstenberger Eisenbahnbrücke beendet. Für den Zugverkehr in den folgenden Monaten stand aber auch vorerst nur ein Brückengleis zur Verfügung.
Anfang Juni 1946 nahm der Vorstand des Betriebsamtes in Höxter jede Abzweigstelle mit den Weichen, Signal- und Blockeinrichtungen ab. Die Inbetriebnahme wurde am 14. Juni 1946 durch die Reichsbahndirektion Hannover im Amtsblatt der RBD Hannover Nr. 374/1946 verkündet. Durch all diese Baumaßnahmen war ein durchgehender Zugverkehr vom Ruhrgebiet über Altenbeken, Ottbergen, Kreiensen, Braunschweig nach Berlin wieder hergestellt. Zunächst fuhren überwiegend Güterzüge durch die Verbindungsbahn. Am 17. Juli 1946 folgte der Personenverkehr in neu aufgestellten Fahrplänen von Kreiensen – Holzminden in Richtung Paderborn, aber auch von Holzminden nach Scherfede.
Die Abwicklung des Betriebsdienstes bei den Abzweigstellen verlief reibungslos. Die Fahrdienstleiter verrichteten an Werktagen acht Stunden, an Sonntagen zwölf Stunden Dienst bei durchgehender Besetzung. Dem Vorsteher des Bahnhofs in Wehrden oblag die Überwachung und Unterrichtung der Fahrdienstleiter. Bei Zugverspätungen und beim Verkehren von Sonderzügen hatte der Fahrdienstleiter der Abzweigstelle Steinberg die Aufgabe, unter Beachtung der Rangordnung der Züge, die Betriebsabwicklung im Raum Ottbergen – Wehrden – Holzminden zu leiten und die neue Reihenfolge der Züge zu bestimmen.
In den Anfangsjahren sind die betrieblichen Leistungen stetig gestiegen, denn durch die Verbindungsbahn rollte der gesamte Personen-, Güter- und Sonderzugverkehr in Richtung Ost und West. Das änderte sich erst, als Ende Dezember 1948 der Wiederaufbau der Meinbrexer Weserbrücke beendet war. Mit der Wiederaufnahme des durchgehenden Eisenbahnbetriebs von Ottbergen nach Northeim und weiter bis Walkenried verminderten sich die Zugfahrten durch die Verbindungsbahn, denn auch Göttingen konnte nun wieder direkt angefahren werden, während Reisende vorher den Umweg über Kreiensen nehmen mußten. Ab Frühjahr 1953 begann die nunmehrige Bundesbahn mit Umstellungen im Zugmeldedienst. Die Morseapparate und Abläutevorrichtungen wurden streckenweise abgebaut und durch Zugmeldeleitungen ersetzt, das bedeutete, die Läutesignale und Zugmeldungen wurden mittels Fernsprecher gegeben und von einem Sprachspeicher aufgezeichnet. Das war eine von vielen sinnvollen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Rationalisierung und Modernisierung der Deutschen Bundesbahn.
Die Ausschreibungen für den Wiederaufbau der Corveyer Eisenbahnbrücke erfolgten 1952, aber erst ab 3. Oktober 1954 waren die Brücke und der Streckenabschnitt von Höxter bis Holzminden eingleisig befahrbar. Das bedeutete für die Verbindungsbahn eine weitere Verringerung des Zugverkehrs; es waren von nun ab nur noch 45 bis 50 Zug- und Lokomotivleerfahrten in 24 Stunden. Fast zehn Jahre nach der Zerstörung waren alle drei Eisenbahnbrücken über die Weser wieder aufgebaut.
Somit war der eigentliche Zweck der Verbindungsbahn bei Amelunxen erfüllt. Die Erz- und Durchgangsgüterzüge fuhren weiterhin planmäßig in der jahrelang bewährten Relation, einschließlich aller kurzfristig eingelegten Sonderverkehre, die über Höxter wegen der eingleisigen Strecke und der dort verkehrenden Eil- und Personenzüge nicht durchgeführt werden konnten. Auf den Streckenabschnitten Bodenfelde – Wehrden und Ottbergen – Höxter – Holzminden hatte die Bundesbahndirektion Hannover Nachtruhe eingeführt, in der Zeit von 23.00 Uhr bis 4.00 Uhr. Dagegen blieb die Strecke Ottbergen - Abzweigstelle Steinberg – Holzminden Tag und Nacht durchgehend besetzt.
Als ab April 1962 der Erzverkehr nicht mehr über Ottbergen lief, wurde die Stillegung der Verbindungsbahn eingeleitet; sie erfolgte am 11. Dezember 1964. Der Rückbau der Anlagen dauerte noch mehrere Monate. Ein Jahr später kaufte eine Privatfirma das Schotterbett und transportierte den Basaltschotter ab.
Heute, nach 30 Jahren, ist die Trasse mit Sträuchern und Bäumen dicht bewachsen und für viele Singvögel, darunter auch die so selten gewordene Nachtigall, zum neuen Lebensraum geworden.
Soweit der Artikel von Herrn Borchert. Es folgen zwei Fotos von Herrn Borchert mit seinen Bildunterschriften.
Abzw. Steinberg mit dem Fahrdienstleiter Hans Kollmann, der 1977 verstorben ist:
Die Abbildung zeigt die zweigleisige Strecke Wehrden - Steinberg mit Blocksignal E in Stellung Hp 1, an der rechten Seite ein Gleisstück der Verbindungsbahn Abzw Steinberg nach Abzw Wildberg:
Das Originalfoto der Abzweigstelle Wildberg war leider nicht mehr zu beschaffen. Deshalb hier der Vollständigkeit halber ein Scan aus dem ursprünglichen Artikel:
Die Bildunterschrift lautete:" Das Gebäude der Abzweigstelle Wildberg bei Amelunxen. Davor steht der 1976 verstorbene Fahrdienstleiter Mahrenholz. Im Vordergrund ist ein Teilstück des Gleises Wehrden - Ottbergen zu sehen."
Eintrag editiert (10.09.05 17:58)
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2023:01:22:18:32:34.