Über Missgeschicke aller Art wird ja bekanntlich immer gerne gesprochen – und hier auch geschrieben. So hatte ich denn das zweifelhafte Vergnügen, mit einem meiner eigenen Vauxpas hier verschiedentlich vorgeführt zu werden: dem „Zerknacken“ meiner Kamera auf 01 133 im Sommer 1971 im Bahnhof Trier.
12. September 1971: 55 4455 vom Bw Gremberg hat mit ihrem Sonderzug von Köln soeben den Tunnel westlich des Bahnhofs Scheuerfeld verlassen und erreicht den Bahnsteig.
Kurzer Fotohalt vor dem BÜ in Scheuerfeld, dann gehts weiter nach Betzdorf.
Danach brach zunächst für mich eine kameralose Zeit an. Heute wäre das ja alles kein Problem, man nähme einfach ein anderes Exemplar aus der Sammlung. Nur mit dem seinerzeitigen „Einkommen“ von DM 20,-/mtl. als Taschengeld waren große Sprünge wie die Anschaffung einer neuen Knipskiste nicht so einfach. Ich will mich aber nicht beklagen, damals waren die 20,- Märker ein sehr ordentliches Taschengeld, mit dem ich auch durchaus mein Auskommen hatte. Das Ersparte war im Frühjahr 1971 auch schon für 5 Fahrstunden und die Führerscheinprüfung „draufgegangen“, so dass nun guter Rat nach dem Desaster von Trier buchstäblich teuer war.
Nach dem Wassernehmen im Bw Betzdorf fährt die G 8.1 zur Drehscheibe.
Nicht ganz zufällig entdeckte ich unmittelbar im Anschluss an den Heimgang der teuren Verblichenen ein neues Hobby: Rasenmähen! Wie ein wilder habe ich das elterliche Grundstück mit seinen beachtlichen Grasflächen heimgesucht und mit unglaublicher Ausdauer Halm für Halm den Garaus gemacht – mindestens einmal die Woche. Sogar Vaters Käfer wurde freiwillig einer Waschorgie nach der anderen unterzogen. Und Oma erfreute sich auch besonderer Aufmerksamkeit, damit ich ihrer Non-Food-Aufmerksamkeiten in segensreichem Ausmaß anteilig werden konnte.
Zur Freude der Fotografen darf die Betzdorfer 044 262, eine Maschine mit Leichtradsatz, eine Runde Karussell fahren.
Natürlich hatte ich überall unter schamloser Beschönigung der begleitenden Details breit gestreut, dass die gute Konfirmations-Kodak vom Patenonkel das Zeitliche gesegnet hatte, und sicher war meine damit einhergehende Krisenstimmung in meiner näheren Umgebung nicht unerkannt geblieben. Deshalb mögen die meines Leidens Gewärtigen denn wohl auch besonders tief in die Taschen gegriffen haben. Jedenfalls langte die Kohle im Spätsommer 1971 zur Anschaffung einer AGFA-Box (!) – den Typ weiß ich nicht einmal mehr, aber sie hatte den berühmten „Roten Knopf gegen Verwackeln“ – im Kleinbildformat. Es blieb sogar noch etwas Geld übrig, so dass es mir „zur Erprobung der neuen Technik“ sogar möglich war, an einer Sonderfahrt des EK teilzunehmen.
Auch die G 8.1 dreht eine Runde...
... und kann von beiden Seiten fotografiert werden.
Angekündigt war damals eine Tour von Köln mit einer 55er des Bw Gremberg bis nach Scheuerfeld/Sieg und von dort mit der Moll’schen T3 über die Westerwaldbahn nach Bindweide. Mich interessierte allerdings nur der Abschnitt ab Scheuerfeld, den man auch gesondert buchen konnte. Die Fahrt kostete genau 17,60 DM, den Einzahlungsbeleg habe ich heute noch!
Erster Halt nach Betzdorf ist vor dem WeBa-Bahnhofgebäude in Scheuerfeld. Auch Herr K. wurde hier mit aufs Bild genommen, traut sich aber nicht, ins Objektiv zu blicken.
Am Morgen des 12. September 1971, an dem die Fahrt stattfinden sollte, machte ich mich dann mit Vaters Käfer auf an die Sieg. Ich war nie vorher dort, und der Atlas, der Auskunft über die Lage von Scheuerfeld gab, war so ungenau, dass ich sicherheitshalber zunächst mal Betzdorf ansteuerte und mich am Bahnhof nach dem rechten Weg erkundigte. Scheuerfeld war dann auch schnell gefunden, wie sich herausstellte, war aber dort „nix los“, also von der angekündigten T3 keine Spur.
"Scheinausfahrt" aus dem Tunnel bei Weiselstein.
Einigermaßen pünktlich lief der Sonderzug mit der unvermeidlichen Gremberger 55 4455 in Scheuerfeld ein. Ich stieg ein und suchte mir einen freien Platz in der Umgebung vertrauenswürdig wirkender Freaks. Da traf mich fast der Schlag: Eine Bank weiter saß ein Mensch, der nicht nur sprach wie mein Mathelehrer und der nicht nur aussah wie mein Mathelehrer, sondern der mit diesem auch personenidentisch war. Und das an einem Wochenende, das seinerseits eigentlich zur Vorbereitung einer Mathearbeit gedacht war... Ich möchte mich an dieser Stelle öffentlich nicht weiter über meine Gedanken zu diesem Thema auslassen (das mache ich lieber anonym im Forum „Meine schönsten Verwünschungen“), vielleicht liest der Herr K. ja hier mit (Grüß Gott Herr K., wenn Sie denn mitlesen!).
Halt im Bahnhof Elben.
Ein weiterer Halt mit Scheinanfahrt bei Steinbach.
Jedenfalls habe ich artig meinen Gruß entboten und ein wenig small getalkt und habe ansonsten immer sehr beschäftigt getan. Aber zurück zur Sonderfahrt. Es stellte sich heraus, dass die T3 in Siegen ihren Geist aufgegeben hatte (Heißläufer) und deshalb die 55er am Zug bleiben sollte. Dazu war es aber notwendig, die Lok im Bw Betzdorf zu wenden und dort auch Wasser zu nehmen. Wir fuhren also bis Betzdorf und 55 4455 schob die ganze Fuhre vom Gießener Bahnsteig aus zurück bis zum Bw. Dort durften wir dann alles genau ansehen, und sogar eine 44er fuhr man uns auf die Scheibe. Leider ließ das Wetter zu wünschen übrig, und da ich absolut nicht wusste, ob die Kamera den Lichtverhältnissen gewachsen sein würde, verhielt ich mich mit dem Fotografieren zurückhaltend.
Angekommen in Bindweide: Kohlen hatte die 55 nicht nötig, aber...
...ein Schluck Wasser konnte nicht schaden. Es dauerte aber geraume Zeit, bis das Nass dann auch endlich strömte.
Nachdem auch unsere Zuglok eine Ehrenrunde auf der Scheibe gedreht hatte, ging es mit dem Zug zurück nach Scheuerfeld und von dort auf die Gleise der WeBa. Es blieb leider den ganzen Tag fürchterlich trüb, und so machten die Fotohalte nicht die richtige Freude, weil die Dampfwolken mit dem Himmel „Ton in Ton“ waren. Einzig die Scheinausfahrt aus dem Scheuerfelder Tunnel war ein Highlight.
Ein Blick auf den Lokschuppen im Bahnhof Bindweide.
Mehrere Fotohalte später gab es dann im Bahnhof Bindweide die angekündigte längere Pause. Unsere Lok nahm einen gehörigen Schluck der rostbraunen, wasserhaltigen Brühe, den der WeBa-Wasserkran vor dem Lokschuppen nach enormem Rülpsen von sich gab. Und nach längerer Wartezeit tauchte auch noch einer der örtlichen Lokführer auf, um ein Pärchen der WeBa-Loks ins rechte, wenn auch trübe Licht zu setzen. Damals stand auch noch der VB im Bw herum, den die Bahn nur noch für Bereisungen verwendete.
Der VS 201 (Zweitbesetzung, bis 1946 VS 202) abgestellt im Bahnhof Bindweide. Das Fahrzeug war bis 1974 vorhanden und wurde an den Modelleisenbahnclub Essen verkauft. Weiß jemand, wo das Fahrzeug heute ist?
Die Rückfahrt nach Scheuerfeld verlief unscheinbar – bis auf einen Fauxpas, den sich diesmal der bereits erwähnte Herr K. leistete. Tender voraus die abschüssige Strecke rollend rußte und kokelte die G 8.1 kräftig vor sich hin. An sich genießt man ja diesen Geruch von Rauch und Dampf, und das taten wir denn auch auf einer Bühne der BI-Wagen. Kurz vor der Einfahrt in den Scheuerfeld Tunnel rieten allerdings einige Teilnehmer mit entsprechenden Erfahrungen, besser das Wageninnere auszusuchen. Ich schloss mich ihnen an, Herr K. meine aber, dass man die Atmosphäre in der engen Röhre besonders intensiv auskosten könne. 30 Sekunden hielt er das aus und stürzte dann, heftig hustend und fluchend, ebenfalls ins unbeleuchtete Innere, um dort gleich mit anderen zusammenzustoßen. Naja, als es wieder hell wurde war seine Frisur dahin, die Augen tränten und leicht geschwärzt war er auch...
Die WeBa-Dieselloks 3 und 4 veranstalten im Bahnhof Bindweide eine Bewegungsfahrt für die Fotografen.
Beide Maschinen wurden bei Jung in Jungenthal gebaut (Lok 3 1957, F.-Nr. 12748, Lok 4 1959, F.-Nr. 12997).
Der Rest der Fahrt war unspektakulär, in Scheuerfeld wurde Kopf gemacht und anschließend ging es auf die Siegstrecke gen Troisdorf. Ich bestieg den Käfer und machte mich auf in Richtung Gummersbach. Dabei wählte ich die gleiche Route wie am Vormittag: ab Kirchen entlang der wunderbaren KBS 361 bis nach Rothemühle. Eines hat sich bereits damals verfestigt: Der Vorsatz, dass ich da wieder hin musste, nach Betzdorf, zur WeBa und auch an die Freudenberger Strecke mit ihren zahllosen Haltepunkten, Bahnübergängen... Alle diese Vorsätze habe ich in die Tat umgesetzt – glücklicherweise. Mit Herrn Dingenskirchen war ich im April 1972 nach einem Besuch in Dillenburg auch im Bw Betzdorf (erinnert er sich?). Mit Herrn Reike fand 1972 die zweite gemeinsame Tour zur WeBa statt. Und sowohl die KBS wie auch die Siegstrecke und Betzdorf habe ich ab 1973 einige Dutzend Male heimgesucht. Die ganze Gegend dort, das ist meine eigentliche eisenbahn-fotografische Heimat geworden und bis heute geblieben – obwohl es heute keinen Spaß machen kann, den Verfall der meisten Anlagen und das „Abhandenkommen“ der meisten geliebten Fotostellen mit ansehen zu müssen.
Zurück im WeBa-Bahnhof Scheuerfeld. Bevor der Zug wieder auf DB-Gleise gelangen kann, sind einige Sägefahrten notwendig.
Epilog: Mit gemischten Gefühlen gab ich am nächsten Tag meinen Film beim örtlichen Drogisten ab. Das war ein alter Herr, der damals sein Fotolabor noch selbst bediente. Den Film hat er ganz ordentlich hingekriegt, was man längst nicht von allen Filme behaupten kann, die er entwickelt, besser und deutlicher gesagt, versaut hat. Dafür wird er sicher in der Hölle ein Weilchen extra geschmort haben, der Herr W’hagen aus Derschlag. Mit diesen ersten Ergebnissen war ich jedoch zufrieden. Alsbald von den Künsten des Herrn Drogisten, bei dem ich auch die Kamera erstanden hatte, nicht mehr überzeugt, habe ich dann alsbald bei meinem Nachbarn Johannes Bockemühl, besser bekannt unter dem Firmennamen JOBO, angeklopft, und ihn nach seinem fabelhaften Filmentwicklungsgerät mit der Bezeichnung JOBO-Tank nachgefragt. Er hatte ein Herz, der alte Herr, und auch einen flammneuen JOBO-Tank für mich, mit dem ich jahrzehntelang meine SW-Filme entwickelt habe (später ergänzt durch einen Etagentank aus dem Hause JOBO).
Durch die Weichenstraßen verläßt 55 4455 den WeBa-Bahnhof Scheuerfeld und erreicht beim DB-Haltepunkt wieder Bundesbahngleise.
Noch einmal kräftig Dampf geben, dann ist der Zug weg...
Ich hoffe, ich konnte ein wenig der damaligen Stimmung in die Gegenwart des HiFo transportieren. Das wünscht sich
Bergische!
Eintrag editiert (22.01.05 18:57)
Jeder Dritte, der nach Bildmaterial zu diesem Beitrags fragt, wird erschossen. Zwei waren schon da...